Vom Überleben des Anstands im Nazi-Terror Von Ulrike Cordes, dpa

München (dpa) - Er war Trinker, Schläger, Ehebrecher, Nazi-Freund
und Antisemit. Dennoch versteckte der Volksdeutsche Valentin Beck in
der Stadt Zólkiew von Ende 1942 bis Spätsommer 1944, als die
Sowjetarmee in Ostpolen eintraf, insgesamt 18 Juden bei sich im
Keller. Mehr als einmal brachte er damit sein Leben sowie das seiner
Frau und Tochter in Gefahr - etwa bei Einquartierungen von
Wehrmachtssoldaten, SS-Leuten oder deutschen Polizisten. Posthum
wurde das Ehepaar Beck dafür 1983 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem in Israel geehrt. Zu den Geretteten zählten auch die 1927
geborene Clara Kramer, ihre Eltern und einige Verwandte, die so zu
den wenigen Dutzend Überlebenden von einst fast 5000 Juden Zólkiews
wurden. Über den ungebildeten Choleriker Beck schreibt die 82-
jährige, heute in New Jersey/USA lebende Kramer: Doch tief in seinem
Herzen war etwas Gutes. Und das Gute ist stärker gewesen als all
seine Schwächen.

Ihr gerade auf Deutsch erschienener Erinnerungsband «Eine
Handbreit Hoffnung. Die Geschichte meiner wunderbaren Rettung»
basiert auf Tagebuchaufzeichnungen, die das junge Mädchen damals in
der Dunkelheit mit Bleistift in Hefte kritzelte, die Beck ihr
geschenkt hatte. Das so spät mit Hilfe des Journalisten und Autors
Stephen Glantz verfasste Buch, in dem Kramer aus dem Gedächtnis viele
Dialoge rekonstruiert, ist mehr als nur ein weiteres unter die Haut
gehendes Zeugnis der Schrecken des Dritten Reiches. Es gewinnt
besonderen Wert auch dadurch, dass es als eine der letzten Stimmen
noch aus eigenem Erfahren von Judenverfolgung und Holocaust berichten
kann.

Dabei ist überdies bemerkenswert, wie sehr Kramer, die unermüdlich
noch immer in Schulen und Universitäten über die Geschehnisse
spricht, eine differenzierte Sicht auf Angehörige der Besatzungsmacht
zu entwickeln vermochte.

Außer den drei Becks nimmt das Mädchen Clara, dessen kleine
Schwester Mania mit 13 Jahren bei einem Fluchtversuch erschossen
wurde, immer wieder Deutsche wahr, die sich Anstand gewahrt haben.
Sei es die Ehefrau eines Gestapo-Oberen, die sich verzweifelt die
Haare rauft, sei es ein Soldat namens Norbert, der Beck für seine
Unterbringung mit den Worten dankt: Ich hatte es gut hier. Und ich
will nicht wissen, was in diesem Hause vorgeht. Ich habe niemanden
gehört.

Überhaupt schreibt Kramer relativ freundlich über die Wehrmacht
(Die deutschen Soldaten waren höflich, während sie wie Touristen
durch die Stadt schlenderten ...). Zudem fragt sich die Verfasserin
mehrmals, ob sie selbst wohl zu einem Einsatz, wie ihn ihr Beschützer
geleistet hat, bereit gewesen wäre.

Tödliche Grausamkeit geht für die Zólkiewer Juden von SS, Gestapo,
kollaborierenden Polen, der gefürchteten Polizei der Ukrainer oder
sogar denunzierenden Glaubensbrüdern aus. Nachdem die Deutschen ab
1941 auch Ostpolen besetzt hielten, dort Juden verhafteten, töteten
oder in Ghettos verbannten, erscheint das Angebot Becks wie ein
unerwarteter Hoffnungsstrahl: Eigenhändig graben die Familien
Schwarz, Petrontasch und Melman - später wird das selbst im Unglück
überhebliche Apotheker-Ehepaar Steckel hinzukommen - das Versteck
unter dem Haus, das im übrigen kurz zuvor noch den Melmans gehört
hat. Die Qualen in der Finsternis, unter denen das spärliche Essen,
die Toilettenverhältnisse, Ungeziefer und die menschliche Enge nur
einige waren: Kramer schildert sie in einfachen Worten, die für sich
sprechen.

Dazu gibt es Phasen, in denen das Grauen nahezu unerträglich
scheint - etwa beim Ausbruch eines Feuers oder als man durch die
dünnen Dielenbretter mitanhören muss, wie sich oben im Wohnzimmer ein
Polizist damit brüstet, eigenhändig 72 Juden erschossen zu haben und
der Gastgeber das offensichtlich begrüßt. Was jedoch Taktik gewesen
ist, wie sich hinterher herausstellt.

Nach der von den Eingeschlossenen sehnsüchtig erwarteten Ankunft
der Roten Armee ging es Beck schlecht: Als Volksdeutscher wurde er
vom russischen Geheimdienst NKDW inhaftiert - allerdings dank Claras
Initiative befreit. Später wanderte ihre Familie nach Israel aus,
während er aus dem kommunistischen Polen schriftlich darum bat, kein
Geld mehr zu schicken. Verarmt starb der fehlerbehaftete, todesmutige
Mann, der schlicht und einfach beim Morden nicht mitmachen wollte.

Clara Kramer: Eine Handbreit Hoffnung,
Die wunderbare Geschichte meiner Rettung
Droemer-Verlag, München
399 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-426-27507-8

(Internet: www.droemer.de)

dpa uc yyzz a3 kk/mh

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