Pfarrer und Missionar zwischen Schnee und Moschee Von Bernd Kubisch, dpa
Addis Abeba/Moshi (dpa) - Miki lebt in einem der großen
Armenviertel in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Er ist elf Jahre
alt, und er ist blind. «Ich will Rechtsanwalt werden», sagt der junge
Schwarze selbstbewusst. Pfarrer Martin Gossens, Pädagogen und die
Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) helfen, damit Miki sein Ziel
erreicht, wenn er weiter so gut lernt.
Zwei bis drei Flugstunden weiter südlich am Kilimandscharo in
Tansania freut sich Anna Koka, Schatzmeisterin der Lutherischen
Stadtgemeinde in Moshi. Die 60-Jährige sagt: «Klaus Peter-Kiesel hat
so viel für uns getan - Erziehung, Nächstenliebe, Krankenpflege,
Unterstützung für Bedürftige.» Kiesel kam schon 1967 in das
afrikanische Land, als Missionar des Missionswerks in Leipzig.
Die zwei Pfarrer zählen zu den vielen Mitarbeitern der Kirchen u
nd
christlichen Hilfsorganisationen in Deutschland, die im Ausland
predigen, Hunger bekämpfen, beim Aufbau von Schulen, Kliniken und
Kinderheimen helfen. Dazu zählen auch Sozialhelfer, Ärzte,
Ingenieure, Krankenschwestern, Lehrer und Agrarexperten.
Allein die EKD mit Sitz in Hannover hat etwa 120 Auslandspfarrer
im Einsatz, davon viele in armen Staaten. Die arbeiten auch in
islamischen Ländern wie Iran und Dubai. Die EKD hat Partnerschaften
mit viel mehr als 120 Gemeinden rund um den Erdball. Das Leipziger
Missionswerk unterstützt außer in Tansania auch Gemeinden in Papua
Neu-Guinea und in Indien. Die Leipziger sind nur ein kleiner Teil des
bundesweiten Dachverbands, Evangelisches Missionswerk Deutschland
(EMW), mit Sitz in Hamburg.
Pfarrer Gossens (52) aus Westfalen legt dem elfjährigen Miki im
Pausenhof ermunternd die Hand auf die Schulter. Der Junge lächelt. Er
weiß, dass die meisten der blinden Schüler einen Job bekommen. «Viele
werden Juristen oder Lehrer», bestätigt der Auslandspfarrer der EKD,
der seit März 2006 in Addis Abeba arbeitet. Etwa 300 Kinder in blauen
Schuluniformen, gelben Blusen und Shirts, lärmen, palavern, knabbern
an ihrem großen, runden Weißbrot. Ein Mädchen läuft auf Krücken,
andere Kids führen ihre blinden Klassenpartner über den Hof. Der
Pfarrer: «Unser Modell funktioniert, auch die Integration von je zwei
Blinden in jeder Klasse. Die sind besonders ehrgeizig, haben gute
Zeugnisse.»
Gossens ist von der Landeskirche Westfalen für seinen etwa
sechsjährigen Auslandseinsatz in der Kreuzkirchengemeinde in
Äthiopien freigestellt. Von der Schule der Gemeinde profitieren 1200
Kinder und Jugendliche besonders armer Familien. Auch die
Kindernothilfe in Duisburg und die Christoffel Blindenmission im
hessischen Bensheim unterstützen sie. Die Schule, offiziell German
Church School, arbeitet in Schichten und auch samstags.
Gossens, geboren in Hannover, aufgewachsen in Bielefeld, hat in
Bethel, Erlangen und Tübingen sowie im englischen Cambridge studiert
und als Vikar in Bochum gearbeitet. Viele Jahre war er Pfarrer in
Lüdenscheid im Sauerland, auch an einer Kreuzkirche. Der Wechsel nach
Afrika musste gut überlegt werden. Zu dem spannenden Job mit 10-
Stunden-Tag in der 2500 Meter hoch gelegenen Hauptstadt «hat mich
auch meine Frau Sabine ermuntert», erzählt Gossens. «Lass uns ins
Ausland gehen. Dort gibt es viel zu sehen und zu tun», sagte sie zu
ihrem Mann. Auch dem war klar, dass ein guter Seelsorger und
Nächstenliebe in dem bitterarmen Land, in dem mehr Äthiopisch-
Othodoxe und Muslime als Protestanten leben, gebraucht werden.
Der älteste Sohn Johannes ist vorigen Sommer nach Deutschland
zurückgekehrt und hat gerade seinen Zivildienst in Essen im
Sozialwerk des CVJM beendet. Der Rest der Familie zog mit nach
Äthiopien. Der 15-jährige Sohn Christoph und die 17 Jahre alte
Tochter Lena gehen auf die Deutsche Botschaftsschule in Addis Abeba.
Auch «Fokko» scheint die Höhenluft zu bekommen. Es ist ein
Kromfohrländer. «Das kommt vom Siegerländerplatt, krom Fohr heißt
krumme Furche», erläutert der Pfarrer dem Berliner Gast, der bei
Hundestammbäumen nicht firm ist.
Die Kreuzkirche mit Schule, Gemeinde- und Pfarrhaus, blühenden
Pflanzen, engagierten Mitgliedern und Wohltätern «ist ein
Vorzeigeprojekt», sagt der Pfarrer. Nicht weit entfernt beginnen die
Häuschen und Hütten der Armensiedlung. Die Familien dort verdienen
meist keine 70 Euro im Monat. Pfarrer, Lehrer und Gemeindemitglieder
versuchen für Schulbesuch, Kleidung, Medizin und tägliches Brot die
Allerärmsten, die sonst auf der Straße betteln würden, so gerecht wie
möglich auszuwählen.
Die Pause ist zu Ende. An dem großen Wasserbecken mit Hähnen nimmt
ein Junge einen großen Schluck, ein Mädchen packt seine Zahnbürste
ein. Schnell gehen die Kinder zurück in die Klassenräume. Sie können
nicht verstehen, dass manche in Deutschland nicht gern in die Schule
gehen oder gar schwänzen. Die Auswahl für die Schule macht alle hier
stolz, kann der Nachwuchs doch später die Familie mit Ausbildung und
Job aus dem Elend führen.
Im Garten der Gossens wachsen neben tropischem Nadelbaum,
Stechpalme und Bananenstaude auch rote Rosen. Von der Schule klingt
Gesang in das riesige Wohnzimmer mit Kamin, afrikanischen
Holzskulpturen und Spielzeug auf der Erde. «Hier findet manchmal
Kindergottesdienst statt», erläutert der Theologe.
Den Grundstein zum Gotteshaus, eine Rundkirche, hat 1964
Bundespräsident Heinrich Lübke gelegt. Und 40 Jahre später kam
Kanzler Gerhard Schröder, um die German Church School zu besuchen.
Natürlich war auch der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber
hier. Die Gemeinde hat 185 Mitglieder, alle sehr aktiv. Jeder fünfte
ist Katholik. Die Schule ist das Sozialprojekt der deutschsprachigen
Gemeinde in Äthiopien.
Der Pfarrer und seine Familie haben durch Internet und E-Mail-
Verkehr weiter engen Kontakt zur alten Heimat. «Und ich erhalte
regelmäßig den Newsletter meiner alten Gemeinde in Lüdenscheid und
der westfälischen Landeskirche sowie natürlich den der EKD».
Voraussichtlich 2012 geht es zurück. Bis dahin empfiehlt die
Pfarrersfamilie Verwandten und guten Freunden: «Kommt uns in
Äthiopien besuchen. Menschen und Klima sind freundlich.» Bei zehn
Grad (plus) im Winter kommen dann aber Holzscheite in den Kamin.
Der 72 Jahre alte Klaus-Peter Kiesel ist nicht nur ein paar Jahre
in Afrika, sondern mittlerweile 42 Jahre. Er verbringt auch seinen
Ruhestand in Tansania. Als Schulkind in Kempten hat er die Berge des
Allgäus gesehen, später als Pfarrer in München immerhin bei Föhn di
e
Alpen. Heute freut sich der Theologe in Moshi, wenn die Wolken den
Blick auf den 5895 Meter hohen Gipfel, Gletscher und Schnee des
Kilimandscharo freigeben. «Das genieße ich jeden Tag», sagt der
Theologe. Er reiste 1967 für das Missionswerk Leipzig von Bayern nach
Tansania. Für den Job als Missionar in Afrika hatte sich Pfarrer
Kiesel in Erlangen beworben.
Dort war damals die Weststelle der Leipziger im geteilten
Deutschland. Die DDR wollte nicht, dass die Ostkirchen mit denen in
der «BRD» zusammenarbeiten. Ost-Berlin gab dem sozialistischen
Tansania «Bruderhilfe». Aber Missionare entsenden - das war ein Werk
des «Klassenfeindes». Kiesel beherrscht das DDR-Vokabular heute noch.
Er war schließlich oft im Osten.
Der Missionar im Ruhestand macht eine Erzählpause beim Rundgang
durch seinen Garten. Er zeigt auf eine hohe Araucaria. Auf ihr sind
gerade einige Flughunde gelandet, die in den Gärten am Rande des
Städtchens Moshi nach Früchten suchen. Palmen und Obstbäume gibt es
reichlich. Mit Ehefrau Mariamu inspiziert der Theologe den weißen
Hibiskus, der prächtig blüht. Sie sagt: «Wir heirateten 1974. Unsere
vier Kinder leben inzwischen alle in Deutschland.» Die Ehefrau stammt
aus Tansanias Norden. Ihr Vater war Oberhäuptling des Sonjo-Volkes.
Kiesel spricht von früher: Die Familie fand nach dem Krieg in der
Heimat seines Vaters in Martinszell bei Kempten ihr Zuhause. Dort
ging der Junior die ersten Jahre in die Volksschule. In Kempten
machte der sein Abitur. Für Kiesel war der Theologe und Mediziner
Albert Schweitzer immer großes Vorbild.
Kiesel studierte eifrig und reichlich, auf der Kirchlichen
Hochschule in Neuendettelsau, in Göttingen, Berlin und Erlangen -
unter anderem Theologie, Medizin und Literaturgeschichte. Als junger
Pfarrer in München war er so für die Welt und Tansania gerüstet.
In seiner großen Bibliothek zeigt Kiesel einige Werke, die er für
die Universität in Leipzig verfasst hat. In seinem jüngsten Aufsatz
berichtet er über den «Beginn der Leipziger Missionsarbeit im
Tanganyikaland», das 1893 noch Deutsch-Ostafrika hieß. Kiesel ist der
letzte deutsche Missionar in Moshi. Er sagt: «Unsere Gemeinden stehen
nun auf eigenen Füßen, haben genug einheimische Pfarrer. Die Kirchen
sind voller als in Deutschland. Die Kliniken arbeiten mit immer
weniger Zuschüssen.» Übrigens: Je ein Drittel im Lande sind Christen,
Muslime und Anhänger von Naturreligionen.
Später schaut Kiesel im «Salzburger Café» vorbei. Statt Wiener
Schnitzel nimmt er Gewürztee. Er plaudert mit Freund und Eigentümer
Terevaeli Urio (48). Der spricht Deutsch, hat in Österreich studiert.
Sein «Café» ist auch bei Touristen ein Renner. «Rentner» Kiesel s
teht
auf. So eilig? Er sagt: «Es gibt viel Arbeit. Ich arbeite auch für
den Aktionskreis Ostafrika, als Treuhänder für soziale Projekte und
als Dozent an der Katholischen Uni in Ostafrika mit Stelle in Moshi.»
Das Wort Missionar in heutiger Zeit mag manchen irritieren,
erinnert es doch auch an frühere Jahrhunderte und teils gewaltsame
Christianisierung wie in Lateinamerika. Antje Queck, Sprecherin des
Evangelisch-Lutherischen Missionswerks Leipzig erläutert: «Es sind
heute drei Dinge zusammen: Verkündigung des Wort Gottes, Gesundheit
und Bildung für die Menschen». In Tansania hat das Wort Missionar für
die Gemeindemitglieder einen hohen Wert. Das gilt für die Arbeit von
Ruheständler Kiesel genauso wie für Dieter Dietzold, früher
Gemeindepfarrer in Holzthaleben in Thüringen, heute Missionar der
Leipziger in Oldonyo Sambu.
«Unsere Pfarrer im Ausland leisten bewundernswerte Arbeit», betont
auch EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte. «Auch sehr motivierte
Ehrenamtliche in den Gemeinden sorgen dafür, dass ein ganz besonderes
Netzwerk entsteht, in dem Menschen sich austauschen und gegenseitig
unterstützen können.» Im arabischen Dubai, früher vom EKD-Pfarrer i
n
Teheran mitbetreut, haben sich Christen emsig für einen eigenen
Pastor eingesetzt. «Und dort haben wir nun eine neue Pfarrstelle
eingerichtet», wie Silke Römhild von der EKD-Pressestelle sagt. Zur
kirchlichen Hilfe gehört auch die Betreuung seelisch belasteter
Frauen. Beispiel: Zwischen Moscheen und Muezzin haben Helfer der EKD
mit spezieller Tanz- und Bewegungstherapie Frauen im Libanon, die
durch den Krieg mit Israel traumatisiert waren, wieder etwas Halt und
Hoffnung gegeben.
(Internet: www.lmw-mission.de, www.ekd.de, http://emw-d.de, www.kk-
addis.de)
[Missionswerk Leipzig]: Paul-List-Straße 19, 04103 Leipzig
[EKD]: Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover
[Evangelisches Missionswerk]: Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
[Kreuzkirche und Schule]: German Church School, Addis Abeba
[Moshi]: Tansania
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