«Imperium» in Hamburg: Verirrte Wohlstandsjugend Von Ulrike Cordes, dpa
Christian Krachts umstrittener Erfolgsroman «Imperium» hat in einer
Inszenierung von Starregisseur Jan Bosse am Hamburger Thalia in der
Gaußstraße Uraufführung gefeiert. Das Publikum reagierte begeistert.
Hamburg (dpa) - Unterhaltsam-groteskes Abdriften in Barbarei, Tod und
Verwüstung, pastellbunt und untermalt von launig swingender Musik: So
hat Jan Bosse den umstrittenen Erfolgsroman «Imperium» y(2012) von
Christian Kracht über einen historischen deutschen Aussteiger und
Vegetarier auf eine Hamburger Bühne gebracht. Mit viel Gelächter und
tosendem Applaus reagierten die Zuschauer am Sonntagabend im Thalia
in der Gaußstraße auf die Uraufführung der zweistündigen Textfassun
g,
die Bosse mit Gabriella Bußacker und dem sechsköpfigen Ensemble
geschaffen hat. Die Darsteller, darunter Daniel Lommatzsch und Jörg
Pohl, lieferten starke Leistungen als zunächst schicke und blasierte,
bald aber desolate und in jeder Hinsicht nackte junge
Pazifikinselbewohner.
Für das Thalia-Theater setzt sich damit der Trend fort, mit Versionen
eingeführter Prosawerke Furore zu machen - so im Großen Haus mit
Klassikern wie Grass' «Blechtrommel», Lenz' «Deutschstunde» und
Melvilles «Moby Dick». Bevor es am Sonntag in der ausverkauften
Nebenspielstätte an der Gaußstraße mit der eigentlichen Handlung
losging, hatte das Publikum noch im Foyer einem Biertischauftritt zu
lauschen: Einen Humpen Gerstensaft vor sich, schwadronierte ein
verklemmt und verschwitzt wirkender Agitator in beiger Strickjacke
und brauner Hose (Lommatzsch) über «Kokovismus» - die Lehre von der
Notwendigkeit des modernen Menschen, sich nur von Kokosnuss zu
ernähren und seinen Körper der Sonne auszusetzen, um der eigenen
gottähnlichen Bestimmung wieder nahe zu kommen - das sei «der Mensch,
wie er sein soll.»
Die Szene macht vertraut mit der Gedankenwelt August Engelhardts
(1875-1919). Der Nürnberger Apothekenhelfer hatte 1902 in
Deutsch-Neuguinea auf Kabakon eine Kommune gegründet, die der
westlichen Zivilisation trotzen sollte. Engelhardts von der damaligen
«Lebensreformbewegung» inspirierte Ideen sollten später die
amerikanischen Hippies, aber auch die Nazis beeinflussen.
Der Schweizer Kultautor Kracht («Faserland») beschreibt den extremen
Idealisten in seinem satirischen Roman, dem nach Erscheinen in
heftigen Feuilletondebatten auch «rassische Weltsicht» und
antimoderne Gedanken vorgeworfen wurden, in künstlerisch freier
Weise. Lustvoll greifen Bosse und Mitstreiter die Geschichte auf, mit
der sie nun ein Bühnenexempel über deutschen Weltverbesserungsdrang
statuieren.
Drei helle Inselchen auf dunklem Grund - eines aus Plastikmüll, das
mittlere, größere aus Sand und eines aus Kokosnussschalen - bilden
das sparsame Ambiente (Bühne: Stéphane Laimé). In dem sorgt rechts am
Tasteninstrument Jonas Landerschier für weltflüchtigen Sound. Neben
ihm, in einem kolonialen Korbsessel, sitzt ein alter Mann mit langem
Bart und liest aus seinen Erinnerungen. Und in der Mitte tobt der
Eso-Wahnsinn - wobei die Schauspieler Lommatzsch, Jörg Pohl, Steffen
Siegmund, Sebastian Zimmler und Marie Locker statt Dialogen Krachts
präzise geschliffene sowie eigene Erzählprosa direkt ins Publikum
sprechen. Sie bilden eine verwöhnte Jugend, wie man sie sich auf Sylt
vorstellen kann, die hier in pastellfarbener Sommermode anlandet
(Kostüme: Kathrin Plath).
Doch nach und nach, unter Einsatz teils drastisch slapstickartiger
Verrenkungen, verwandeln sich die Wohlstandskinder in nackte, von
Mangelernährung, Zukunftsängsten und sexuellen Lüsten geplagte
Pazifikinsulaner. Rauchend und tänzelnd, grapschend und jagend
gestalten die Darsteller diese Selbstentblößung, bei der sich ein
Jünger von Helgoland als Antisemit entpuppt. Ein Mensch fällt
vermutlich einem Mord zum Opfer, ein Eingeborener betet Sektenguru
Engelhardt an, der wiederum isst seinen eigenen Finger. Grausig
irregeleitete Weltfremde - über deren Führer, den die Amerikaner nach
dem Zweiten Weltkrieg zum Skelett abgemagert im Urwald entdecken,
Hollywood einen Film dreht. Wie sagt es der Alte im Lehnstuhl? «Eine
Geschichte muss nicht wahr sein - aber stimmen.»
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