Streit um Abtreibungsrecht neu entbrannt

Sollen frühe Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch
stehen? Zu dieser schwierigen Frage soll es jetzt Empfehlungen von
Experten geben.

Berlin (dpa) - Über eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts in
Deutschland ist neuer Streit entbrannt. In der kommenden Woche werden
dazu Vorschläge einer Regierungskommission vorgestellt - und laut
einem «Spiegel»-Bericht wollen die Experten eine generelle
Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten
zwölf Wochen empfehlen. Bisher ist eine Abtreibung nach Paragraf 218
des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet
in den ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten
lassen. Von Union und AfD kam Protest gegen eine solche generelle
Straffreiheit. Die Organisation Pro Familia und die Linke im
Bundestag warben für eine Regelung außerhalb des Strafrechts. 

CDU-Chef Friedrich Merz machte deutlich, dass Kanzler Olaf Scholz
(SPD) ein Aufweichen des Paragrafen 218 verhindern sollte. «Obwohl
sie eine kleine Hoffnung ist, aber ich habe die Hoffnung, dass der
Bundeskanzler die Kraft besitzt, die Koalition davon abzubringen,
einen weiteren gesellschaftlichen Großkonflikt in dieses Land
hineinzutragen», sagte der Unionsfraktionschef am Dienstag in Berlin.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte vor einem «weiteren
Baustein in der Polarisierung der Gesellschaft». Mit dem Paragrafen
218 sei vor 30 Jahren ein schwierigster Kompromiss erarbeitet worden
- «der für viele nicht zufriedenstellend ist, der aber einen
gesellschaftlichen Frieden hergestellt hat über dieses Thema».
Dobrindt nannte auch schon eine Klage beim Bundesverfassungsgericht
als Option.

Der Abschlussbericht der Regierungskommission, die vor gut einem Jahr
die Arbeit aufgenommen hatte, soll am kommenden Montag vorgestellt
werden. Dem Gremium gehören 18 Expertinnen und Experten aus Medizin,
Psychologie, Soziologie, Ethik und Recht an. Das Gesundheits- und das
Familienministerium äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht und
verwiesen auf die Vorstellung der Empfehlungen. Familienministerin
Lisa Paus (Grüne) hatte in der Vergangenheit mehrfach angedeutet,
sich eine Neuregelung vorstellen zu können. 

Laut «Spiegel» heißt es in dem Bericht der Kommission: «Die
grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der
Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar.» Verwiesen werde
darauf, dass die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch einer
verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen
Prüfung nicht Stand hielten. Sobald ein Fötus eigenständig
lebensfähig sei, sollten Abbrüche aber verboten bleiben. Die Grenze
liege etwa in der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation,
empfehle die Kommission.

Der Pro Familia Bundesverband mahnte dringenden Handlungsbedarf an.
Die Regierung müsse mögliche Gestaltungsspielräume umfassend nutzen
und Abbrüche vollständig entkriminalisieren. Zudem müssten
Beratungspflicht und Wartezeiten abgeschafft werden. Menschenrechte
und effektiver Lebensschutz verlangten, Entscheidungsmöglichkeiten zu
erweitern, nicht einzuschränken. Die Linke-Gruppe im Bundestag pochte
auf eine Entkriminalisierung und ein Recht auf Beratung statt einer
Beratungspflicht. Krankenkassen sollten die Kosten für Abbrüche
übernehmen.

Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas erklärte dagegen, die
jetzige Regelung sei keine völkerrechtswidrige Kriminalisierung der
Abtreibung, sondern ein ausgewogenes Konzept, das das Leben des
Kindes über die Selbstbestimmung der Frau schütze. Deshalb sei nach
Vorlage des Kommissionsberichts eine gründliche Diskussion notwendig.
Die AfD-Familienpolitikerin Mariana Harder-Kühnel warnte, ein Wegfall
der bislang notwendigen Beratungspflicht würde eine Missachtung der
grundgesetzlich geschützten Menschenwürde des ungeborenen Lebens
darstellen.

SPD, FDP und Grüne hatten die Einsetzung einer «Kommission zur
reproduktiven Selbstbestimmung» im Koalitionsvertrag vereinbart, die
unter anderem Regulierungen für Schwangerschaftsabbrüche außerhalb
des Strafgesetzbuches prüfen sollte. Nicht strafbar ist ein Abbruch
nach derzeitiger Rechtslage auch, wenn medizinische Gründe vorliegen
oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Laut
Statistischem Bundesamt gab es 2022 in Deutschland rund 104 000
gemeldete Schwangerschaftsabbrüche.

Die Bundesregierung hatte bereits im ersten Jahr ihrer Amtszeit eine
weitreichende Gesetzesänderung im Zusammenhang mit
Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg gebracht: Sie schaffte den
umstrittenen Paragrafen 219a ab, der zuvor das «Werbeverbot» für
Abtreibungen geregelt und immer wieder dazu geführt hatte, dass
Ärztinnen und Ärzte sich strafbar machten, wenn sie öffentlich
Informationen dazu zur Verfügung stellten.