Vor Bundestags-Votum: Bürger sehen Organspenden generell positiv Von Sascha Meyer, dpa

Es ist eine sensible Frage: Würde man nach dem Tod Organe spenden, um
Schwerkranken zu helfen? Ganz allgemein finden das viele gut - aber
auch ganz konkret? Einstellungen dazu gehen teilweise auseinander.

Berlin (dpa) - Vor dem wegweisenden Bundestags-Votum zur Zukunft von
Organspenden in Deutschland ist die grundsätzliche Zustimmung laut
einer neuen Umfrage weiterhin hoch. 84 Prozent der Bundesbürger
stehen Organspenden generell eher positiv gegenüber, wie die Umfrage
im Auftrag der Techniker Krankenkasse ergab. Allerdings gibt es laut
den Ergebnissen, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, auch
Unterschiede - und längst nicht so viele Menschen haben tatsächlich
einen Spendeausweis. Die Abstimmung im Bundestag an diesem Donnerstag
über zwei Vorstöße für neue Spenderegeln wird mit Spannung erwartet
.

Am höchsten ist die prinzipielle Zustimmung der Umfrage zufolge bei
jungen Leuten zwischen 18 und 29 Jahren mit 93 Prozent. Schlusslicht
sind demnach die 50- bis 69-Jährigen. Von ihnen sehen aber auch noch
79 Prozent Organspenden eher positiv. Eher negativ eingestellt sind 8
Prozent aller Befragten, weitere 8 Prozent äußerten sich neutral. Für

die Umfrage wurden den Angaben zufolge vom 4. bis 16. Dezember 2019
bundesweit 1002 Menschen ab 18 Jahre telefonisch vom Institut Forsa
zu verschiedenen Gesundheitsthemen befragt.

Einen ausgefüllten Organspendeausweis haben demnach 40 Prozent der
Befragten. Man kann damit aber nicht nur Zustimmung, sondern auch ein
Nein dokumentieren. Einen Ausweis mit angekreuztem Ja haben laut der
Umfrage 37 Prozent aller Befragten. Insgesamt zeigen sich ebenfalls
Unterschiede je nach Alter. Unter den Jüngeren von 18 bis 29 hat
jeder Zweite überhaupt einen Spendeausweis (51 Prozent), ab 70 ist es
noch jeder Vierte (25 Prozent). Bei den Altersgruppen dazwischen
liegt dieser Anteil zwischen 40 und 45 Prozent.

Auch regional gibt es Unterschiede. Den bundesweit höchsten Zuspruch
haben Organspenden laut der Umfrage in Nordrhein-Westfalen: Dort
sehen 90 Prozent Organspenden generell eher positiv, 47 Prozent der
Befragten haben nach eigenen Angaben auch einen Organspendeausweis.
Deutlich schwächer ist die Verbreitung dagegen im Osten. In Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen haben demnach 27 Prozent
Spendeausweise. In der Auswertung der Umfrage wurden Länder teils zu
Gruppen zusammengezogen, um eine repräsentative Befragtenzahl zu
gewährleisten, wie es zur Erläuterung hieß.

Hohe generelle Zustimmung einerseits, aber eine niedrigere konkrete
Spendebereitschaft: Das ist auch ein zentrales Motiv für die beiden
Abgeordnetengruppen, die sich jetzt für neue Regeln stark machen.
Dabei ist es das gemeinsame Ziel, angesichts von knapp 10 000
Schwerkranken auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen.
Beide Vorstöße sehen dafür ein neues zentrales Register vor, in dem
Ärzte vor Transplantationen Erklärungen Verstorbener abfragen können.


Im Kern geht es aber um gegensätzliche Vorschläge: Eine Gruppe um
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Fachpolitiker Karl
Lauterbach will das bisherige Prinzip radikal umkehren, wonach
Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja zulässig sind. Sie
strebt eine «doppelte Widerspruchslösung» an, bei der alle Bürger
automatisch als Spender gelten sollen. Man soll dazu aber jederzeit
Nein sagen können - ansonsten wäre noch bei Angehörigen nachzufragen,

ob ihnen ein Widerspruch des Verstorbenen bekannt ist.

Die andere Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die
Linke-Vorsitzende Katja Kipping lehnt einen so tiefen Eingriff in die
Selbstbestimmung ab. Sie schlägt vor, alle Bürger mindestens alle
zehn Jahre beim Ausweisabholen aufs Thema Organspende anzusprechen.
Die AfD hat einen Antrag eingebracht, der eine Widerspruchslösung
ablehnt und unter anderem für unabhängige staatliche Kontrollen des
Systems der Organvergaben plädiert.

Abstimmen sollen die Abgeordneten im Bundestag ohne sonst übliche
Fraktionsvorgaben. Vorgesehen ist nach dpa-Informationen, dass als
erstes über den Gesetzentwurf der Gruppe um Spahn entschieden werden
soll, der die weitestgehende Veränderung bedeuten würde. Bekommt er
die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wäre die Widerspruchslösung
beschlossen. Ansonsten soll dann als nächstes über den Entwurf der
Gruppe um Baerbock abgestimmt werden.

Die Mehrheitsverhältnisse sind schwer einzuschätzen. Bei einer ersten
offenen Debatte waren breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung
deutlich geworden. Als im Sommer 2019 die Gesetzentwürfe eingebracht
wurden, hatte die Gruppe um Spahn vorab 222 Unterstützer, darunter
Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Entwurf der Baerbock-Gruppe hatte
191 Unterschriften. Insgesamt gibt es aber 709 Abgeordnete.

Spahn sagte dem «Tagesspiegel» (Samstag), eine Widerspruchsregelung
werde nach seiner Überzeugung einen kulturellen Wandel bewirken.
«Normal wäre dann die Bereitschaft zur Spende. Aktiv müssten nicht
mehr diejenigen werden, die das wollen, sondern die, die für sich
entscheiden, dass sie nicht Organspender sein möchten.»

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will bei der Abstimmung
zur Organspende im Bundestag in der kommenden Woche gegen den
Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stimmen. Das
bestätigte ihr Ministerium der «Welt am Sonntag». Laut der Zeitung
ist Lambrecht damit das einzige Kabinettsmitglied mit
Bundestagsmandat, das sich gegen den Spahn-Vorschlag stellt.