Mehr Hilfen und Hindernisse zum Schutz vor Suiziden Von Sascha Meyer, dpa

Um die Zahl der Suizide zu senken, soll die Prävention verstärkt
werden. Im Fokus stehen etwa eine mögliche neue Telefon-Hotline ? und
mehr Zäune.

Berlin (dpa) - Es geht um Hilfe für Menschen in besonders
verzweifelter Lage: Um Selbsttötungen stärker vorzubeugen, sollen
Anlaufstellen und Beratung ausgebaut werden. Darauf zielt eine
Präventionsstrategie, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
am Donnerstag vorgestellt hat. Seit gut 20 Jahren nehme die Zahl der
Suizide mit rund 10 000 betroffenen Menschen pro Jahr nicht ab, sagte
der SPD-Politiker in Berlin. «Es sind oft Kurzschlussentscheidungen,
und es sind oft Tragödien, auch für die Familien.» Daher gelte es,
die Suizidrate zu senken. Im Blick stehen unter anderem eine neue
Telefon-Hotline und mehr Sicherungen an Brücken.

«Das Schicksal der Betroffenen, der Angehörigen und Hilfskräfte darf

uns nicht egal sein», sagte Lauterbach. Größtenteils gehe es bei
Suiziden um Männer, häufig Ältere, die zuvor psychische Probleme
gehabt hätten. Insgesamt müsse eine systematische Betreuung dieser
Menschen gewährleistet werden. Vorgesehen ist dafür nun auch ein
gesetzlicher Rahmen. 

Die Chefin der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Ute
Lewitzka, verwies darauf, dass durch Suizide jedes Jahr mehr Menschen
ums Leben kommen als bei Verkehrsunfällen. Natürlich werde alles
versucht, Unfalltote zu verhindern. «Aber bisher war es noch nicht so
offensichtlich, was wir in diesem Land tun, um die Suizidalität zu
beeinflussen.» Bestehende Angebote seien oft nur befristet
finanziert. Im Blick stehen sollen jetzt verschiedene Bereiche:

* Krisenhotline: Lauterbach sagte, denkbar sei eine nationale
Rufnummer wie zum Beispiel die 113 ? ähnlich wie die bekannten
Nummern 110 für die Polizei und 112 für die Feuerwehr. Dort müsste
rund um die Uhr ein wissenschaftlich fundiertes Hilfsangebot
vorgehalten werden. Expertin Lewitzka erläuterte, es gehe um eine
ganz spezielle Beratung bei akuten Suizidgedanken auch über die
«wunderbare Arbeit der Telefonseelsorgen» hinaus.
* Hindernisse: Als wichtiger Ansatzpunkt gilt, bekannte Risiko-Orte
mit schützenden Bauten abzusichern und abzusperren, zum Beispiel mit
Zäunen oder Auffangnetzen an Brücken, Hochhäusern oder Bahnanlagen.
Denn oft fixierten sich Suizidpläne auf einen Ort, erläuterte
Lauterbach. Sei der Suizid dann dort nicht möglich, werde die Absicht
häufig ganz aufgegeben.
* Weitere Maßnahmen: Angepeilt werden auch verstärkte Schulungen
etwa für Fachkräfte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen.
Lauterbach nannte zudem kleinere Packungsgrößen von Schmerzmitteln
und ein mögliches Register mit pseudonymisierten Daten zu Suiziden.

Insgesamt sei die Entstehung von Suizidalität komplex, sagte Expertin
Lewitzka. Größter Risikofaktor seien psychische Erkrankungen wie etwa
Depressionen. Ursachen könnten aber auch Schicksalsschläge, Verluste,
Kränkungen, schwere Erkrankungen oder Einsamkeit sein. Die Zahl der
Suizide in Deutschland stieg nach Angaben des Statistischen
Bundesamts 2022 auf 10 119. Das entsprach rechnerisch fast 28 Fällen
am Tag. Auf längere Sicht sank die Zahl demnach aber, so waren es
1980 rund 50 Suizide pro Tag. Generell wurden drei Viertel der
Suizide von Männern begangen ? im Schnitt im Alter von rund 60
Jahren, bei Frauen mit gut 61 Jahren. 

Das Thema ist jetzt auf die Agenda gerückt, nachdem der Bundestag im
Juli 2023 einen Ausbau der Vorbeugung eingefordert hatte. Damals
waren zwei Initiativen gescheitert, für Angebote zur Sterbehilfe
einen gesetzlichen Rahmen mit Vorgaben zu Wartezeiten und Beratungen
zu schaffen. Stattdessen forderte das Parlament mit großer Mehrheit
mit einem Antrag, Präventionsangebote umfassend auszubauen.

Inzwischen beschäftigen sich Abgeordnetengruppen wieder mit einem
möglichen zweiten Anlauf noch in dieser Wahlperiode bis 2025.
Lauterbach zeigte sich als Parlamentarier grundsätzlich offen dafür.
Expertin Lewitzka sprach sich dafür aus, vor einer möglichen Regelung
zur Sterbehilfe das nun angepeilte Präventionsgesetz zu besiegeln.
Die damit vorgesehenen Bremsen brauche es vorher.