Gutachter im Wirecard-Prozess: Angeklagter Ex-Manager kein Autist

Drei ehemalige Spitzenmanager stehen im Wirecard-Prozess vor Gericht:
Zwei beschuldigen sich gegenseitig, der dritte schweigt bisher. Doch
könnte nun Bewegung in das Mammutverfahren kommen.

München (dpa) - In einem wichtigen Zwischenschritt des Münchner
Wirecard-Prozesses haben Fachleute den bislang schweigsamen dritten
Angeklagten E. für psychisch unauffällig erklärt. Der 49 Jahre alte
frühere Chefbuchhalter des 2020 zusammengebrochenen Dax-Konzerns ist
nach Einschätzung der beiden Gutachter Norbert Nedopil und Maximilian
Wertz weder autistisch veranlagt noch anderweitig psychisch
auffällig. Das sagten die beiden Wissenschaftler am Montag, dem 122.
Prozesstag des seit Dezember 2022 laufenden Mammutverfahrens. Eine
psychische Auffälligkeit wäre möglicherweise für die Beurteilung de
r
Schuldfähigkeit von Bedeutung gewesen.

E. könnte noch eine Schlüsselrolle für den weiteren Prozessverlauf
spielen: Er ist einzige der drei Angeklagten, der im Verfahren
schweigt. Bislang steht Aussage gegen Aussage. Der frühere
Wirecard-Vorstandschef Markus Braun bestreitet sowohl den
Hauptanklagepunkt des Milliardenbetrugs als auch sämtliche weiteren
Vorwürfe. Der ehedem in Dubai für den Konzern tätige Manager Oliver
Bellenhaus hingegen hat als Kronzeuge sowohl Braun als auch E.
beschuldigt, Mittäter gewesen zu sein.

Mittlerweile denkt E. jedoch über ein Geständnis nach. In den
nächsten Wochen soll es dazu ein weiteres Rechtsgespräch seiner
Verteidiger mit der Kammer geben. Der Spross eines alten
Adelsgeschlechts hatte die Gutachten selbst beantragt, um eine
möglich autistische Störung klären zu lassen. 

«Er war weitgehend unauffällig, unauffällig gekleidet, unauffällig
im
Verhalten», sagte der psychiatrische Sachverständige Nedopil.
Psychologe Wertz bescheinigte E. einen IQ von 110 im oberen
Normbereich und «keine hinreichenden Hinweise auf eine
Autismusspektrumsstörung». Im Laufe des Verfahrens hatten viele
Zeugen den langjährigen Leiter der Wirecard-Buchhaltung als kundigen
und kompetenten Finanzmann beschrieben, mit Hang zu Wutausbrüchen. 

Laut Anklage war E. gemeinsam mit dem früheren Wirecard-Vorstandschef
Markus Braun und dem Kronzeugen Oliver Bellenhaus Mitglied einer
Betrügerbande in der Wirecard-Chefetage, die über Jahre nicht
vorhandene Scheinumsätze in Milliardenhöhe erdichtete.

Im Gerichtssaal hat E. sich bislang mit keinem Wort zur Anklage
geäußert. Im Gespräch mit dem Psychologen hat der frühere
Chefbuchhalter jedoch den Vorwurf, er sei Mitglied einer kriminellen
Bande gewesen, als «abstrus» und «völligen Quatsch» zurückgewie
sen,
wie Gutachter Wertz sagte. 

Psychiater Nedopil jedoch gab eine Aussage E.s wieder, derzufolge der
Chefbuchhalter im Auftrag des Vorstands Datensätze «rekonstruierte»,

aber «besten Wissens und Gewissens». Dabei geht es um die Frage, ob
der Buchhalter an der Kreation erfundener Geschäftszahlen beteiligt
war.

Das Landgericht München hat E. für den Fall eines Geständnisses eine

Freiheitsstrafe zwischen zwei und acht Jahren in Aussicht gestellt.
Sollte E. ein volles oder Teil-Geständnis ablegen, stünde damit Braun
als einziger Angeklagter da, der sämtliche Vorwürfe kategorisch
bestreitet. Anders als seine beiden auf freien Fuß gekommenen
Mitangeklagten sitzt der Ex-Vorstandschef und einstige Milliardär
auch weiter in Untersuchungshaft - seit bald vier Jahren.