Boehringer steckt Milliarden in Zukunft - Mahnung gen Berlin

Boehringer schraubt seinen Umsatz mit am Markt etablierten Präparaten
nach oben - und steckt viel Geld in die Zukunft und die Entwicklung
neuer Produkte.

Ingelheim (dpa/lrs) - Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim baut mit
Milliardeninvestitionen in Forschung und Entwicklung und einer ganzen
Reihe an Studien an seiner Zukunft. Im Geschäftsjahr 2023 bescherten
vor allem die üblichen Wachstumstreiber im Humanpharma-Geschäft den
Ingelheimern ein Umsatzwachstum. 

Konzernchef Hubertus von Baumbach sprach am Dienstag von einem sehr
starken Jahr für Boehringer. Deutschlandchef Fridtjof Traulsen
bereiten Rahmenbedingungen hierzulande Sorgen.

Der Konzernumsatz kletterte im vergangenen Jahr um 9,7 Prozent auf
25,6 Milliarden Euro. Während die Sparte Humanpharma um 10,3 Prozent
zulegte, kam der Bereich Tiergesundheit auf ein Plus von 6,9 Prozent.
Das Ergebnis unter dem Strich veröffentlichten die Ingelheimer nicht.
Für 2024 peilen sie eine leichte Umsatzsteigerung an. Das Unternehmen
hat weltweit rund 53 500 Mitarbeiter.

Ein großer Umsatzbringer war einmal mehr Jardiance, das 2023 allein
auf Erlöse in Höhe von 7,4 Milliarden Euro kam - ein Plus von 31
Prozent zum Jahr davor. Das Mittel gegen Diabetes und
Herzinsuffizienz ist mittlerweile in Europa und den USA auch für die
Behandlung chronischer Nierenerkrankungen zugelassen. Abgeleitet von
Jardiance hat Boehringer seit diesem Jahr auch ein Diabetesmittel für
Katzen namens Senvelgo auf dem Markt. Das Lungenmittel Ofev kam in
der Humanpharma auf Erlöse von 3,5 Milliarden Euro, knapp 13 Prozent
mehr als im Jahr davor. 

Nach rund fünf Milliarden Euro 2022 schraubte Boehringer im
vergangenen Jahr seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung um mehr
als 14 Prozent weiter nach oben auf 5,8 Milliarden Euro. Allein in
der Humanpharma beliefen sich die Investitionen in Forschung und
Entwicklung 2023 auf 5,2 Milliarden Euro, das entsprach etwa einem
Viertel des Umsatzes in dem Segment.

Bis 2030 will das Unternehmen in der Humanpharma 25 neue
Behandlungsmöglichkeiten auf den Markt bringen, in der Tiergesundheit
sollen bis 2026 weitere 20 Produkte kommen. Erste Markteinführungen
könnten von Baumbach zufolge Ende dieses, wahrscheinlicher aber
Anfang des kommenden Jahres erfolgen. Angesichts der Vielzahl an
laufenden Studien sprach der Konzernchef von der stärksten
Produktpipeline in der Geschichte von Boehringer.

Vergleichsweise weit - in der sogenannten Studienphase 3 - ist
Boehringer beispielsweise bei einem Mittel gegen Lungenkrebs oder
auch dem Diabetes- und Abnehmmittel Survodutid. Das könnte künftig
dem Abnehmmittel und Kassenschlager Wegovy des dänischen Konzerns
Novo Nordisk oder dem seit November in den USA erhältlichen
Abnehmmittel Zepbound des US-Konzerns Eli Lilly Konkurrenz machen. 

In der Entwicklung von Medikamenten werde immer stärker auf
Quantencomputing und Künstliche Intelligenz (KI) gesetzt, erklärte
Finanzvorstand Michael Schmelmer. Boehringer hatte kürzlich eine
Kooperation mit Google Quantum AI geschlossen. In der Tiergesundheit
wird ebenfalls auf KI gesetzt, auch abseits der Forschung. So bietet
das Unternehmen beispielsweise ein System an, das etwa in
Schweinestellen über Mikrofone die Laute der Tiere erfasst,
analysiert und dann gegebenenfalls früh warnt, dass Schweine
Atemwegserkrankungen haben könnten.

Von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gesetze wie das
Digitalisierungs-, das Medizinforschungs- oder das
Gesundheitsdatennutzungsgesetz seien positiv, sagte Traulsen. Nun
brauche es Tempo bei der Umsetzung. Kritik äußerte er am deutschen
System der Bewertung des Nutzens neuer Arzneimittel. «Der Zugang zum
Arzneimittelmarkt in Deutschland ist nicht optimal», sagte er. Oft
seien Zusatzstudien nötig, um Vergleichsdaten zu bekommen, die
anderswo nicht gebraucht würden. Wenn ein Unternehmen ein wirksameres
Mittel habe, dürfe damit kein höherer Preis erzielt werden. «Wir
brauchen ein innovationsfreundliches Erstattungssystem», sagte
Traulsen.

In Deutschland arbeitet dem Unternehmen zufolge etwa jeder dritte
Boehringer-Mitarbeiter, hier werden fünf Prozent der Umsätze im
Segment Humanpharma getätigt. Deutschland ist trotz der oft beklagten
Hemmnisse für Boehringer nach wie vor der zweitwichtigste Markt für
klinische Studien, wie Deutschlandchef Traulsen erklärte.

Im vergangenen Jahr hatte Boehringer in Deutschland sein Präparat
Spevigo zur Behandlung akuter Schübe von generalisierter pustulöser
Psoriasis - einer seltenen Hauterkrankung - vom Markt genommen. Zuvor
hatte der für die Nutzenbewertung zuständige Gemeinsame
Bundesausschuss (GBA) keinen Zusatznutzen im Vergleich zu anderen
Therapien erkannt.