Zwischen Scham und Schande - Muslime im Pflegeheim Von Maryam Schumacher, dpa
Viele Muslime können nicht zugeben, dass sie ein Pflegefall sind oder
einen in ihrer Familie haben. In Berlin gibt es einige internationale
Pflegeeinrichtungen, die sich darauf einstellen.
Berlin (dpa) - Eigentlich geht es Hurmiye Ulusay ganz gut. Nur
wenn sie von Kindern spricht, die ihre Eltern im Pflegeheim alleine
lassen, wird die gefasste Frau doch ein wenig traurig. Ulusay lebt
seit mehr als einem Monat im Internationalen Pflegehaus in Kreuzberg.
Die 67 Jahre alte Türkin kann nach vielen Operationen an ihren Beinen
nicht mehr laufen und sitzt im Rollstuhl. Lieber wäre sie in ihrer
Wohnung in Kreuzberg geblieben, aber ohne Aufzug ging das nicht mehr.
In dem Pflegeheim sind Menschen mit ausländischer Herkunft
untergebracht. Ein islamischer Gebetsraum weist darauf hin, dass sich
die Einrichtung besonders auf Muslime eingestellt hat. Bis zu 140
Menschen haben in dem Heim Platz. Etwa 40 Pfleger und Betreuer
kümmern sich um sie. Das Personal spricht mehrere Sprachen, wie
Türkisch, Arabisch oder Russisch. Zudem gibt es die Station für
Demenzkranke.
Bundesweit gibt es mindestens zwei andere Pflegeheime, die ähnlich
sind: Eines befindet sich in Duisburg-Hochheide, das andere in
Frankfurt-Höchst. In der Hauptstadt gibt es neben dem Pflegeheim in
Kreuzberg noch weitere, die sich auf die Tagespflege spezialisiert
haben. Darunter ist die Kamil-Tagespflege, bei der die Pfleger
Türkisch oder Persisch sprechen.
Im Internationalen Pflegehaus in Berlin-Kreuzberg mischen
sich Türkisch, Arabisch und Kroatisch. Die Bewohner sollen sich hier
gegenseitig aufbauen, denn viele von ihnen fühlen sich von ihren
Verwandten und Kindern abgeschoben. «Das Gefühl, "abgeschoben" zu
werden, empfinden zwar auch Deutsche, aber bei Ausländern spielt noch
ihr kultureller Hintergrund und das Gefühl der Diskriminierung mit
hinein», sagt der Direktor des Instituts für Pflegeforschung an der
Universität Bremen, Stefan Görres.
Die Pflegeleitung kennt dieses Problem. Vor allem muslimische
Familien seien überfordert, wenn sie Pflegefälle hätten und diese
Angehörigen nicht mehr zu Hause versorgen könnten, heißt es. «Für
viele ist es eine Schande, wenn ihre Eltern weggeben werden», sagt
der Pfleger Rachid Amessegher. Hinzu kämen Angst und Verlegenheit,
weil die Nachbarn die Familien verurteilen würden.
Muslime würden nach außen hin so tun, als funktioniere alles,
meint die Geschäftsführerin des türkischen Pflegedienstes Detamed,
Nare Yesilyurt. «Man will sich das nicht eingestehen, wenn es einen
Pflegefall gibt», beobachtet sie. Die türkische Geschäftsfrau hat
1999 einen mobilen Pflegedienst in Berlin gegründet. Mittlerweile
gibt es auch eine Tagespflege in Moabit für Migranten.
Yesilyurt kennt die Scham vieler Muslime beim Thema Pflegeheim.
Die Kinder würden oft denken, dass sie einen schlechten Charakter
hätten, weil sie ihre Eltern vernachlässigten, berichtet sie. Und die
Eltern suchten Gründe, um ihre Kinder zu entschuldigen, wenn sie
nicht immer zu Besuch kämen. Die gelernte Krankenschwester und
Pädagogin versucht den Familien beizubringen, dass das Weggeben in
Pflegeheime nichts Schlimmes sei. Sie sagt, langsam ändere sich etwas
an dieser Einstellung.
Hurmiyes Kinder leben weit weg in der Türkei. Sie kommen
vielleicht einmal im Jahr zu ihr. «Viele Kinder kommen gar nicht zu
Besuch», beobachtet sie. «Meine Kinder arbeiten, sie haben keine
Zeit», fügt sie schnell hinzu.
# dpa-Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Sie erhalten noch ein dpa-Gespräch mit dem Pflegeexperten Stefan
Görres bis 1000 - ca. 30 Zl. und einen Hintergrund «Der Anteil der
Migranten im Senioren-Alter» bis 1000 - ca. 25 Zl.
## Internet
- [Infos zum Pflegehaus](http://dpaq.de/Yz9eR)
- [Hintergrund zu Detamed](http://dpaq.de/gNz4P)
- [Kamil-Tagespflege](http://dpaq.de/3dpK9)
## Orte:
- [Internationales Pflegehaus](Methfesselstr. 43, 10965 Berlin)
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