Pflege vor Kipppunkten - Beitrag könnte um 0,2 Prozent steigen Von Basil Wegener, dpa

Die Regierung wollte die Pflege für einige Jahre stabilisieren - doch
nun zeigt sich: Das Geld dürfte nicht mehr lange reichen. Und in
einigen Bundesländern geht wohl schon bald der Nachwuchs aus.

Berlin (dpa) - Den Beitragszahlern droht schon bald eine weitere
Erhöhung der Pflegebeiträge. «Wir stehen vor der Notwendigkeit, den
Beitragssatz zur Pflegeversicherung voraussichtlich zum kommenden
Jahreswechsel anzuheben - und zwar nach dem derzeitigen Rechenstand
um etwa zwei Beitragszehntel», sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm
am Dienstag bei der Vorstellung des neuen DAK-Pflegereports in
Berlin. Die Studienautoren schlagen zudem wegen wachsenden
Personalnotstands Alarm, während es zugleich immer mehr
Pflegebedürftige gibt.

Die Engpässe nähmen deutschlandweit zu, sagte Studienleiter Thomas
Klie. Doch in einzelnen Bundesländern wie Bayern, Bremen oder
Sachsen-Anhalt sei der Kipppunkt bereits in fünf Jahren erreicht:
Voraussichtlich 2029 werde die Zahl der Schulabgänger von
Pflegeschulen das rentenbedingte Ausscheiden der Babyboomer aus dem
Beruf hier nicht mehr ausgleichen können. Storm und Klie forderten
die Politik zu mehr Investitionen in die Pflege auf. «Wenn die Pflege
beim politischen Agenda-Setting auf der Strecke bleibt, ist das der
sichere Einstieg in den Niedergang», sagte der Freiburger
Wissenschaftler Klie.

Höhere Beiträge

Eigentlich sollten die Finanzen der Pflegeversicherung bis 2025
abgesichert sein. Dafür hatte der Bundestag im vergangenen Jahr einen
Beitragsanstieg für Kinderlose auf 4 Prozent und für Beitragszahler
mit einem Kind auf 3,4 Prozent beschlossen. Der Arbeitgeberanteil
ging auf 1,7 Prozent herauf. Bei mehr Kindern sinkt der Beitrag. Der
Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen
prognostizierte noch im Oktober Handlungsbedarf bei den Beiträgen
spätestens für 2025. Storm sagte nun: «Es zeichnen sich bereits jetzt

erhebliche Finanzierungslücken ab, die eine Beitragssatzerhöhung zum
kommenden Jahreswechsel wahrscheinlich machen.»

Denn die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung sei dann nicht mehr
sichergestellt - die Ausgaben, die die Pflegekassen monatlich zu
leisten hätten, würden dann die verbliebenen Rücklagen übersteigen.

Storm beklagte, dass die Regierung anders als versprochen fünf
Milliarden Euro an Vorleistungen zur Corona-Pandemie nicht an die
Pflegekassen zurückgezahlt habe. Im Zuge der Haushaltseinsparungen
für dieses Jahr sei zudem ein Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro
gestrichen worden. 

Der Kassenchef warnte davor, dass die Politik die Pflegeversicherung
weiter knapp hält. «Dann sind auch weitere Beitragssatzerhöhungen in

den kommenden Jahren nicht zu vermeiden.» In der Bevölkerung dagegen
betrachten es 60 Prozent als wichtig, dass die Beiträge für die
Kranken- und Pflegeversicherung nicht weiter steigen. Das zeigt eine
Allensbach-Umfrage für den Pflegereport.

Jede fünfte Pflegekraft muss ersetzt werden

Hauptproblem den kommenden Jahren ist laut Pflegereport: Immer mehr
Ältere brauchen pflegerische Unterstützung - professionell Pflegende
werden zugleich selbst älter und scheiden verstärkt aus dem Beruf
aus. Zuletzt waren in Deutschland 5,2 Millionen Menschen auf
pflegerische Unterstützung angewiesen - in 25 Jahren dürften es 2,3
Millionen mehr sein. Die Rekrutierung von Pflege-Nachwuchs könne
damit wohl in keiner Weise Schritt halten: Während heute rund 26 000
Menschen mehr neu in den Pflegeberuf eintreten als aus Altersgründen
ausscheiden, sinkt diese Arbeitsmarktreserve in fünf Jahren auf gut
5000.

So gab es laut der Studie 2023 über 1,14 Millionen professionell
Pflegende in Deutschland. Mehr als jede und jeder Fünfte von ihnen
erreiche in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter. In jedem
Bundesland müssten dann um die 20 Prozent des Personals ersetzt
werden - der Bedarf variiere zwischen 19,7 Prozent in Sachsen und
26,5 Prozent in Bremen.

Kipppunkte noch in diesem Jahrzehnt

«In einzelnen Bundesländern werden noch in diesem Jahrzehnt
Kipppunkte erreicht, an denen deutlich mehr Pflegende in den
Ruhestand gehen als Nachwuchskräfte in den Beruf einsteigen», so der
Report. Klie erklärte es mit mangelnden flächendeckenden
Investitionen in Pflegeausbildung, warum Bayern zu den
Schlusslichtern bei der Gewinnung ausreichenden Pflege-Nachwuchses
zähle. In Nordrhein-Westfalen hingegen sei ein Kipppunkt wegen
starker öffentlicher Investitionen in die Ausbildung in der
Vergangenheit nicht absehbar - allerdings gebe es auch hier regional
auftretende Engpässe.

Klie räumte zwar mit manchen Vorurteilen auf, die es gegenüber dem
Pflegeberuf gebe. So handele es sich um den bestbezahlten nicht
akademischen Ausbildungsberuf. Es habe 2021 auch so viele
Pflege-Auszubildende insgesamt gegeben wie noch nie zuvor. Doch trotz
guter Ausbildungszahlen gebe es keinen ausreichenden Puffer gegen das
Älterwerden der Belegschaften. Zuwanderung und Programme zum
Wiedereinstieg ausgeschiedener Pflegekräfte seien wichtig - doch auch
sie reichten nicht aus.