Neue Protestkultur: Follower-Power, Human Mic und MedMob Von Verena Schurr und Peter Zschunke, dpa (Mit Bild)

Die Protestbewegung gegen die Macht der Finanzmärkte schafft sich
ihre eigenen Kommunikationsformen: In ihrer «Asamblea» erproben die
Occupy-Unterstützer eine hierarchiefreie Debattenkultur, so dezentral
wie im Netz.

Berlin/Frankfurt (dpa) - Twitter funktioniert auch in der realen
Welt: Ein Aufruf mit 140 Zeichen übers Internet, und die
Protest-Camper vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt bekommen
Tee, Suppe und einen WLAN-Router. «Die Versorgung im Camp läuft
super», sagt Colin Below. «Es gibt viele Leute in der Umgebung, die
arbeiten müssen, aber uns unterstützen wollen. Das ist
Follower-Power.»

Follower, das sind Twitter-Nutzer, die Beiträge von anderen
regelmäßig verfolgen. Die Aufrufe zur Unterstützung tauchen unter dem

«Hashtag» (Schlagwort) #OccupyFrankfurt auf. Zusammen mit Facebook
hat der Internet-Dienst Twitter eine wichtige Bedeutung für die
Protestbewegung, die sich seit dem 17. September zunächst an der Wall
Street in New York und seit einer Woche auch in Deutschland gegen den
Einfluss der Finanzwelt auf Politik und Gesellschaft richtet.

Twitter dient auch als Brücke für die Versammlungen im realen Raum
- die innerhalb der Bannmeile vor dem Bundestag und ohne Anmeldung
gar nicht Versammlungen sein dürfen. «Wir sind nur eine zufällige
Anzahl von Individuen, die ohne Hierarchie kommunizieren», sagt einer
während der «Asamblea» (spanisch: Versammlung) auf der Wiese vor dem

Reichstagsgebäude. Seine Worte werden von anderen in kurzen
Wortgruppen im Chor wiederholt: Das «Human Microphone»
(Menschenmikrofon), kurz «Human Mic» genannt, trägt jeden Redebeitrag

bis zum Rand der Versammlung.

«Das ist nicht nur ein technischer Ersatz fürs Megafon, sondern
eine Kommunikationstechnik, die dabei hilft, sich anders auszudrücken
und anders zuzuhören», erklärt einer der Teilnehmer, der 40-jährige

Software-Entwickler Florian Raffel. Wenn alle drei, vier oder fünf
Wörter eine Pause für das Human Mic eingelegt werde, könne man die
Gedanken kürzer und prägnanter formulieren. «So entsteht eine neue
Gesprächskultur und wir sind unabhängig von Technik», fügt ein
weiterer Teilnehmer hinzu, der 34-jährige Schauspieler und Regisseur
Johannes Ponader.

Das Sprechen in Wortblöcken kennt auch die Rap-Kultur. Mehrere
prominente Hiphop-Künstler wie Mos Def, Kanye West und Talib Kweli
besuchten die Wall-Street-Besetzer im Liberty Park und bezogen mit
ihren Aussagen politisch Stellung. In einem Freestyle Rap rief Talib
Kweli: «Die Konzernbosse und die Führer des Status Quo haben eine
tief verankerte Angst vor Veränderung.» Auch unbekannte
Hiphop-Aktivisten reden sich engagiert den Frust von der Seele - und
nutzen dabei den menschlichen Verstärker, um ihre Botschaft durch den
Park zu bringen.

«Wiederholen heißt nicht zustimmen», betont Ponader. Das Human Mic

hat vor dem Reichstag auch die Stimme eines Polizisten verstärkt, der
die Demonstranten nach ihrem nicht existierenden Versammlungsleiter
fragte. Und ein Radioreporter sprach ins Human Mic, um die Asamblea
als Gruppe zu befragen - denn diese lehnt es ab, einzelne Sprecher zu
benennen. Die Teilnehmer reagieren mit Handzeichen auf jeden
Redebeitrag - wenn man die Hände hochhält und bewegt, bedeutet das
Zustimmung. Auf diese Weise wird der Redner nicht durch Klatschen
unterbrochen. Ebenso gibt es Zeichen für Ablehnung und andere
Reaktionen.

Die Diskussionen auf der Wiese und im Internet sind eng
miteinander verknüpft. Ein Lifestream überträgt die Asamblea ins
Netz. In Frankfurt wie in Berlin werden die wichtigsten Inhalte der
Diskussionen auf Webseiten festgehalten.

«Die Sozialen Netze spielen eine sehr große Rolle für uns, damit
erreichen wir viele Menschen», sagt der Frankfurter Colin Below, der
sich als Web-Entwickler auch um das Wiki von OccupyFrankfurt kümmert.
Facebook und Twitter stünden hier im Mittelpunkt. Für Planung und
Organisation seien Wiki und Pad wichtig: Hier können mehrere
gleichzeitig an Dokumenten arbeiten. «Da wird dann solange
umformuliert, bis ein Konsens entsteht», erklärt der 22-Jährige. Fü
r
das Chatten in Echtzeit treffen sich die Zentralbank-Camper und ihre
Unterstützer auch in einem eigenen IRC-Kanal, also auf einem mit
dieser Technik eingerichteten Internet-Server.

Die Occupy-Bewegung ist global. Neben dem New Yorker Vorbild
Occupy Wall Street (OWS) kommen viele Anstöße aus Spanien, wo die
«Indignados», die Empörten, schon seit Mai auf die Straße gehen und

sich unter anderem auf der Plattform «Echte Demokratie Jetzt»
organisieren.

Der Protest hat sich im Social Web fest etabliert, wie eine
Twitter-Auswertung von Meltwater Buzz ergab. Höhepunkt war in
Deutschland bisher der 15. Oktober, als 5250 Tweets mit den
einschlägigen Hashtags gezählt wurden. In Spanien waren es an diesem
Tag über 17 000, in den USA am 14. Oktober über 160 000 - darunter
auch Tweets von Prominenten wie die Hollywood-Stars Alec Baldwin und
Roseanne Barr.

Nach dem Aktionstag am 15. Oktober ist es in Deutschland schnell
wieder still geworden um die Protestbewegung. Die «Occupier» wollen
versuchen, am Wochenende erneut Tausende auf die Straße zu bringen.
Zugleich aber wollen sie mit dem geforderten Wandel auch bei sich
selbst anfangen. So ist in Berlin wie zuletzt auch schon in Hamburg
ein «MedMob», eine gemeinsame Meditation geplant. «Es geht ums
Mensch-Sein, um einen friedlichen Zusammenschluss und auch darum, bei
sich selbst mit der Veränderung anzufangen», sagt der 35-jährige
Heilpraktiker Roman Asriel. «Meditation kann auf jeden Fall etwas
verändern und öffnet uns für neue Ideen.»

# dpa-Notizblock

## Internet
- [OccupyFrankfurt](http://occupyfrankfurt.de/doku.php)
- [OccupyBerlin](http://occupyberlin.tumblr.com/)
- [YouTube-Film Polizist bei Asamblea](http://dpaq.de/yOuxO)
- [Talib Kweli](http://dpaq.de/Y7Gw8)

## Orte
- [EZB](Kaiserstraße 29, 60311 Frankfurt)
- [Reichstag](Platz der Republik 1, 10117 Berlin)

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite