Mit modifizierten Mücken im Kampf gegen Dengue in Brasilien Von Philipp Znidar, dpa

Es ist der schlimmste Dengue-Ausbruch in Brasilien - wahrscheinlich
sogar in ganz Amerika. Nun sollen ausgerechnet Mücken die von Mücken
übertragene Tropenkrankheit bekämpfen.

Rio de Janeiro (dpa) - Es ist tropisch-schwül und es schwirrt und
zuckelt in dem Labor in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro.
Millionen Mücken werden hier gezüchtet, die dabei helfen sollen,
eines der größten Gesundheitsprobleme der Gegenwart in dem
südamerikanischen Land zu bekämpfen. Denn Brasilien erlebt derzeit
den schwersten Dengue-Ausbruch seiner Geschichte. 

Seit Jahresbeginn wurden in dem südamerikanischen Land knapp drei
Millionen wahrscheinliche Infektionen mit dem Dengue-Virus
registriert, wie das Gesundheitsministerium am Mittwoch mitteilte.
Den historischen Rekord von 2015, als im ganzen Jahr rund 1,6
Millionen Dengue-Fälle registriert wurden, hat Brasilien schon lange
gebrochen. Bislang wurden 1117 Todesfälle aufgrund einer
Dengue-Infektion bestätigt - auch das ist ein trauriger Rekord. Das
sind mehr Tote seit Jahresbeginn als im ganzen Jahr 2023, als es 1094
Todesfälle gab. Insgesamt 1806 weitere Verdachtsfälle werden noch
untersucht. Die Dunkelziffer dürfte jedoch um ein Vielfaches höher
sein. Zehn Bundesstaaten und der Hauptstadtdistrikt haben
mittlerweile den Gesundheitsnotstand ausgerufen.

Im Labor gezüchtete Mücken

Um gegen die massive Ausbreitung des Dengue-Fiebers vorzugehen, gibt
es verschiedene Möglichkeiten. Eine Strategie: modifizierte Moskitos.
Das World Mosquito Program (WMP) hat eine Methode entwickelt, um
Viren in Mücken zu neutralisieren, mithilfe von Wolbachia-Bakterien,
die in vielen Insektenarten natürlich vorkommen. Forscher haben
herausgefunden, dass dieses Bakterium das Wachstum von Viren wie
Dengue-Erregern in Gelbfiebermücken (Aedes aegypti) - die unter
anderem diese Viren übertragen - verhindert und das Auftreten in der
Bevölkerung verringert.

«In der Biofabrik wird die gesamte für die Stechmücke notwendige
Umgebung nachgebildet», sagt ein WMP-Sprecher. Die Temperatur liege
zwischen 28 und 30 Grad, die Umgebung sei feucht. Jede Woche würden
etwa zehn Millionen Mückeneier mit Wolbachia-Bakterien produziert,
die Mücken werden dann in Gebieten freigelassen, in denen
Dengue-Viren stark verbreitet sind. Durch Fortpflanzung verbreiten
sie die Wolbachia-Bakterien über mehrere Generationen hinweg.

In Niterói, der Schwesterstadt von Rio de Janeiro auf der
gegenüberliegenden Seite der Guanabara-Bucht, wurde die Verbreitung
von Dengue mit dieser Methode bereits deutlich reduziert. Seit 2015
werden dort mit Wolbachia-Bakterien versehene Mücken ausgesetzt.
Dadurch sei die Zahl der Dengue-Infektionen um 70 Prozent gesunken,
teilte das Forschungsinstitut Fiocruz nach einer Studie 2021 mit.
Auch in Rio werden diese Mücken im Labor gezüchtet, allerdings werden
sie bisher nur in einigen Vierteln ausgesetzt - anders als in
Niterói, wo sie laut dem WMP-Sprecher im gesamten Gebiet freigelassen
werden. Die Inzidenz, gemessen in Fällen pro 100 000 Einwohner, liegt
in Rio laut Gesundheitsministerium etwa siebenmal höher als in
Niterói. 

Dengue-Fieber - wegen der Schmerzen manchmal Knochenbrecherkrankheit
genannt - ist in den Tropen und Subtropen weit verbreitet. Häufig
sind die Verläufe mild, und nicht jeder Infizierte erkrankt. Auslöser
für den starken Anstieg dürften die heftigen Regenfälle und die hohen

Temperaturen der vergangenen Monate gewesen sein. Unter diesen
Bedingungen kann sich die Gelbfiebermücke besonders gut entwickeln.

Faktoren für den drastischen Anstieg

Doch das Klima ist laut Wissenschaftlern nicht der einzige Grund für
den Anstieg. Die brasilianischen Städte wachsen, damit könne die
sanitäre Infrastruktur oft nicht Schritt halten, heißt es in einem
kürzlich veröffentlichten Artikel im Fachjournal «Nature».
Ungesammelter Müll werde zu einem Nährboden für Insekten, ebenso wie

aufbewahrtes Wasser von Menschen, die keinen regelmäßigen Zugang zu
Leitungswasser hätten.

Auch eine eingeschränkte natürliche Immunität trägt dem
«Nature»-Bericht zufolge zu dem Anstieg bei. Dengue-Fieber wird durch
vier verschiedene Subtypen der Viren verursacht. Nach mehreren
Jahren, in denen die ersten beiden Subtypen in Brasilien
vorgeherrscht hätten, seien in jüngster Vergangenheit die anderen
beiden zurückgekehrt. Viele Brasilianer seien für diese Subtypen
anfällig und hätten daher ein höheres Risiko, zu erkranken.

Im Februar startete Brasilien mit einem neuen Vakzin eine
Impfkampagne, allerdings vorerst vor allem für Kinder und
Jugendliche. Insgesamt 3,2 Millionen Menschen sollen laut
Gesundheitsministerium in diesem Jahr mit den beiden Dosen geimpft
werden. Kritikern zufolge ist das in dem Land mit mehr als 200
Millionen Einwohnern zu wenig. 

«Um einen Einfluss auf die Raten zu haben, bräuchten wir eine
Massenimpfung», sagt Ana Lúcia de Oliveira, Expertin für
Infektionskrankheiten an der Bundesuniversität in Campo Grande im
Bundesstaat Mato Grosso do Sul, dem «Nature»-Bericht zufolge. Und
selbst eine weitverbreitete Impfung kann laut Forschern die Krankheit
nicht besiegen, wenn die grundlegenden Hygieneprobleme nicht
angegangen werden. 

Rund 3,5 Millionen Dengue-Fälle in Amerika

Nicht nur Brasilien - auch andere Länder des Kontinents hat die
Ausbreitung des Dengue-Fiebers erreicht: Mehr als 3,5 Millionen
Erkrankungen wurden in den ersten drei Monaten auf dem gesamten
amerikanischen Kontinent gemeldet, wie die Panamerikanische
Gesundheitsorganisation (PAHO) Ende März mitteilte. «Dies ist
besorgniserregend, denn es sind dreimal so viele Fälle wie im
gleichen Zeitraum des Jahres 2023 - einem Rekordjahr mit mehr als 4,5
Millionen gemeldeten Fällen in der Region», sagte PAHO-Direktor
Jarbas Barbosa. Die PAHO sprach von dem wahrscheinlich schlimmsten
Dengue-Ausbruch in der Geschichte des Kontinents. 

Neben Brasilien sind Paraguay und Argentinien am stärksten betroffen.
Mit mehr als 215 000 bestätigten Infektionen registriert Argentinien
die schwerste Dengue-Epidemie der vergangenen 15 Jahre. Im Großraum
Buenos Aires sind viele Krankenhäuser überlastet, rund 90 Prozent der
Patienten suchen den Bereitschaftsdienst wegen Verdachts auf Dengue
auf, wie die Zeitung La Nación» berichtete. In Peru wurde für den
Großteil des Landes der Notstand erklärt.

Zunahme in Europa erwartet

Mittlerweile warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch für
Europa vor einer Zunahme an Dengue-Infektionen. Die Tropenkrankheit
ist zwar in Europa nicht endemisch und die meisten Fälle werden
reisebedingt importiert - doch wächst angesichts der steigenden
Temperaturen die Gefahr der Verbreitung von Tiger- und
Gelbfiebermücken. Wenn es wärmer werde, könnten Eier den Winter
überleben und Larven schlüpfen, heißt es. 2023 meldeten Italien,
Frankreich und Spanien lokal übertragene Dengue-Infektionen.