Einblick in den Ausblick - Zukunftsforschung im Zauberberg Von Sandra Trauner, dpa
Wie erforscht man die Zukunft? Was ist ein Trend - und was ein
Megatrend? Einblick in eine umstrittene Branche am Beispiel des
«Zukunftsinstituts» von Matthias Horx. Von ihrem Arbeitsplatz aus
können die Mitarbeiter weit blicken: herab von den Höhen des Taunus,
und vielleicht auch hinein in die Zukunft unserer Gesellschaft.
Kelkheim (dpa) - Vom «Zauberberg» aus kann man weit sehen. Die
ehemalige Lungen-Heilklinik im Taunus liegt - wie das Vorbild aus
Thomas Manns Roman - weiß und imposant am Hang eines Berges. Wer hier
wohnt oder arbeitet, blickt weit hinein in die Landschaft, hinab auf
Frankfurt - oder vom Flügel 116E aus in die Zukunft. Denn hier
residiert das «Zukunftsinstitut» von Matthias Horx.
20 Festangestellte und etwa noch einmal so viele freie Mitarbeiter
arbeiten im «Zauberberg» an der Erforschung der Zukunft. Das 1998
gegründete Institut zählt zusammen mit dem Hamburger «Trendbüro»
von
Peter Wippermann und der «Stiftung für Zukunftsfragen» von Horst
Opaschowski zu den bekanntesten Einrichtungen dieser Art in
Deutschland. Auch wenn man kleinere Einrichtungen dazuzählt ist die
Szene sehr überschaubar.
In Deutschland gebe es etwa 1400 Einrichtungen, die die
Vergangenheit erforschen, aber nur eine Handvoll, die sich mit der
Zukunft beschäftigen, sagte einst der Direktor des Instituts für
Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Rolf Kreibich. Die
Querschnittsdisziplin war lange als unseriös verschrien - doch seit
vergangenem Jahr kann man sie sogar studieren: An der Freien
Universität Berlin wurde der deutschlandweit erste Masterstudiengang
Zukunftsforschung eingerichtet.
«Zukunftsforscher» steht nicht auf der Visitenkarte von Christian
Rauch. Der studierte Soziologe arbeitet seit 2005 für das Kelkheimer
Zukunftsinstitut - seinem Kärtchen zufolge als «Projektmanager
Research». Nach dem Studium suchte er nach einer Möglichkeit,
«soziologische Forschung praxisnah zu betreiben». Gerade arbeitet er
an einer Studie über «Die Zukunft der Mobilität». Auf seinem
Schreibtisch liegt ein Stapel Zeitschriften, Kongressberichte und
Studien von Firmen, Hochschulen oder Verbänden. Am Laptop klickt er
sich parallel durch eine Untersuchung der TU Dresden, daneben liegt
ein Band mit Statistiken des Bundesverkehrsministeriums.
Zukunftsforschung beginnt in der Gegenwart, erklärt der
«Projektmanager Research». «Ausgangspunkt für die Prognose für mo
rgen
sind die Daten von heute und gestern - insofern sind wir auch
Gegenwartsanalytiker und Historiker.» Seine Rechercheergebnisse legt
der 33-Jährige in einer «Dropbox» im hausinternen Computernetzwerk
ab. Oder er schreibt es via Blog rum. Oder er trägt es ins
«Zukunftswiki» ein. Klingt nach einem typischen
Irgendwas-mit-Internet-Job und sieht auch so aus: nahezu leere
Schreibtische, schicke Apple-Geräte, flexible Arbeitszeiten.
Die Arbeit eines Zukunftsforschers liegt irgendwo zwischen
Wissenschaft, Journalismus und Marktforschung. «Ich habe aber nicht
drei Jahre Zeit für ein Thema - und wir müssen damit Geld verdienen»,
sagt Rauch. Natürlich sei die Arbeit «wirtschaftsnah», aber «dafü
r
werden wir eher gehört als mancher Professor einer Universität.»
Laut Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, Andreas Steinle,
verdient die GmbH ihr Geld in vier Bereichen: mit Studien (manche
denkt sich das Institut selbst aus und verkauft dann die Ergebnisse,
manche sind Auftragsarbeiten), bei Gastvorträgen, durch Seminare und
mit Beratung. Inhaltlich reicht das von Grundlagenarbeit - wie dem
Beschreiben von Megatrends - bis zur ganz konkreten Hilfe bei der
Entwicklung neuer Badewannen.
In der Regel beschäftigen sich die Studien mit gesellschaftlichen
Entwicklungen: «Die Netzgesellschaft - Schlüsseltrends des digitalen
Wandels», «Body & Health - Zukunftsmarkt Körper und Gesundheit»,
«Wie
geht's der Welt? - Der Wertetrend-Monitor». Opus Magnum des
Zukunftsinstituts ist die über 500 Euro teuere
«Megatrend-Dokumentation», eine bunte Kiste voller Statistiken und
Prognosen zu all jenen Themen, die man auf dem Zauberberg für die
wichtigsten Zukunftsentwicklungen hält.
Trends, Mikrotrends, Megatrends - was ist eigentlich ein Trend?
Und was ein Mega-Trend? Matthias Horx muss es wissen, als Gründer des
Zukunftsinstituts erforscht er seit Jahrzehnten solche Entwicklungen.
Und er weiß, wie viel Schindluder mit dem Begriff getrieben wird.
Wenn er hört, dass ein Folien-Hersteller von «künftigen Megatrends in
der Verpackungsindustrie» spricht, rollen sich ihm die Fußnägel hoch.
Ein Mega-Trend, dozierte der Altmeister kürzlich auf dem jährlichen
Zukunftskongress, ist zum einen langfristig. Zum anderen
allgegenwärtig. Zum dritten global. Zum vierten langsam («manchmal so
langsam, dass wir ihn gar nicht bemerken!»). Zum fünften komplex.
Komplexität - das ist der Kern seiner Definition. «Ein Mega-Trend
hat einen so großen Impuls, dass er immer auch einen Gegen-Impuls
auslöst». Ein wellenförmiges Schwingen zwischen Bewegung und
Gegenbewegung mache die eigentliche «gerichtete Entwicklung» eines
Mega-Trends» aus. Daher rührt vielleicht die Vorliebe der
Zukunftsforscher für paradox klingende Phantasie-Komposita. «Glokal»
ist so ein Begriff - zusammengesetzt aus Globalisierung (die
Hauptrichtung der Bewegung) und einer neuen Wertschätzung des Lokalen
(ihre Gegenbewegung).
Um solche Prozesse zu veranschaulichen, beschäftigt das
Zukunftsinstitut eigene Grafiker. «Die Visualisierung wird immer
wichtiger», betont Geschäftsführer Steinle. Einen bloßen Text kön
ne
man schon lange keinem Kunden mehr zumuten, aber auch Grafiken seien
für manche inzwischen zu anstrengend, sagt Steinle und erzählt von
einem internationalen Konzern, für den man die Rechercheergebnisse in
Videoclips zusammenfasste - «ohne Text».
Am Anfang stehen die Daten aus der Gegenwart - am Ende eine Grafik
mit Prognosen für die Zukunft. Das, was dazwischen passiert, macht
die eigentliche Arbeit der Zukunftsforschung aus: «Das entscheidende
ist die Modellbildung», sagte der Geschäftsführer des
österreichischen Zukunftsinstituts, Harry Gatterer. Die Horx'schen
Mega-Trends dürfe man sich nicht wie parallel in eine Richtung
laufende Pfeile vorstellen, nicht einmal wie Wellen, meint Gatterer,
sondern eher wie einen U-Bahn-Plan, dessen Linien sich überschneiden.
Nicht immer beschäftigen sich die Mitarbeiter mit gewichtigen
«Megatrends» wie Individualisierung oder Globalisierung, dem Wachsen
von Netzwerken («Connectivity») oder einem veränderten Lebensabend
(«Silver Society»). Manchmal geht es nicht einmal um Trends, sondern
nur noch um «trendy» - zum Beispiel um Schokolade zum Inhalieren. Die
gibt es wirklich. Im ehemaligen Lungensanatorium ziert sie neben
anderem Schnickschnack die «Trendgalerie» in der Kantine.
# dpa-Notizblock
## Internet
- [Zukunftsinstitut]( http://dpaq.de/3T3ie)
## Orte
- [Zukunftsinstitut](Robert-Koch-Straße 116E, 65778 Kelkheim/Taunus)
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