Psychiater empfahl Verlegung von Ibrahim A. aus U-Haft in Psychiatrie Von Sönke Möhl, dpa

Im Brokstedt-Prozess wird das Bild psychischer Probleme beim
Angeklagten deutlicher. Für einen Psychiater ist klar: Ibrahim A.
hätte aus der Untersuchungshaft verlegt werden sollen.

Itzehoe (dpa/lno) - Hätte der Angeklagte im Mordprozess um den
Angriff im Regionalzug in Brokstedt aus der Untersuchungshaft nach
der Tat in eine psychiatrische Einrichtung verlegt werden sollen? Aus
Sicht eines Professors für Psychiatrie, der am Montag vor dem
Landgericht Itzehoe als Zeuge aussagte, ist die Antwort klar. Er habe
die Verlegung aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neumünster in eine
Klinik mehrfach angeregt, sagte der Arzt. Er habe ab dem 31. Januar
2023 viermal mit Ibrahim A. in der JVA gesprochen und dabei den
Verdacht einer Psychose gewonnen. Einzelgespräche mit dem
Palästinenser seien nicht möglich gewesen, weil er als gefährlich
galt.

Beim ersten Treffen sei Ibrahim A. gut zugänglich und freundlich
gewesen. Er habe damals von sich selbst als angegriffenes Opfer und
nicht als Täter berichtet. In dem Gespräch habe er oft nach hinten
geschaut und abgelenkt gewirkt. Halluzinationen habe er verneint. Er
habe gesagt, er müsse «vorne zuhören und hinten etwas anderes
denken». Ibrahim A. habe verneint, dass er sich verfolgt fühlt. Er
habe aber berichtet, dass er im Gazastreifen Verfolgungen ausgesetzt
gewesen sei.

Später habe Ibrahim A. in seiner Zelle randaliert und halluziniert.
Er habe davon berichtet, zum Suizid aufgefordert worden zu sein. Der
palästinensische Geheimdienst stehe regelmäßig vor seiner Zellentür
.
Seine Zelle werde mit Kameras überwacht und die Bilder würden auf
allen Fernsehkanälen übertragen. Ibrahim A. sei daraufhin mit
Psychopharmaka behandelt worden, sagte der Professor. In weiteren
Gesprächen sei der Angeklagte abweisend gewesen. Auch ein Psychiater
aus der JVA in Hamburg hatte als Zeuge bereits von der
Verdachtsdiagnose einer Psychose berichtet. In der JVA Billwerder
hatte Ibrahim A. bis wenige Tage vor der Tat eingesessen.

Der Zeuge sagte, er habe die Verlegung von Ibrahim A. auf die
Sicherungsstation der JVA Lübeck für ungünstig gehalten. Dorthin war

er aus Sicherheitsgründen gekommen. Der Vorsitzende Richter
erwiderte, das Gericht habe entsprechende Berichte des Psychiaters
nicht gekannt. Der Angeklagte habe den Arzt erst vor wenigen Tagen
von seiner Schweigepflicht entbunden. Der Verteidiger betonte, er
habe die Staatsanwaltschaft auf die Empfehlung des Psychiaters zur
Verlegung hingewiesen. Damals sei die Hauptverhandlung noch nicht
eröffnet gewesen. 

Ibrahim A. steht seit Juli 2023 vor Gericht, weil er am 25. Januar
2023 im Regionalzug von Kiel nach Hamburg ein Messer gezogen und auf
Fahrgäste eingestochen hat. Der Angeklagte streitet die Taten nicht
ab. Zwei junge Menschen starben, vier Fahrgäste wurden schwer
verletzt. Die Staatsanwaltschaft hält den Palästinenser für voll
schuldfähig. Er habe aus Frustration über einen für ihn erfolglosen
Termin bei der Ausländerbehörde in Kiel gehandelt. Die Verteidigung
geht dagegen von einer psychischen Erkrankung des Angeklagten aus und
fordert seit Monaten seine Verlegung von der Untersuchungshaft in
eine Psychiatrie. Der Prozess wird von einem psychiatrischen
Gutachter begleitet. Wesentlich für das Urteil dürfte sein, wie der
Gutachter den psychischen Zustand des Angeklagten zum Tatzeitpunkt
beurteilt.

Weitere Verhandlungstermine sind bis zum 15. Mai angesetzt. Dann
könnte nach rund zehn Monaten Verhandlungsdauer ein Urteil gesprochen
werden.