Antike Latrinen als Keimschleuder Von Claudia Thaler, dpa
Die Latrinen der alten Römer waren gar nicht so hygienisch wie
angenommen. Sie waren nach einer neuen Studie sogar dafür
verantwortlich, dass sich Krankheitserreger weit verbreiteten.
Cambridge (dpa) - Gestählte Körper, Schönheitskult, penible
Hygienevorschriften: Unser Bild vom antiken Rom ist bestimmt von der
Vorstellung eines Strebens nach Disziplin, Ordnung und Ästhetik - und
dennoch stanken die Toiletten dort sprichwörtlich bis zum Himmel. Und
nicht nur das: Ein britischer Forscher hat jetzt nachgewiesen, dass
die Latrinen wohl eine Keimschleuder in einem neuen Ausmaß waren. Die
Latrinen waren demnach maßgeblich verantwortlich für die Verbreitung
von Krankheitserregern im ganzen Römischen Reich.
Viele Menschen im gesamten Reich litten zum Beispiel an
Darmkrankheiten, die von den Erregern in den Latrinen übertragen und
ausgelöst wurden, analysierte der Anthropologe Piers Mitchell von der
Universität Cambridge im Fachjournal «Parasitology». Entgegen einer
allgemeinen Annahme brachten die Toiletten laut seiner neuen Studie
keine wesentlichen Verbesserungen im Gesundheitssystem.
Mitchell untersuchte in antiken Gemeinschaftsklos sogenannte
Koprolithe - das sind Kotsteine aus fossilen Exkrementen. Die Reste
verglich er dann mit den Analysen aus Gräbern und Ausgrabungsresten.
Dabei zeigte sich: In den Kothäufchen wimmelte es nur so an
Überresten zum Beispiel von krankmachenden Läusen, Flöhen oder
Zecken. Solche Überreste finden sich im ganzen ehemaligen Römischen
Reich - von britischen Siedlungen bis nach Vorderasien.
Die Hygienemaßnahmen hatten laut Mitchell kaum positive Effekte auf
die Gesundheit. Flöhe und Läuse hätten sich bei den Römern ebenso
stark verbreitet wie zu Zeiten der Wikinger oder im Mittelalter.
Dabei herrschte zu dieser Zeit ein fast hygienischer Ausnahmezustand:
Im Mittelalter schüttete man die Fäkalien und schmutziges Wasser auf
die Straße, bis diese festgetreten waren. Doch warum kamen dann die
Gemeinschaftstoiletten keiner hygienischen Revolution gleich?
Eine von Mitchells Thesen besagt, dass das Wasser in öffentlichen
Latrinen teilweise selten ausgetauscht wurde und sich so eine
Schlammschicht auf der Oberfläche gebildet haben könnte. Bisher ging
man davon aus, dass ein Kanalsystem über Aquädukte und regelmäßige
Wasserzulieferungen die Hygienestandards in öffentlichen Bädern
verbessert hätten. «Offensichtlich waren die Badeanstalten jedoch
nicht so hygienisch wie bisher angenommen», resümiert Mitchell laut
einer von seiner Universität verbreiteten Mitteilung.
Ein zweite Theorie geht noch weiter: In den Proben fand Mitchell
immer wieder die Eier einer speziellen Art von Bandwürmern, die sich
vor allem in Fischen einnistet. Der mögliche Grund: Die Römer liebten
eine spezielle Fischsoße auf ihren Gerichten, das sogenannte Garum.
Die Paste wird nicht gekocht, sondern steht lange Zeit in der prallen
Sonne - ideale Bedingungen für den Fischbandwurm. «Heute würde man
von ekligem Gammelzeug sprechen, damals war es das 'Maggi der
Antike'», sagt Karl-Wilhelm Weeber von der Universität Wuppertal. Für
ihn ist Mitchells Theorie plausibel. Durch intensiven Garum-Handel
konnten sich die Parasiten weit verbreiten.
Der antike Lokus gibt jedoch noch andere tiefgründige Erkenntnisse
preis: Weil die öffentlichen Latrinen durch die starke Nutzung
schnell überzuquellen drohten, mussten sie in regelmäßigen Abstände
n
ausgehoben werden. Doch wohin mit all den Exkrementen? Einzelne
Aufzeichnungen legen nahe, dass diese auch auf den Feldern als
Düngemittel eingesetzt wurden. Laut Mitchell hatte diese Maßnahme
dramatische Konsequenzen: Die Parasiten gelangten auf die Felder und
mit der Ernte wieder auf die Märkte - schlecht für die Konsumenten.
Gemeinschaftsklos gibt es seit dem ersten Jahrhundert vor Christus,
als Sitzreihe für rund 50 Menschen, ohne Trennwände oder
Privatsphäre. In vielen Fällen verrichteten Mann und Frau
nebeneinander ihre Notdurft. Darüber hinaus war eine Latrine ein
Privileg der Stadtbewohner. Rund 85 Prozent der Menschen lebten auf
dem Land und nutzten die Natur, um sich zu erleichtern - und kannten
das «Highlight der römischen Zivilisation» allenfalls vom Hörensage
n.
Deswegen will Altphilologe und Historiker Weeber die
Hygienevorschriften im alten Rom nicht zu hoch einschätzen.
«Im Vergleich zum Mittelalter war das Römische Reich jedoch ein Hor
t
der Hygiene.» Private Latrinen lagen meist unmittelbar neben der
Küche, dort wurde auch der Hausmüll entsorgt. Einige Sammelklos
wurden nur gegen einen kleinen Obolus gereinigt. In Prachtlatrinen
trafen sich hingegen Angehörige der Oberschicht zum «gemeinsamen
Defäkieren», wie Weeber erklärt. Dabei tauschte man sich etwa über
Stadtgerüchte oder Politik aus. «Ein umgekehrter Stammtisch.»
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