Jung und HIV-positiv: "Es hat mich umgehauen" Von Andrea Barthélémy, dpa

Auch nach Jahren intensiver Aufklärung bleibt die Zahl der
Neuinfektionen mit dem Immunschwäche-Erreger HIV hoch. Besonders
betroffen sind die Jüngeren.

Berlin (dpa) - Doreen (33) strahlt. Das liegt nicht nur an ihrer
Vorliebe für Pink, die sich an diesem Tag in dem modischen
Flanellhemd, Lidschatten und Rouge zeigt, sondern vor allem an ihren
lachenden Augen. "Mir geht es echt gut. Ich genieße heute das Leben
mehr als vorher", sagt die junge Frau, die seit acht Jahren mit dem
Befund HIV-positiv lebt und jeden Tag Tabletten schluckt, um den
Immunschwäche-Erreger in Zaum zu halten.

Acht weitere Jahre hat Doreen von der Infektion nicht mal etwas
geahnt. Angesteckt hatte sie sich bei ihrer ersten großen Liebe mit
17 Jahren. Zehn Monate waren die beiden zusammen, verhüteten nach
einiger Zeit mit Pille statt mit Kondom. "Dass er nebenher noch
andere Affären hatte, hab ich erst später erfahren", sagt Doreen.
Heute kann sie das mit einem Lächeln tun. "Damals hat es mich
umgehauen, als ich von der Diagnose erfuhr. Ich konnte es mir
überhaupt nicht vorstellen, dass HIV oder Aids etwas mit mir zu tun
haben sollten."

In der Tat: Als junge Frau mit festem Freund gehört Doreen zur
kleinsten Gruppe derer, die sich mit dem Aids-Erreger infizieren.
Nach wie vor sind es vor allem - junge - Männer, die Sex mit Männern
haben. Und auch nach Jahren intensiver Aufklärung bleibt die Zahl der
Neuinfektionen hoch: 2012 haben sich etwa 3400 Menschen mit HIV
infiziert, drei Viertel davon schwule Männer, schätzt das Robert
Koch-Institut (RKI) in Berlin. Hinzu kommen etwa 14 000 HIV-Positive,
die noch nichts von der Infektion wissen - weil sie keinen Test
gemacht haben. Insgesamt lebten in Deutschland Ende 2012
schätzungsweise 78 000 Menschen mit HIV oder Aids.

"Das HIV-Virus hat wegen der neuen Therapien für viele ein Stück
des Schreckens verloren. Und gerade die jüngere Generation hat das
große Sterben nicht mehr mitgekriegt", nennt RKI-Expertin Viviane
Bremer als Grund. Inwieweit sich tatsächlich beim Sex wieder größere

Sorglosigkeit und ein höheres Risikoverhalten breitmachen, kann
derzeit aber nur vermutet werden. Konkrete Zahlen gibt es im
kommenden Sommer: Dann wird das RKI eine aktuell laufende
Internetbefragung ausgewertet haben, in der homosexuelle Männer
Auskunft geben über die Zahl ihrer Sex-Partner, Praktiken und
Schutzverhalten.

Neu daran: Alle Teilnehmer erhalten einen Gutschein für einen
unkomplizierten Bluttest. "Das ist ein Benefit und hilfreicher Anstoß
für die Männer. Und es ist hilfreich für uns, denn wir bekommen
belastbare Zahlen darüber, wie hoch der Anteil der Befragten ist, die
infiziert sind und nichts davon wussten", sagt Bremer. Bei einer
Umfrage unter homosexuellen Männern in Hamburg in diesem Jahr war
jeder 25. Teilnehmer HIV-positiv ohne es zu wissen. In der Tat liegt
in der regelmäßigen Testung weiterhin ein Problem: Einige Städte und

Regionen fahren ihr Angebot an schnellen, niedrigschwelligen
Testmöglichkeiten für HIV und sexuell übertragbare Krankheiten zurü
ck
- aus Geldnöten. Auch in Berlin wird seit Monaten um die
Weiterfinanzierung dieser Projekte gerungen.

Aber nicht nur in Großstädten ist HIV ein Thema. "HIV ist viel
mehr als vor Jahren in die gesamte Bevölkerung gestreut", sagt Armin
Schafberger von der Deutschen Aidshilfe. Grund dafür sind vor allem
Datingportale und Chatrooms im Internet. "Heute ist es auch auf dem
Land oder in der Kleinstadt möglich, noch für den selben Abend einen
Sexualpartner zu finden", sagt Schafberger. Laut Bremer sind es oft
aber gerade Männer, die außerhalb von Großstadt-Szenen und vielleicht

auch nicht offen schwul leben, die sich weniger gut schützen und auch
seltener testen lassen. "Hier müssen wir auch im Internet noch mehr
für die Aufklärung tun", sagt sie.

Auch Doreen, die heute ehrenamtlich in Braunschweiger Schulen über
ihr Schicksal erzählt, will sich künftig für mehr HIV-Aufklärung im

Web engagieren - mit selbstgemachten Videos. "Um auf die
Diskriminierungen und Vorurteile aufmerksam machen, mit denen
HIV-Positive immer noch zu kämpfen haben - beim Arzt, unter Kollegen
und Freunden." Jahre, nachdem ihr Leben durch die Diagnose auf den
Kopf gestellt wurde, hat sich für sie vieles in Job, Freundeskreis
und Familie wieder glücklich zusammengefügt. "Und mein größter Wuns
ch
ist auch in Erfüllung gegangen", sagt sie mit Blick auf die Kampagne
zum diesjährigen Weltaids-Tag und lacht wieder, dass ihre Ohrringe,
glitzernde Notenschlüssel, nur so wackeln: "Ich bin riesiger Sarah
Connor-Fan. Ihre Musik hat mir geholfen, als es mir ganz schlecht
ging. Und auf den Kampagnen-Fotos ist Sarah nun an meiner Seite. Das
ist grandios!"

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