Hoffnung und Ängste: Erste Gentherapie in Deutschland vor Zulassung Von Ulrike von Leszczynski, dpa

Eine Gentherapie kann ein Segen für Menschen mit unheilbaren
Krankheiten sein. Rückschläge mit Todesfällen haben aber auch große

Vorbehalte gegen diese Behandlung geweckt. Nun steht in Deutschland
das erste Gen-Medikament vor der Zulassung.

Berlin (dpa) - Sie klingt nach einem Wundermittel für unheilbar
kranke Menschen: die Gentherapie. Doch Todesfälle und schwere
Nebenwirkungen in klinischen Studien haben der Faszination für eine
verheißungsvolle Medizin schwere Dämpfer versetzt - obwohl es bei
anderen Behandlungsmethoden auch Rückschläge gibt. Nun steht in der
Europäischen Union das erste Mal eine Gentherapie vor der Zulassung.
Sie soll gegen die seltene Fettstoffwechsel-Krankheit
Lipoproteinlipase-Defizienz (LPLD) helfen, die maximal zwei unter
einer Million Menschen trifft. Es wäre die erste Gentherapie, die
auch in Deutschland zugelassen würde, sagt Susanne Stöcker,
Sprecherin des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts in Langen.

Noch ist der komplizierte EU-Verfahrensweg aber nicht ganz
beschritten. Zwar hat das Medikament «Glybera» (Alipogen Tiparvovec)
die größte Hürde genommen und am 19. Juli den Ausschuss für
Humanarzneimittel (CHMP) bei der EU-Arzneimittelbehörde EMA nach
langen Beratungen überzeugt. Mit Vertretern aus allen EU-Staaten
besetzt, empfiehlt er nun eine Marktzulassung. Die Entscheidung über
diese Zulassung aber fällt innerhalb von maximal drei Monaten die
EU-Kommission. In der Regel richtet sie sich nach den Empfehlungen.

Einfach ist die Entscheidung trotzdem nicht. Da LPLD so selten
ist, konnte die Therapie bisher in drei klinischen Prüfungen nur an
27 Menschen getestet werden. Sie sei dabei gut vertragen worden,
berichtet der niederländische Hersteller «uniQure». Über den Preis

ist noch nichts bekannt - außer, dass er wegen der Entwicklungskosten
hoch sein wird.

«Menschen mit LPLD fehlt ein Enzym. Deshalb können Fette aus der
Nahrung nicht richtig verarbeitet werden», erläutert Hildegard
Büning, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie.
Patienten litten an Bauchschmerzen, Einlagerung von Fett in die Haut
(Xanthome) und Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Sie müssten eine

strenge Diät einhalten. Doch eine Ernährung ohne Fette ist kaum
möglich. «Das ist eine sehr ernste Erkrankung», berichtet Büning.

Gentherapien können Körperzellen mit Fehlfunktionen durch das
Einschleusen «korrekter» Gen-Einheiten dauerhaft helfen. Nach diesem
Grundprinzip arbeitet auch das neue Medikament «Glybera». Es beruht
auf einem entschärften Virus, das statt seiner eigenen Erbinformation
nun die Information für die korrekte Version des
Lipoproteinlipase-Gens in Zellen von Patienten einbringt. Die
Rückschläge bei früheren Gentherapien macht das nicht vergessen. 1999

starb in den USA der 18-jährige Jesse Gelsinger, der an einer
Harnstoffzyklus-Störung litt, nach der Gabe eines ähnlichen Gentaxis.
Vermutlich versagten mehrere Organe aufgrund einer Immunreaktion.

Hoffnung versprach die Gentherapie auch für Kinder, die praktisch
ohne Immunsystem auf die Welt kamen (SCID). Ihre einzige Lebenschance
ohne Therapie ist ein hermetisch abgeriegeltes Quarantäne-Zelt oder
ein Ausflug in einer Art Raumanzug. Gentherapien hatten bei diesen
sogenannten Bubble-Babys anfangs großen Erfolg. Das Immunsystem kam
in Schwung, SCID-Kinder konnten plötzlich leben wie andere Kinder
auch. Doch einige Jahre später kam es bei einigen Patienten zu
Leukämien, ein Kind starb daran.

Es ist der Zwiespalt, in dem sich Forscher immer noch sehen. Da es
erst wenig Erfahrungen mit Gentherapien gibt, weiß niemand, ob die
eingeschleusten Gene nicht auch Zellen in einer Weise verändern, die
nicht beabsichtigt ist - und damit Krebs Vorschub leisten.

Es sei die Frage, wie hoch der Preis für einen Therapieerfolg ist,
sagt Stöcker. Was kann man tolerieren? «Bei Kindern, die bisher in
einem Ballon leben mussten und durch eine Gentherapie die Chance auf
ein normales Leben haben, wird das Risiko der Leukämie anders
einzuschätzen sein.» Leukämien im Kindesalter seien oft behandelbar,

manchmal heilbar. Und neuere Versionen der ins Erbgut eingebauten
Gentaxis seien nach bisherigen Analysen mit einem geringeren
Krebsrisiko verbunden. Eine zugelassene SCID-Gentherapie gibt es
trotzdem noch nicht.

Einzig China hat laut Büning 2004 eine Gentherapie zugelassen -
allerdings gegen Hals- und Kopftumoren. Es basiere auf einem Virus,
das sich in der Tumorzelle vermehre und sie dadurch töte. Und die
Erfahrungen? «Uns liegen bisher wenige Informationen vor», ergänzt
die Expertin. China hält sich wie so oft bedeckt.

Dennoch würde die Gentherapie-Gesellschaft eine zugelassene
Gentherapie in der EU gern sehen. «Das wäre auf jeden Fall ein
positives Signal», sagt Büning. Die Genfähre, die «Glybera» nutze
,
habe sich in anderen klinischen Studien bewährt - bei der Behandlung
von Blutgerinnungsstörungen oder vererbten Formen von Erblindung.

Bioethiker sehen das kritischer. Die Gentherapie sei nach den
Rückschlägen der Vergangenheit in einem sehr experimentellen Stadium,
sagte Hille Haker von der Universität Frankfurt (Main) der
«Frankfurter Rundschau». Die Therapien hätten sich als nicht
kontrollierbar erwiesen. Und Nikola Biller-Andorno, Direktorin des
Schweizer Instituts für Biomedizinische Ethik, wandte gegenüber der
Zeitung ein, dass es bei LPLD - anders als zum Beispiel bei SCID -
therapeutische Alternativen wie eine Diät gebe.

Gesetzlich gebe es in Deutschland bei Gentherapien eine
entscheidende Grenze, betont Stöcker. Sie dürfen nicht bei Ei- oder
Samenzellen genutzt werden. Denn damit könnte es zu einer Vererbung
kommen, mit unkalkulierbaren Folgen.

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