Hebammen-Mangel: Geburtshelferinnen fordern Anerkennung Von Antje Kayser

Zu wenig Personal, zu geringe Bezahlung: Die Wertschätzung von
Geburtshilfe in Deutschland hat deutlichen Nachholbedarf - nicht nur
bei der Bezahlung.

Berlin (dpa) - «Haben Sie überhaupt eine Ausbildung?», ist Hebamme
Silvia Skolik von Vätern schon gefragt worden. Die 68-Jährige hat
1981 ihr Examen gemacht und arbeitet seit 42 Jahren in dem Beruf.
Auch wenn die Frage nicht häufig kommt, zeigt sie doch: Das Wissen um
die Kompetenzen und die Wertschätzung von Hebammen sind in Teilen der
deutschen Gesellschaft nicht weit verbreitet. 

Dabei sind Hebammen nicht nur während Geburten sehr wichtig: Auch in
der Schwangerenvorsorge und im Wochenbett, also der Zeit nach der
Geburt, kümmern sich Hebammen um die Gesundheit von Mutter und Kind,
klären auf bei dringenden Fragen und Sorgen. 

Die Berlinerin Skolik kommt immer wieder auf das Thema Zeit zu
sprechen. Ihre Tage sind lang: «Man kann sagen, mein Dienst geht von
8.00 Uhr bis 20.00 Uhr», oft auch von 8.00 bis 23.00 Uhr. Morgens
bearbeite sie etwa eine Stunde lang Post und führe Telefongespräche,
dann gehe es auf Hausbesuche, vier bis sieben pro Tag. Etwa 30
Prozent ihrer Arbeit machten Dokumentation und Abrechnung aus, «wenn
man flott ist». Als freiberufliche Hebamme betreut Skolik Schwangere
und junge Familien bis zum Ende der Stillzeit. 

«Frauen haben sonst keinen Ansprechpartner»

Etwa eine bis anderthalb Stunden dauere ein Hausbesuch inklusive der
Wege - bezahlt wird jedoch deutlich weniger: Die Gebührenberechnung
der Krankenkassen basiere auf der Annahme, dass ein Besuch am
Wochenbett nicht länger als 20 Minuten dauert. «Nicht realistisch»,
findet Skolik. «Wir brauchen mehr Hebammen und eine deutlich bessere
Bezahlung, damit wir mehr Zeit für jede einzelne Frau und Familie
haben.» 

Auch abends und am Wochenende melde sich oft noch jemand mit einer
Frage, oder sie mache Hausbesuche, im Schnitt habe sie ein freies
Wochenende im Monat. «Im Prinzip ist man immer präsent für Fragen,
man weiß ja auch, dass die Frauen sonst keinen Ansprechpartner
haben.» Vor ihrer Freiberuflichkeit hat Skolik lange angestellt in
Kliniken gearbeitet, irgendwann habe ihr die Arbeitsweise dort aber
nicht mehr gefallen: «Zu viel Hierarchie, zu viele Überstunden, eine
Geburtshilfe, die oft an den Bedürfnissen der Gebärenden
vorbeiging.» 

Finanzieller Anreiz als Problem

Das sieht die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands ähnlich.
Eine natürliche Geburt brauche Zeit, «diese wird in unserem
Abrechnungssystem aber überhaupt nicht abgebildet», sagt Ulrike
Geppert-Orthofer. Sie höre oft von Kolleginnen aus Kliniken, dass die
bei der Dokumentation darauf achten, dass es sich für die Klinik
lohnt.

Derzeit gebe es in Deutschland eine Kaiserschnittrate von etwa 30
Prozent, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält 10 bis 15 Prozent
für medizinisch notwendig. Geburten würden so behandelt «als könnte

jederzeit der Super-Gau eintreten», sagt Geppert-Orthofer, dabei
könne vieles mit einer Eins-zu-eins-Betreuung antizipiert werden.
«Das belegen unsere Zahlen in der außerklinischen Geburtshilfe.» 

Die Hauptforderung des Hebammenverbands im Zuge der Krankenhausreform
ist daher die Umsetzung der hebammengeleiteten Geburtshilfe in den
Kliniken. «Dafür gibt es das Konzept des Hebammenkreißsaals», sagt

sie. «Es bedeutet, dass gesunde Frauen, die gesunde Kinder erwarten
und eine interventionsarme Geburt mit individueller Betreuung
wünschen, sich für eine Geburt im Hebammenkreißsaal entscheiden
können und dort von einer Hebamme betreut werden, die wirklich nur
für sie zuständig ist.» Bei Bedarf, etwa dem Wunsch nach
Schmerztherapie oder ärztlicher Expertise, könnten jederzeit
Ärztinnen und Ärzte hinzugezogen werden. 

Um die Gesundheit rund um die Geburt zu gewährleisten, wurde 2017 ein
gleichnamiges Nationales Gesundheitsziel veröffentlicht. «Ein echter
Schatz», meint Geppert-Orthofer. Das Papier wurde von verschiedenen
Berufsgruppen erarbeitet und führt evidenzbasierte Empfehlungen zur
Förderung einer gesunden Schwangerschaft, natürlichen Geburt und der
Bedeutung des Wochenbetts auf. Es enthält außerdem Empfehlungen, um
die Rahmenbedingungen rund um die Geburt gesundheitsfördernd zu
gestalten. 

Aktionsplan Gesundheit rund um die Geburt vereinbart

Das Gesundheitsziel zeige den Weg, «wir müssen ihn nur noch gehen»,
sagt Geppert-Orthofer. Im Koalitionsvertrag wurde die
Eins-zu-eins-Betreuung während der Geburt ebenso wie ein Aktionsplan
zur Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels vereinbart -
veröffentlicht wurde dieser jedoch bisher nicht. 

Geppert-Orthofer plädiert dafür, die aktuellen Probleme bei der
geplanten Krankenhausreform zu berücksichtigen. Diese soll sogenannte
medizinische Leistungsgruppen samt Qualitätsstandards definieren,
etwa für Infektiologie oder Notfallmedizin. Demnach kann eine Klinik
künftig die Leistungsgruppe Geburt anbieten und von den gesetzlichen
Krankenkassen finanziert bekommen, wenn sie bestimmte
Qualitätsvorgaben erfüllt, etwa zu Ausstattung und Personal. 

Der Hebammenverband fordert, Teil des Ausschusses zu werden, der die
Kriterien für die Leistungsgruppe Geburt definiert.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigte sich dafür
zuletzt grundsätzlich offen, machte aber keine Zusage.
Geppert-Orthofer sagt: «Das ist zum Beispiel wieder eine Forderung,
die wir nicht stellen müssten, wenn klar wäre, dass beim Thema Geburt
immer die Hebammen mit dabei sind.» Hebammen seien die einzige
Berufsgruppe, die für die kontinuierliche Gesundheitsförderung im
Zeitraum des Elternwerdens für Mutter und Kind ausgebildet ist. 

Für die Berliner Hebamme Skolik ist das Schönste an ihrem Beruf die
Stärkung junger Familien: «Wenn Eltern das Gefühl haben, «das kann

ich, ich kriege das hin». Das müsste man noch viel mehr machen
können.» Würde sie noch einmal vor der Berufswahl stehen, würde sie

sich wieder für den Hebammenberuf entscheiden. «Auf jeden Fall, ja.»

Es sei eine sehr erfüllende Arbeit. Aber es sei auch deprimierend,
dass sich mit Blick auf die Wertschätzung so wenig bewege.