«Man kann sich alle diese Dinge selbst zufügen» Von Jochen Neumeyer, dpa

Im Fall Kachelmann berichtet ein Rechtsmediziner von schmerzhaften
Experimenten - doch die entscheidende Frage bleibt unbeantwortet.

Mannheim (dpa) - Sogar seine eigene Frau nutzte der
Rechtsmediziner als Versuchsobjekt: Mit seinem Knie versuchte er,
ihre Oberschenkel auseinander zu drücken, um zu sehen, ob es dabei zu
Blutergüssen kommt. «Ich habe da schon mit Kraft draufgestoßen - das

hat ihr weh getan», sagt Rainer Mattern vor dem Landgericht Mannheim.
Doch in der entscheidenden Frage brachte der Sachverständige das
Gericht im Prozess gegen Jörg Kachelmann nicht weiter: Hat der
Wettermoderator seine ehemalige Geliebte vergewaltigt und dabei
verletzt - oder hat sich die 37-Jährige ihre Blessuren selbst
zugefügt?

«Ich kann weder nachweisen, dass der Angeklagte der Nebenklägerin
die Verletzungen beigebracht hat, noch kann ich nachweisen, dass sich
die Nebenklägerin die Verletzungen selbst beigebracht hat», sagt der
Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts an der Universität
Heidelberg.

Gleich am 9. Februar 2010, dem Tag nach der angeblichen
Vergewaltigung, untersuchte Mattern die ehemalige Geliebte - meist
Simone W. genannt - zum ersten Mal. «Sie war offensichtlich stark
betroffen, sehr wortkarg, dem Weinen nahe», erzählt Mattern. Zwei
Tage später untersuchte er das mutmaßliche Opfer nochmals, um die
Entwicklung der Hämatome zu untersuchen. Schließlich bestellte er sie
Ende vergangenen Jahres noch zwei weitere Male ein, um weitere Fotos
zu machen und Messungen zu unternehmen. «Weil ich das Gefühl hatte,
auch im Laufe des Prozesses, ich muss mir das alles noch mal genau
anschauen», sagt Mattern. Doch das Ergebnis bleibt unklar.

Die Fotos, die Mattern im Gerichtssaal auf eine Leinwand
projiziert, zeigen unter anderem rote Striemen am Kehlkopf und Hals
von Simone W.. Kachelmann soll ihr die Klinge eines Küchenmessers an
den Hals gedrückt haben, während er sie vergewaltigte. Die Verletzung
könnte mit dem Rücken der 7,7 Zentimeter langen Klinge erzeugt worden
sein, sagt Mattern - es könnte sich aber auch um «atypische
Kratzverletzungen» handeln.

Bei einem der späteren Termine habe er Simone W. dazu gebracht,
sich das Messer zu Demonstrationszwecken an den Hals halten zu
lassen, erzählt Mattern. Sie sei jedoch in Tränen ausgebrochen und
habe angefangen zu zittern. «Ich hatte das Gefühl, ich sollte da
nicht weitermachen.» Schließlich drückte sich eine Mitarbeiterin
seines Instituts die Klinge an den Hals, so hart es für sie
erträglich war. Die Folge: Rote Striemen, die allerdings am nächsten
Morgen so gut wie verschwunden waren, während Simone W.s Verletzungen
noch zwei Tage später deutlich zu sehen waren.

Auf anderen Bildern sind die Oberschenkel des mutmaßlichen Opfers
zu sehen. Mattern hält es für möglich, dass die Blutergüsse von Kni
en
stammen - will jedoch auch nicht ausschließen, dass Simone W. sich
die Verletzungen selbst mit Faustschlägen zugefügt hat. «Man muss
aber gewaltig zuschlagen», sagt Mattern. Der Versuch mit seiner Frau
blieb übrigens ohne eindeutiges Ergebnis: «Es gab Gewebsverhärtungen,

aber ein Hämatom kam nicht raus.»

Schließlich hatte Simone W. deutliche Kratzer am Arm und auf dem
Bauch, die, so Mattern, von dem Küchenmesser stammen könnten, aber
nicht müssen. Er habe das Messer einer ihm bekannten Chirurgin
gegeben - und die habe sich ganz spontan mit der Messerspitze einen
ähnlichen Ritzer zugefügt.

Ausführlich setzt sich Mattern auch mit den Einwänden der von
Kachelmann benannten Gutachter auseinander. «Es ist sicher nicht
verkehrt, dass hier noch weitere Rechtsmediziner sitzen», sagt er.
«In Heidelberg passiert nicht so viel, ich will nicht behaupten, dass
ich derjenige wäre, der am meisten Erfahrung hat.» Dabei ist Mattern
mit 65 Jahren kein unerfahrener Rechtsmediziner. Eine
Verletzungsmuster wie bei Simone W. habe er allerdings noch nicht
gesehen; vor allem habe ihn gewundert, dass es keine
Abwehrverletzungen an den Armen gebe.

Am Ende bleibt Mattern nur ein hilfloses Fazit: «Ich kann nicht
beweisen, dass der Angeklagte diese Verletzungen erzeugt hat, halte
es aber traumato-mechanisch für möglich.» Das gleiche gelte jedoch
für das mutmaßliche Opfer: «Man kann alle diese Dinge, wenn man
entschlossen genug ist, sich selbst zufügen.»

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