«Hochsensible Materie»: Ampel will Empfehlungen zu Abtreibung prüfen Von Fatima Abbas und Jörg Ratzsch, dpa

Die Debatte um die Strafbarkeit von Abtreibungen geht weiter.
Unabhängige Experten haben ihre Empfehlungen an die Regierung
übergeben. Doch die will noch überlegen.

Berlin (dpa) - Bleiben Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich
weiter strafbar? Wer am Montag konkrete Antworten auf diese Frage
erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Die Bundesregierung wolle die
Empfehlungen von Expertinnen und Experten jetzt erst einmal sehr
genau prüfen, hieß es unisono von drei Bundesministern, denen eine
Botschaft sehr wichtig zu sein schien: Das Thema ist zu ernst für
Polemik und überhastete Entscheidungen. Kurz davor hatte eine
Expertenkommission der Bundesregierung unter anderem empfohlen,
Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen künftig
grundsätzlich zu erlauben. Ein Thema, über das schon in den
vergangenen Tagen kontrovers diskutiert worden war - weil Teile des
Berichts an die Öffentlichkeit gelangt waren. 

Die Bundesregierung hatte die Experten vor gut einem Jahr damit
beauftragt, sich den schwierigen Fragen des Schwangerschaftsabbruchs,
der Eizellspende und der Leihmutterschaft zu widmen. Zu den beiden
letzteren Komplexen halten die Experten auch eine Legalisierung unter
bestimmten Voraussetzungen für möglich. Sowohl die Spende von
Eizellen als auch die Leihmutterschaft sind in Deutschland bislang
verboten. 

Keine Festlegung auf Legalisierung von Abbrüchen

Eine Aussage zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den
ersten zwölf Wochen wollten weder Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) noch seine anwesenden Kabinettskollegen
Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus
(Grüne) am Montag treffen. Es brauche bei einer so «hochsensiblen
Materie» einen «breiten gesellschaftlichen und natürlich auch
parlamentarischen Konsens», erklärte Lauterbach. «Was wir nicht
brauchen, ist eine weitere Debatte, die die Gesellschaft spaltet.»
Die Empfehlungen würden jetzt regierungsintern beraten und
anschließend an die Fraktionen weitergeleitet. Einen Zeithorizont
könne noch niemand nennen.

Was bislang gilt

Eine Abtreibung ist in Deutschland nach Paragraf 218 des
Strafgesetzbuches grundsätzlich rechtswidrig, aber nicht strafbar,
wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau
sich zuvor hat beraten lassen. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem,
wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer
Vergewaltigung vorgenommen wird. Laut Statistischem Bundesamt gab es
in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt knapp 104 000
Schwangerschaftsabbrüche. Kommissionsmitglied Frauke Brosius-Gersdorf
weist darauf hin, dass die grundsätzliche Strafbarkeit derzeit zu
einer unsicheren Situation für Frauen führe, weil Abtreibung «als
Unrecht gekennzeichnet» sei. Würde die Illegalität aufgehoben, würd
en
auch die Krankenkassen die Kosten für den Eingriff regulär
übernehmen. Laut den Experten belaufen sie sich derzeit auf bis zu
600 Euro. Für Frauen mit wenig Geld würden die Kosten auch jetzt
schon übernommen - aber erst auf einen Antrag hin. 

Lauterbach verspricht bessere Versorgung bei Abbrüchen

Immerhin zur Versorgung von Frauen, die einen Abbruch vornehmen
lassen wollen, versprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
(SPD) Verbesserungen - ganz unabhängig von der Frage der
Legalisierung. «Wir haben hier große Probleme, die Verfügbarkeit ist

nicht gegeben», sagte der Minister mit Blick auf die flächendeckende
Versorgung mit entsprechenden Stellen und Arztpraxen. Die Hindernisse
für Betroffene seien «nicht akzeptabel». Nach der kürzlich
veröffentlichten «Elsa-Studie» haben vor allem Frauen im Süden und

Westen Deutschlands Probleme, einen Eingriff innerhalb einer Distanz
von 40 Minuten Autofahrt vornehmen zu lassen. Das werde die
Bundesregierung angehen, versprach Lauterbach.

Der Minister ließ auch durchblicken, dass er das aktuell geltende
Verbot, Eizellen zu spenden, für überholt halte. Hier sehe er
«Handlungsbedarf», sagte Lauterbach. Die wissenschaftliche Basis habe
sich seit dem Verbot vor 30 Jahren geändert. Verboten wurde die
Eizellspende damals insbesondere mit dem Argument der «gespaltenen
Mutterschaft»: Zu befürchten seien Schäden für das Kind, da die
gebärende Mutter nicht die genetische Mutter sei, hieß es. Diese
Sorgen hätten sich nicht bestätigt, sagte Lauterbach mit Verweis auf
die Erfahrungen in anderen Ländern. Deutschland sei neben Luxemburg
das einzige Land in der Europäischen Union, das die Eizellspende
weiterhin verbiete.

Bevölkerung lehnt Strafbarkeit von Abtreibungen mehrheitlich ab

Auch in der Bevölkerung scheint die Stimmung eine andere zu sein als
noch vor Jahrzehnten. Das zeigt sich besonders deutlich mit Blick auf
das Thema Schwangerschaftsabbrüche. Einer aktuellen repräsentativen
Civey-Befragung im Auftrag des Familienministeriums zufolge, die der
Tageszeitung «taz» vorab vorlag, halten es 80 Prozent der Deutschen
für falsch, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach einer
verpflichtenden Beratung rechtswidrig ist. 75 Prozent finden zudem,
dass Abbrüche künftig eher nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt
werden sollten.

Schwierige Lage auch für Ärzte

Kommissionsexpertin Liane Wörner weist darauf hin, dass es zwar
derzeit zu wenigen Verurteilungen im Zusammenhang mit
Schwangerschaftsabbrüchen komme. Das heiße aber nicht, dass es keine
Fälle von Strafverfolgung gebe. Denn auch das zeigt die Elsa-Studie,
für die auch Ärztinnen und Ärzte zu ihren Erfahrungen mit
Schwangerschaftsabbrüchen befragt worden waren: 17 Prozent von ihnen
gaben an, angezeigt worden zu sein, weil sie über Abbrüche informiert
oder sie vorgenommen hatten. Jeder vierte berichtete von Bedrohungen
und Angriffen. Es seien also nicht nur die ungewollt Schwangeren
selbst, die durch die Strafbarkeit von Abbrüchen betroffen seien,
sondern auch alle anderen Beteiligten.

Die Zeiten hätten sich geändert, das müsse sich auch in der
Gesetzgebung widerspiegeln, so der einhellige Appell der Kommission.
Ein Appell, den einige teilen, andere aber scharf kritisieren. Die
Union beispielsweise ist strikt gegen Lockerungen im Abtreibungsrecht
und warnt die Bundesregierung vor einem «Dammbruch». Ob es
tatsächlich zu Lockerungen kommen wird, ist derzeit unklar. Klar ist:
Der Prozess wird kein leichter sein - und noch viele Debatten mit
sich bringen.