Von der «Ärzteschwemme» zum Ärztemangel Von Günther Voss und Karl-Heinz Reith, dpa

Berlin (dpa) - Die Not ist groß in der Provinz. Viele Landärzte
finden keinen Nachfolger für ihre Praxis. Dabei steigt die Zahl der
niedergelassenen Mediziner seit Jahren. Ein Widerspruch?
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) will das Problem nun
angehen. Er schlug erleichterten Zugang zum Medizinstudium durch
Verzicht auf den Numerus clausus und die Einführung einer
«Landarztquote» für Medizinstudenten vor. Kann das die Not lindern?

Wieviele Ärzte gibt es?

Bundesweit sind 138 330 Ärzte (Stand: 2008) ambulant tätig. Im
Jahr 2000 waren es 128 488, im Jahr der deutsche Einheit 1990 betrug
die Zahl noch 92 289. Die Arztdichte pro 10 000 Einwohner erhöhte
sich zwischen 1990 und 2007 von 29,8 auf 38,3. Die Gesamtzahl der
Ärzte in Deutschland legte zwischen 1990 und 2008 um knapp 82 000
oder ein Drittel auf 320 000 zu. Die Ärztelobby malte jahrelang das
Gespenst einer «Ärzteschwemme» an die Wand.

Wieviele Arztpraxen gibt es?

2008 gab es 90 414 Arztpraxen, vier Jahre zuvor waren es 95 761.
Hinzu kommen die medizinischen Versorgungszentren, in denen Ärzte
mehrerer Fachrichtungen zusammenarbeiten. Innerhalb von fünf Jahren
stieg deren Zahl von 121 auf 1 257 (Stand: 1. Quartal 2009).

Warum gibt es trotzdem Ärztemangel?

Die Verteilung der Ärzte stimmt nicht mehr. Junge Mediziner lassen
sich nach dem Studium vorzugsweise nicht dort nieder, wo sie am
meisten gebraucht werden, sondern dort, wo sie persönlich leben
möchten. Beliebt sind Regionen mit vielen Privatpatienten. Eine
Praxis in Gebieten mit vielen, vor allem älteren Kassenpatienten
erscheint dagegen unattraktiv: Lange Arbeitszeiten, vergleichsweise
bescheidenes Einkommen. Wegen besserer Bedingungen gehen
Jungmediziner auch vermehrt ins Ausland oder in die Industrie, die
gezielt um Ärzte wirbt.

Was verschärft die Situation?

In den nächsten zehn Jahren gehen nach Angaben der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gut 58 000 niedergelassene
Mediziner in den Ruhestand. Die KBV und ihre Regional-Verbände sind
für die Verteilung der Ärztehonorare zuständig. Im Gegenzug sind sie

verpflichtet, die ausreichende, flächendeckende medizinische
Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dies gelingt immer
unzureichender.

Wo ist die Not am größten?

Nach der KBV-Statistik gibt es schon heute mehr als 3600 freie
Arztsitze, mehr als die Hälfte davon sind Hausarztpraxen. Das
Hausärzte-Defizit ist besonders groß in Niedersachsen (678) und im
bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen (493). In Sachsen-Anhalt
könnten sich 248, in Mecklenburg-Vorpommern 112 und in Thüringen 104
Allgemeinmediziner sofort niederlassen. An Krankenhäusern sind
derzeit 5000 Arztstellen nicht besetzt.

Was wird bisher gegen den Mangel unternommen?

Bereits heute versuchen die Länder in Kooperation mit den
Kassenärztlichen Vereinigungen, durch günstige Kredite oder
Startfinanzierung Ärzte aufs Land und in kleinere Städte zu locken.
Bis zu 50 000 Euro winken Medizinern, die sich in unterversorgten
Regionen niederlassen. In Sachsen bekommen Medizinstudenten bereits
heute eine Studienbeihilfe von bis zu 600 Euro monatlich, wenn sie
sich verpflichten, nach dem Examen als Landarzt tätig zu sein.

Kann Rösler den Numerus clausus verändern?

Nein. Dafür sind allein die Länder zuständig. Außerdem ist die
Zahl der Medizinstudienplätze abhängig von den Vorgaben der
Approbationsordnung, wie Gruppengrößen und Praktika während der
Ausbildung. Anfang der 90er Jahre und zuletzt 2002 hatten die Länder
auf Druck von Ärztelobby und Hochschulen wegen der angeblichen
«Ärzteschwemme» über 20 Prozent der Studienanfängerplätze in
Humanmedizin gestrichen. Auf einen freien Studienplatz kommen derzeit
4,4 Bewerber. Rund 10 000 junge Menschen haben 2009 ein
Medizinstudium begonnen.

dpa vs/th yydd a3 li

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