Der Schrittmacher im Hirn - Neuanfang für Parkinson-Patienten Von Dorothea Hülsmeier, dpa
Zittern, Starre, Verlust der sozialen Kontakte - die
Parkinson-Krankheit hat schwerwiegende Folgen. Hirnschrittmacher
können Betroffenen das Leben erleichtern. Inzwischen hat die Technik
große Fortschritte gemacht.
Düsseldorf (dpa) - Helmut Schröder war 49, als er beim Skifahren die
Rechtskurve nicht mehr hinbekam. Auch eine Tür aufzuschließen, wurde
für ihn zum Problem. Schon bald wurde bei dem Psychiater an einer
Klinik in Hannover Parkinson diagnostiziert. Über sein Leben mit der
unheilbaren Krankheit, die neben Alzheimer zu den häufigsten
zerstörerischen Krankheiten des Nervensystems gehört, hat Schröder
ein Buch geschrieben. Parkinson vergleicht er darin mit einer
«Achterbahnfahrt für Fortgeschrittene».
Heute ist Schröder 67 Jahre. Seit er sich vor eineinhalb Jahren in
der Göttinger Uni-Klinik einen Hirnschrittmacher implantieren ließ,
hat er seine Lebensfreude wiedergefunden. Die Sonde gibt elektrische
Impulse in das Gehirn ab. «Ich kann alle Bewegungen machen, die ich
möchte, ich kann Radfahren und die alten Hobbies wieder aufleben
lassen», sagt Schröder. Die für Parkinson typische Starre trete nur
noch «in milder Form» auf, auch das Sprechen sei besser geworden.
Schröder kann auch wieder malen. Die Medikamente konnten bei ihm auf
weniger als die Hälfte reduziert werden. «Meine Frau, die mir immer
geholfen hat, ist jetzt praktisch arbeitslos», sagt Schröder. «Für
mich war die OP ein echter Neuanfang.»
Doch der Schritt zur Operation am Gehirn war ein «Riesenentschluss».
Bei der tiefen Hirnstimulation werden zwei Elektroden mitten ins
Gehirn, in den rechten und linken Nucleus subthalamicus geschoben.
Dieses Areal ist vor allem für die Steuerung der Grobmotorik
zuständig. Die Operation erlebt der Patient zumeist im Wachzustand,
denn er soll «mitarbeiten». «Die Operation ist ziemlich unangenehm»
,
sagt Schröder. Fünf Stunden habe er während des Eingriffs Fragen des
OP-Teams beantworten müssen, bis der richtige Platz für die Sonde im
Gehirn gefunden war.
Das Gehirn selbst ist schmerzunempfindlich, mit einer lokalen
Betäubung werden zwei Löcher in die Schädeldecke gebohrt, durch die
später die Elektroden geschoben werden. Unter der Haut wird ein Kabel
zum Schrittmacher geführt, der in einer späteren Operation im Bauch-
oder Brustbereich eingesetzt wird. Bis das Steuergerät feinjustiert
ist, können bis zu zwei Wochen vergehen.
Rund 700 bis 800 Hirnschrittmacher werden nach Angaben des
Düsseldorfer Neurologen und Neurowissenschaftlers Alfons Schnitzler
pro Jahr implantiert. Die Zahl der bundesweit an Parkinson Erkrankten
wird auf bis zu 280 000 geschätzt. Rund 30 000 Euro kostet die OP,
die von den Kassen übernommen wird. «Es ist Potenzial für mehr da,
aber es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Zentren, und es ist
Aufklärung erforderlich», sagt Professor Schnitzler. «Es ist ja ein
Eingriff ins Gehirn, da sind natürlich Ängste da.»
Wann aber ist der richtige Zeitpunkt für die Hirnstimulation? Der
Trend heute gehe dazu, Patienten früher zu operieren, sagt
Schnitzler. Anfangs seien die Schrittmacher erst nach 12 bis 14
Jahren Krankheitsdauer eingesetzt worden. «Jetzt sind wir bei sieben
Jahren», sagt Schnitzler. «Wir machen es dann, wenn die medikamentöse
Behandlung nicht mehr befriedigend ist.»
Auch der Neurologe Professor Lars Timmermann, Experte für Tiefe
Hirnstimulation an der Uniklinik Köln, sieht schon bei Patienten
unter 61 Jahren in bestimmten Fällen den «idealen Zeitpunkt» für
einen Hirnschrittmacher gekommen. Aber nicht für jeden
Parkinson-Kranken kommt der Schrittmacher infrage. Umfangreiche
Vorgespräche mit Ärzten aus verschiedenen Bereichen werden geführt.
«Es ist keine Zaubertherapie», sagt Timmermann. «Aber es kann eine
tolle Option für den Einzelnen sein.»
So kann sich ein stark zitternder Patient nach Einschalten des
Hirnschrittmachers von einer Sekunde auf die andere wieder
koordiniert bewegen. «Wir haben dramatische Therapieeffekte, aber
verstehen bis heute noch nicht in allen Einzelheiten, wie es
funktioniert», sagt Schnitzler.
Bei den Geräten wurden in jüngster Zeit große technische Fortschritte
erzielt. Inzwischen werden Modelle getestet, über die der Stromimpuls
zielgerichtet in eine bestimmte Richtung gesteuert werden kann.
Reizungen benachbarter gesunder Hirnareale können so vermieden
werden. Ziel ist laut Schnitzler in zwei bis drei Jahren der
sogenannte adaptive Schrittmacher, der die kranken Hirnbereiche nicht
mehr unter ein 24-stündiges Dauerfeuer setzt, sondern nur dann die
störenden Nervenreize unterdrückt, wenn sie entstehen.
Doch die Sonde im Gehirn kann auch Nebenwirkungen haben. So besteht
bei der Operation das Risiko, ein Gefäß zu verletzen, so dass es zu
einer Hirnblutung kommen kann. Der Schrittmacher kann auch psychische
Veränderungen auslösen. «Je nachdem, wie die Sonde liegt, kann man
akut manische oder depressive Zustände erzeugen, kann sich der
Gefühlszustand akut verändern», sagt Schnitzler. Auch Neurologe
Timmermann hat beobachtet, dass manche Patienten nach dem Eingriff
von Persönlichkeitsveränderungen sprechen.
Der seit etwa zehn Jahren an Parkinson leidende 62-jährige Matthias
B. aus Düsseldorf, der in einer Spitzenposition arbeitet, hat sich
für den Hirnschrittmacher entschieden. Die größte Hürde für ihn w
ar
die Operation am Gehirn. «Plötzlich hat man einen Fremdkörper im
Kopf.» B. ließ sich die Sonde unter Vollnarkose einsetzen. «Seitdem
ich die Sonde drin habe, habe ich keinen Gedanken mehr darauf
verschwendet», sagt er rund zehn Tage nach dem Eingriff. Er stecke
voller Tatendrang.
Helmut Schröder verspürt eineinhalb Jahre nach der Operation keine
Nebenwirkungen. «Ich kann wieder Schach spielen und sogar wieder an
der Deutschen Ärztemeisterschaft teilnehmen.» Dennoch warnt auch er
vor zu hohen Erwartungen: «Man muss wissen, dass die Operation
Parkinson nicht heilt, sondern nur Jahre hinauszögert.»
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