Selbstbedienung statt Ladentheke: Der Drogeriemarkt wird 40 Von Jan-Henrik Petermann und Johannes Wagemann, dpa
Als die Drogerie noch Tante-Emma-Laden war, versorgte der Inhaber die
Kunden persönlich hinter der Theke. Vor 40 Jahren stellte Dirk
Roßmann als erster auf Selbstbedienung um. Während er und die Kette
dm bis heute Erfolg haben, ist es um Schlecker schlecht bestellt.
Burgwedel/Karlsruhe/Ehingen (dpa) - Wer auf die Schnelle eine Tube
Zahnpasta, eine Dose Make-up oder eine Packung Windeln braucht, muss
heute nicht lange überlegen: Ein kurzer Gang in den Drogeriemarkt um
die Ecke, schon ist der Haushalt mit dem Nötigsten eingedeckt. Fast
nostalgisch muten da die Zeiten an, in denen man für Pflege- und
Hygieneartikel noch kleine Fachgeschäfte ansteuerte, wo sich der Chef
oder die Chefin persönlich um die Kunden kümmerte. Die Drogerie als
Mischung aus Apotheke und Tante-Emma-Laden - das ist Geschichte.
Dirk Roßmann kennt beide Welten. Der 65-Jährige gilt als Erfinder
der Selbstbedienungs-Drogerie, die erste Filiale mit dem damals neuen
Konzept eröffnete er vor genau 40 Jahren. Inzwischen ist die
Rossmann-Kette - wie sich während der Schlecker-Insolvenz
herausstellte - der zweitgrößte deutsche Drogeriekonzern hinter dem
Karlsruher Konkurrenten dm. Der Gründer hatte zunächst jede Menge
Basis- und Aufbauarbeit zu leisten.
«Es gab auch schwere Jahre», sagt der Pionier aus Burgwedel bei
Hannover. Roßmann ging im Betrieb der Eltern und Großeltern in die
Lehre und startete 1972 seinen ersten «Markt für Drogeriewaren» in
der niedersächsischen Landeshauptstadt. «Das Haus gibt es noch, doch
der Laden wurde mittlerweile geschlossen. Deshalb kam es zu einem
riesigen Aufschrei», erzählt sein Sprecher Stephan-Thomas Klose.
Viele Kunden und Mitarbeiter hätten sich gewünscht, aus der Keimzelle
des Unternehmens mit 30 000 Beschäftigen, 2500 Filialen in sechs
Ländern und einem Umsatz von mehr als fünf Milliarden Euro ein Museum
zu machen.
Fotos der ersten Tage in der Hannoverschen Jakobistraße gibt es
kaum. Alle Beteiligten - und ganz besonders der Chef - waren damals
eben enorm angespannt, erklärt Klose: «Es hätte ja auch völlig
schiefgehen können.» Das spätere Wachstum sei nicht abzusehen
gewesen. Etliche Besucher des 250 Quadratmeter großen Ladens waren
zunächst skeptisch: «Sie fragten: Was ist das denn? Muss man sich
hier alles selbst zusammensuchen?» Die elterliche Drogerie der
Roßmänner maß gerade rund 50 Quadratmeter.
Der Wegfall der Preisbindung im Lebensmittel-Einzelhandel Mitte
der 1970er Jahre trieb die Umsätze an: «Bis dahin durfte man Seife,
Haarspray & Co. nicht unter einem bestimmten Mindestpreis verkaufen.
Das wurde nun extrem billig.» Die eher scheue Kundschaft dankte
Roßmann seine Idee. «Man konnte jetzt auch scheinbar peinliche
Artikel selber aus den Regalen holen», meint Klose mit Blick auf den
zuweilen reißenden Absatz von Körpercremes, Kondomen oder seltsamen
Düften. Es dauerte nicht lange, bis die späteren Rivalen Götz Werner
(dm) und Anton Schlecker in Hannover vorbeischauten. Zwischen dm und
Rossmann gab es bis in die 1990er Jahre eine Einkaufskooperation.
Für den Handelsverband Deutschland (HDE) hatte das Ladenkonzept
weitreichende Folgen: «Vorher gab es apothekenähnliche Läden, nun
großflächige Geschäfte mit viel mehr Auswahl. Es war durchaus eine
kleine Revolution», sagt HDE-Mann Stefan Hertel. Dass heute auch
viele Lebensmittelmärkte versuchen, den Drogeriemärkten mit
entsprechenden Sortimenten Kunden abzujagen, sei nicht unbedingt
kritisch: «Umgekehrt bieten Drogerien ja auch Lebensmittel und vor
allem Süßigkeiten an. Da sollte sich ein Gleichgewicht einstellen.»
Als zweiter der drei deutschen Drogerieriesen kam 1973 dm (für
Drogeriemarkt) hinzu. Götz Werner, der einer Heidelberger
Drogistenfamilie entstammt, hatte die Chance ebenfalls ergriffen und
eröffnete ein Geschäft in Karlsruhe. Werner setzte eigene Akzente -
«ganzheitlich» sollte sein Unternehmen sein - samt eigener
Terminologie wie «Lernling» statt Auszubildendem oder der Einführung
einer eigenen Biomarke Mitte der 1980er.
Dm expandierte zudem mit größeren Geschäften als die Mitbewerber -
heute sind es in Deutschland rund 1300. Und das Unternehmen kämpfte
sich beharrlich an die Spitze - mit insgesamt 6,17 Milliarden Euro
Umsatz europaweit. Über den Gewinn schweigen sich die Badener
aus. Aber profitabel waren sie nach eigenen Angaben immer.
150 Kilometer südlich begann Anton Schlecker seine Karriere
im Fleischwarenbetrieb seines Vaters. Doch auch er erkannte die
Chancen des Drogeriemarkts ohne Preisbindung und machte 1975 sein
erstes Geschäft in Kirchheim/Teck nahe Stuttgart auf - wo heute zwei
Filialen vor dem Aus stehen. Ähnlich wie Roßmann expandierte er in
rasendem Tempo und überflügelte seine Wettbewerber - zumindest, was
die Filialzahl anging. In den Hochzeiten waren es mehr als 10 000
allein in Deutschland.
Doch vor rund sechs Jahren rutschte die Kette in die roten Zahlen.
Anders als die Wettbewerber setzte der Ehinger Kaufmann auf die
kleinen Läden an jeder Straßenecke, deren Attraktivität zu wünschen
übrig ließ. Hinzu kamen Dauerquerelen um Arbeitnehmerrechte.
Schlecker versuchte es zu spät mit einer Modernisierung. Im Januar
folgte der Tiefpunkt, der Insolvenzantrag. Von heute noch 5400
Filialen (plus rund 600 bei der Tochter IhrPlatz) sollen mehr als
2000 schließen. Der Umsatz lag 2011 noch bei rund fünf Milliarden
Euro, doch die Verluste betrugen rund 200 Millionen Euro.
# dpa-Notizblock
## Internet
- [Rossmann-Historie](http://dpaq.de/Ro7Vv)
- [dm-Geschichte](http://dpaq.de/Fw49m)
- [Schlecker-Eigendarstellung](http://dpaq.de/schlecker-historie)
## Orte
- [Rossmann](Isernhägener Straße 16, Burgwedel)
- [dm](Carl-Metz-Straße 1, Karlsruhe)
- [Schlecker](Talstraße 12-14, Ehingen)
- [HDE](Am Weidendamm 1A, Berlin)
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