Erpresst oder genötigt: Frauen in Indien zur Verhütung gezwungen Von Friederike Heine, dpa
Indien geht seit Jahrzehnten gegen die wachsende Bevölkerung vor.
Dabei missachten die Behörden mitunter elementare Menschenrechte.
Opfer der Zwangsverhütung sind vor allem arme Frauen.
Chennai (dpa) - Mit nur 18 Jahren bekam Ramya Rajishwari ihr erstes
Kind, danach sollte die Inderin lange nicht wieder schwanger werden
können. Ohne ihre Erlaubnis setzten Ärzte der jungen Frau eine
Kupferspirale ein. «Meine Stiefmutter und die Ärzte hatten es so
beschlossen», sagt Ramya leise. Die Frau aus einem umgesiedelten Slum
in der südindischen Stadt Chennai scheut den Augenkontakt. Inzwischen
ist ihr Sohn sechs Monate alt und schläft neben ihr auf dem Boden.
«Mein Mann hat kein regelmäßiges Gehalt und ist drogen- und
alkoholabhängig. Sie hielten es für besser, wenn wir nicht noch ein
Kind bekommen», fügt Ramya hinzu.
Das in der Gebärmutter eingesetzte Verhütungsmittel würde mindestens
fünf Jahre lang eine Schwangerschaft verhindern, sagten ihr die Ärzte
des staatlichen Krankenhauses. Ramya gehört einer armen
Dalit-Gemeinde an. Die Kastenlosen wurden in Indien früher als
Unberührbare behandelt und werden immer noch häufig diskriminiert.
Nach ihrer Entlassung aus der Klinik hatte Ramya heftige
Unterleibsschmerzen und Blutungen. «Es hörte einfach nicht auf zu
bluten», sagt sie während sie ihre Hände schützend auf den Bauch
legt. Zurück im Krankenhaus begegneten ihr die Pfleger mit
Unverständnis. «Sie schimpften mit mir und sagten ich bildete mir das
ein», sagt sie. «Ein Pfleger schlug mir ins Gesicht, als ich vor
Schmerz aufschrie», sagt Ramya.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist
sie nur eine unter Millionen Inderinnen. Unzählige Frauen werden
demnach entweder überredet oder gezwungen, eine Spirale einsetzen
oder sich sterilisieren zu lassen. Von Nebenwirkungen oder
alternativen Verhütungsmethoden erfahren sie meist nichts.
Grund ist Indiens wachsende Bevölkerung, die von der Regierung als
Problem betrachtet wird. Nach jüngsten Prognosen der Vereinten
Nationen werde der Staat bis 2024 China als weltweit
bevölkerungsreichstes Land ablösen. Zwar sei die Geburtenzahl
innerhalb von zwölf Jahren um knapp ein Drittel von 3,2 auf 2,5
Kinder pro Frau gesunken, doch in den ärmsten Regionen des Landes sei
sie unverändert geblieben. Arme Frauen seien «unverantwortliche
Brüterinnen», sagt ein Beamter des indischen Gesundheits- und
Familienplanungsministeriums. Er möchte unerkannt bleiben. Das
zuständige Ministerium weigert sich, diese Aussagen zu kommentieren.
Schon in der Vergangenheit versuchte Indien, das Bevölkerungswachstum
durch Geburtenkontrolle einzudämmen. Millionen Männer und Frauen
wurden in den 1970er Jahren zwangssterilisiert. Die Maßnahme betraf
vor allem Menschen der niederen Kasten. Seit den 1980er Jahren wollen
die Behörden Frauen zur Sterilisation bewegen. Mit Geld und
Geschenken werden Inderinnen angespornt, sich die Eileiter abschnüren
zu lassen. Die jüngste Initiative soll die Spirale zum
Standard-Verhütungsmittel machen. Vor allem in Armut lebende Frauen
in ländlichen Regionen sind die Zielgruppe der Behörden.
Die jahrzehntelange Geburtenkontrolle hat auch das Bewusstsein der
Inder geprägt. Viele Klinikmitarbeiter seien der Auffassung, dass
Frauen höchstens zwei Kinder gebären sollten, sagt Geetha Sundar -
ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. Die Aktivistin hat
sich intensiv mit der Geburtenpolitik im südindischen Bundesstaat
Tamil Nadu auseinandergesetzt. «Sie denken, sie tun Gutes, wenn sie
verhindern, dass arme Frauen Kinder bekommen, die sie nicht aufziehen
können», sagt Sundar.
Sie sprach mit 221 Frauen, denen eine Kupferspirale eingesetzt worden
war. Erschreckend oft geschehe das ohne ihr Wissen, sagt Sundar. Die
Behörden würden auch die Notlage von Frauen ausnutzen. So sei einigen
Müttern die Impfung ihrer Kinder verweigert worden, wenn sie nicht
einwilligen wollten.
Wehren können sich die Inderinnen dagegen kaum. Rechtliche Schritte
gegen Kliniken seien meist unmöglich, sagt die Anwältin R. Devika aus
Chennai. Oft mache die Expertenmeinung der Gynäkologen die
Einwilligung der Frauen entbehrlich. Aktivisten fordern, dass der
Staat die Inderinnen davor schützen muss. «Das Recht einer Frau auf
körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ist ein
unumstößliches Menschenrecht - dagegen darf auch keine Expertengruppe
verstoßen», sagt die Gynäkologin Subha Sri Balakrishnan, die Frauen
in ländlichen Regionen über Verhütung aufklärt.
Ramya ließ die Spirale in einer privaten Klinik entfernen. Der
Eingriff kostete mit umgerechnet 34 Euro rund ein Viertel des
Monatsgehalts ihres Mannes. Nun verhütet sie mit einer
Dreimonatsspritze. Kondome kämen für ihren Mann nicht infrage, sagt
Ramya. Verhütung liegt meist in der Verantwortung der Frauen.
Sterilisation bei Männern ist in Indiens patriarchalischer
Gesellschaft ein Tabu und Kondome oft schwer zu bekommen, wie die
Gynäkologin Sundar sagt. «Darauf sollte die Regierung ihre Mühen
konzentrieren.»
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.