«Alter Traum der Krebsmedizin»: Immuntherapie wirkt tatsächlich Von Christine Cornelius, dpa

Statt Chemotherapie das körpereigene Immunsystem gegen Krebszellen
einsetzen: Mit verblüffenden Erfolgen der Immuntherapie wird für
viele Mediziner ein alter Traum wahr. Doch es gibt noch offene Fragen
- und längst nicht allen kann geholfen werden.

Heidelberg (dpa) - Mit einem angeschwollenen Lymphknoten und
Nachtschweiß fing es an. Georgios Kessesidis fühlte sich ständig
schlapp, ging deswegen wieder und wieder zum Arzt. «Die Diagnose war
immer Bronchitis oder Asthma, weil ich Heuschnupfen hatte», sagt der
heute 27-Jährige aus Reutlingen. Erst Monate und zahlreiche
Arztbesuche später stellte sich heraus: Es war etwas völlig anderes,

der junge Mann litt unter Lungenkrebs. «Ich habe alles erwartet an
Krankheiten, aber bestimmt nicht sowas», erinnert er sich. Der Krebs
war schon sehr weit fortgeschritten - und eigentlich Experten zufolge
weder heilbar noch sinnvoll zu operieren.

Trotzdem sieht Kessesidis heute kerngesund aus. «Ich fühle mich
richtig gut», sagt er. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Auf die
Chemotherapie, die er anfangs bekam, sprach er nicht an - der Tumor
wuchs sogar weiter. Dann erfuhr er von der Möglichkeit, an einer
internationalen Studie teilzunehmen. Seit Juni 2014 macht er mit.
«Diese Therapie, dieses Medikament, hat bestimmte Immunzellen
aktiviert, Immunzellen, die in der Lage sind, Tumorzellen zu erkennen
und abzutöten», erläutert Kessesidis' Arzt Dirk Jäger, Direktor f
ür
Medizinische Onkologie im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in
Heidelberg. Die Zeit ist aber noch zu kurz, um von Heilung zu
sprechen, und nicht bei allen Lungenkrebspatienten wirkt diese
Immuntherapie.

Das Immunsystem erkenne manche Tumorarten besser als andere,
berichtet das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ).
Dazu gehöre etwa der schwarze Hautkrebs. Für Patienten, die darunter
litten, würden bevorzugt neue immunologische Therapien entwickelt.

Gegen viele andere Krebsarten gebe es bislang aber keine ausreichend
wirksamen Möglichkeiten der Immuntherapie. Jäger zufolge zeigt sie
etwa bei Dickdarmkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs weit weniger gute
Ergebnisse. Derzeit laufen in aller Welt Studien, viele Firmen
entwickeln entsprechende Medikamente. «Da gibt es eine richtige
Goldgräberstimmung, auch in der Arzneimittelindustrie und in der
Biotechnologie», sagt DKFZ-Chef Otmar Wiestler.

Mediziner Jäger zufolge ist eine sehr ähnliche Substanz, wie
Kessesidis sie in der Studie bekommt, gerade in den USA zugelassen
worden. Experten rechnen mit einer Zulassung in Deutschland etwa in
einem Jahr. Die Kosten für einen Patienten liegen ihnen zufolge
zwischen 15 000 Euro und 20 000 Euro. Kessesidis müsse nichts
bezahlen, die Kosten übernehme ein großer Pharmakonzern, der die
Studie finanziere, sagt Jäger. Der Krebsinformationsdienst des
DKFZ informiert darüber, wo Patienten welche Studien finden.

Der Fortschritt, der auf dem Feld der Immuntherapie erzielt wurde,
war nach Einschätzung des Fachmagazins «Science» die
wissenschaftliche Top-Entdeckung des Jahres 2013. Es war das Jahr, in
dem die Strategie nach jahrzehntelanger Forschung endlich ihr volles
Potenzial gezeigt hat, wie die Herausgeber damals erklärten. «Ein
neues Kapitel der Krebsforschung und -behandlung hat begonnen.»
Dennoch steckten die meisten Therapien erst in unterschiedlich weit
gekommenen Studien.

«Immuntherapie ist ein alter Traum der Krebsmedizin», sagt DKFZ-Chef
Wiestler. «Krebszellen sind ja fremde Zellen im Körper - und
eigentlich müsste man glauben, dass unser Abwehrsystem sie erkennt.»
Doch wenn der Krebs ausbreche, versage das Immunsystem. Lange Zeit
kannten Mediziner nicht den Grund dafür. «Heute weiß man: Tumore
können sich vor dem Immunsystem verstecken und werden dann einfach
nicht mehr als fremd erkannt. Zum anderen bauen Krebsgewebe einen
Schutzwall auf, der verhindert, dass Zellen des Abwehrsystems die
Krebszellen erkennen und in das Krebsgewebe eindringen.»

Mit diesem Wissen seien in den vergangenen Jahren völlig neue
Strategien entwickelt worden, wie das Immunsystem doch wieder
aktiviert und gegen Krebszellen eingesetzt werden könne, sagt
Wiestler. Es gebe Patienten - wie Kessesidis - die überraschend gut
ansprächen auf die Medikamente. Aber: «Ob diese Reaktionen
langfristig anhalten und ob man dann wirklich von einer Heilung
sprechen kann, das kann keiner von uns momentan prognostizieren.»
Manche Patienten reagierten auch gar nicht auf die Immuntherapie -
«und wir verstehen momentan nicht wirklich, warum das so ist». Die
Wissenschaft sei auf diesem Feld noch in einer Lernphase.

Kessesidis sei aber nicht die große Ausnahme, betont sein Arzt Jäger.
«Wir haben eine ganze Reihe von Patienten, bei denen wir solche
Verläufe sehen. Nicht alle, aber doch eine ganze Reihe.» Der Patient
komme momentan noch alle zwei Wochen für die Therapie nach Heidelberg
und bekomme eine Infusion. Die Studie solle in ihrer jetzigen frühen
Phase vor allem zeigen, welche Nebenwirkungen das Medikament
hervorrufe. Kessesidis hatte, wie er selbst erzählt, zu Beginn der
Immuntherapie leichten Durchfall, außerdem verschlechterte sich
zeitweise seine Schuppenflechte.

Ob der 27-Jährige dauerhaft auf das Medikament anspricht und sein
Tumor erfolgreich bekämpft ist, vermag Mediziner Jäger nicht
vorherzusagen. «Wir alle hoffen es.»

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