Kann man in Europa zum Organspender wider Willen werden?

Vor Reiseantritt sollte man sich informieren

Eine Organspende kann Leben retten. Doch weltweit herrscht ein erheblicher Mangel an Sprenderorganen. Viele Staaten versuchen die Wartelisten in ihren Kliniken durch Gesetze zu verkürzen, die die Organspende erleichtern. Dies kann zu Situationen führen, die meist auch von den Befürwortern nicht erwünscht sind: Eine Organspende gegen den Willen des betroffenen Verstorbenen.

Für Fragen der Organentnahme gelten die Regeln des Landes, in dem man sich aufhält. Auch innerhalb der Europäischen Union sind diese Gesetze ganz unterschiedlich gestaltet. So kann man in Bulgarien sogar gegen den eigenen Willen zum Organspender werden. In vielen anderen Länder wird man zum Organspender, wenn man nicht vorher ausdrücklich widersprochen hat.

In Europa kann man vier Herangehensweisen unterscheiden:

  • Bei der erweiterten Zustimmungsregelung muss der Verstorbene zu Lebzeiten einer Organentnahme zugestimmt haben. Liegt diese Zustimmung nicht vor, können die Hinterbliebenen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden. Diese Regelung gilt in Dänemark, Großbritannien, Irland, Island, Litauen, den Niederlanden, Rumänien, der Schweiz und Zypern.
  • Die Entscheidungsregelung gilt in Deutschland und sieht ebenfalls eine Zustimmung des Verstorbenen zu Lebzeiten vor. Allerdings werden Personen stärker mit einer Entscheidung konfrontiert. So werden in Deutschland krankenversicherte Personen ab 16 Jahren von ihren Krankenkassen oder Versicherungsunternehmen über Organspenden informiert. Sie erhalten dabei auch einen Organspendeausweis, in dem sie ihre Entscheidung festhalten können. Liegt keine Zustimmung der betroffenen Person zu Lebzeiten vor, entscheiden die Familienangehörigen auf Basis des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen.
  • Bei der Widerspruchsregelung wird der Verstorbene zum Organspender, wenn er einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Die Angehörigen haben in diesem Fall kein Widerspruchsrecht. In Belgien, Luxemburg, Lettland, Malta, Österreich, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn gilt diese Form der Widerspruchsregelung. In Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Kroatien, Norwegen, Russland, Schweden und der Türkei können Hinterbliebene gegen die Organentnahme stimmen, da hier die Widerspruchsregelung mit dem Einspruchsrecht der Angehörigen verknüpft wird.
  • Im Rahmen der Informationsregelung müssen Angehörige über die geplante Entnahme zwar informiert werden, ein Einspruchsrecht steht ihnen jedoch nicht zu. So wird man Frankreich, Schweden, Lettland, Liechtenstein und Zypern automatisch zum Organspender, wenn man zu Lebzeiten nicht widersprochen hat.
  • Die Notstandsregelung gilt nur in Bulgarien: Die Organentnahme ist hier "im Notstand" immer zulässig ist. Selbst beim Vorliegen eines Widerspruchs kann es zur Organentnahme kommen.

Wer über die Frage der Organentnahme nach dem Tode selbst bestimmen will, sollte vor der Reise einen Organspendeausweis ausfüllen und diesen bei seinen Ausweispapieren tragen. Im Organspendeausweis kann man der Entnahme von Organen und Gewebe nicht nur zustimmen, sondern auch widersprechen. So verhindert man in Ländern mit Widerspruchsregelung, automatisch zum Spender zu werden.

In Österreich besteht die Möglichkeit sich in das "Widerspruchsregister gegen Organspende" des Bundesinstituts für Gesundheitswesen eintragen zu lassen, auch als Ausländer. Vor Organentnahme wird überprüft ob der Verstorbene im Register steht. In Deutschland gibt es ein solches Widerspruchsregister auch, jedoch ist es kostenpflichtig. Einfacher ist es eine Widersprucherklärung mit der Aussage „Ich will kein Organspender sein“ bei seinen Ausweispapieren zu führen. Dieses Schreiben wird in den meisten Ländern als Widerspruch akzeptiert werden.

Im Folgenden finden Sie eine Übersicht der Regelungen zur Organspende in Europa. Trotz einer ähnlichen Kategorisierung kann es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen geben. So kommt es in einigen Fällen zu Mischformen zwischen Widerspruchs- und Zustimmungsregelung (so in Estland, Italien, Schweden und Großbritannien). Zwar werden in den meisten Staaten Angehörige über die (mögliche) Entnahme von Organe eines Verstorbenen informiert. Allerdings unterscheiden sich die Staaten erheblich darin, ob und wie genau eine Einbeziehung und Betreuung der Familienangehörigen erfolgt. Können Angehörige frei entscheiden oder sollen sie einen Einspruch eines verstorbenen Angehörigen belegen? Reisende können Informationen zu den Regelungen zur Organspende über die Auslandsvertretung des jeweiligen Staates erhalten.

Organspende in Europa
LandGesetzliche Regelungautomatisch OrganspenderZustimmung
vor der
Entnahme nötig?
Wider-
spruchsrecht
der Angehörigen
BelgienWiderspruchsregelungjaneinnein
BulgarienWiderspruchsregelung, Notstandsregelungjaneinnein
DänemarkErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
DeutschlandEntscheidungsregelung, freiwilliger Eintrag ins Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespendeneinjanein
EstlandWiderspruchsregelung mit Einspruchsrechtneinneinja
FinnlandWiderspruchsregelung mit Einspruchsrechtneinneinja
FrankreichWiderspruchsregelungjaneinnein
GriechenlandErweiterte Zustimmungsregelungneinneinja
GroßbritannienErweiterte Zustimmungsregelung
Wales: Widerspruchsregelung mit Einspruchsrecht
neinja
(Wales:
nein)
ja
IrlandErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
IslandErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
ItalienWiderspruchsregelungneinneinja
KroatienWiderspruchsregelung mit Einspruchsrechtneinneinja
LettlandWiderspruchsregelungjaneinnein
LitauenErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
LuxemburgWiderspruchsregelungjaneinnein
MaltaWiderspruchsregelungjaneinnein
NiederlandeErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
NorwegenWiderspruchsregelung mit Einspruchsrechtneinneinja
ÖsterreichWiderspruchsregelungjaneinnein
PolenWiderspruchsregelungjaneinnein
PortugalWiderspruchsregelungjaneinnein
RumänienErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
RusslandWiderspruchsregelungjaneinnein
SchwedenWiderspruchsregelung mit Einspruchsrechtneinneinja
SchweizErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
SlowenienWiderspruchsregelungjaneinnein
SlowakeiWiderspruchsregelungjaneinnein
SpanienWiderspruchsregelungjaneinnein
TschechienWiderspruchsregelungjaneinnein
TürkeiWiderspruchsregelung mit Einspruchsrechtneinneinja
UngarnWiderspruchsregelungjaneinnein
ZypernErweiterte Zustimmungsregelungneinjaja
Erläuterungen zur Tabelle
Widerspruchsregelung mit Einspruchsrecht der AngehörigenHinterbliebene des Verstorbenen können die Organentnahme ablehnen.
WiderspruchsregelungDer Verstorbene wird zum Organspender, wenn er einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat.
Erweiterte ZustimmungsregelungDer Verstorbene muss zu Lebzeiten einer Organentnahme zugestimmt haben. Liegt keine Zustimmung vor, können die Hinterbliebenen über eine Entnahme entscheiden.
EntscheidungsregelungDer Verstorbene muss zu Lebzeiten einer Organentnahme zugestimmt haben. Mit Informationsmaterial werden Personen mit Entscheidung konfrontiert. Liegt keine Zustimmung vor, können die Hinterbliebenen über eine Entnahme entscheiden. 
NotstandsregelungEine Organspende ist selbst beim Vorliegen eines Widerspruchs zulässig.