Goldene Regel Ansprache - Suizidprävention braucht mehr Unterstützung Von Simona Block, dpa
Jeden Tag nehmen sich etwa 30 Menschen in Deutschland das Leben.
Viele der Suizide sind Experten zufolge durch Prävention vermeidbar.
Dafür braucht es mehr Bewusstsein und staatliche Unterstützung.
Dresden (dpa) - Studentin, Mitte 20, mit Auslandserfahrung und Erfolg
an der Uni, pendelt plötzlich zwischen Ängsten und Verzweiflung, das
Studium nicht zu schaffen und auch im Job keine Perspektive zu haben.
Sie sei der festen Überzeugung, dass «die logische Konsequenz eine
Selbsttötung ist», schreibt sie ihrer Therapeutin. Eine ambulante
Therapie und Medikamente verbessern ihren Zustand schnell. Die junge
Frau kann sich sogar ihren großen Traum von einem Auslandssemester
erfüllen. «Seither habe ich keinen Lebensüberdruss mehr....»
Der Fall ist für Fachleute ein Beleg, dass Vorbeugung sich auszahlt.
«Suizide können sehr wohl verhindert werden», sagt Ulrich Hegerl,
Chef der Psychiatrie an der Uniklinik Leipzig, zum Welttag der
Suizidprävention unter dem Motto «Kontakt herstellen. Kommunizieren.
Kümmern» am 10. September. Damit machen die Internationale
Gesellschaft für Suizidprävention und die Weltgesundheitsorganisation
seit 2003 öffentlich auf das Phänomen aufmerksam.
In Deutschland gibt es laut Statistik rund 10 000 Suizide pro Jahr.
Die häufigste Ursache ist nach Angaben der Stiftung Deutsche
Depressionshilfe die Depression, aber auch andere psychische
Erkrankungen wie Schizophrenie oder Sucht spielen eine Rolle.
«Dennoch ist Suizid nach wie vor ein Tabuthema», erklärt Hegerl. Vor
30 Jahren aber lag die Zahl fast doppelt so hoch. Warum, sei nicht
ganz klar. «Das Wahrscheinlichste ist, dass sich mehr Menschen mit
psychiatrischen Erkrankungen helfen lassen.» Viele bekommen die
richtige Diagnose und werden behandelt, weil Ärzte besser geschult
sind im Erkennen der Erkrankung.
Defizite sieht Hegerl dennoch. «Noch immer nehmen sich täglich etwa
30 Leute das Leben, eine schreckliche Zahl.» Dramatisch sei die
Zunahme der Suizidrate im Alter bei Männern, vor allem bei über 60-
und 70-Jährigen. «Vergiftungen, die von jungen Menschen noch überlebt
werden, können bei Älteren tödlich sein.» Und Depressionen werden o
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fehlinterpretiert - als verständliche Reaktion auf körperliche
Erkrankungen oder andere Bitternisse des Alters.
In Gemeinden von bundesweit bisher 78 Regionen verankerte Bündnisse
gegen Depression helfen, die Versorgung depressiv Erkrankter zu
verbessern und suizidalen Handlungen vorzubeugen. «Hausärzte, Lehrer,
Pfarrer, Apotheker oder Altenpfleger werden geschult, Depression
besser zu erkennen», sagt Hegerl, der auch Vorstandschef der Stiftung
Deutsche Depressionshilfe ist. Auf Plakaten und in Kinospots wird
aufgeklärt, dass das eine behandelbare Erkrankung ist - mit Erfolg.
«In einigen der Regionen gibt es weniger Suizide und Suizidversuche.»
Die Bündnisse sind ein europaweites Exportmodell.
Hegerl und seine Dresdner Kollegin Ute Lewitzka von der Deutschen
Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) sehen angesichts des bisher
nur ehrenamtlich und von Sponsoren getragenen Engagements die
öffentliche Hand in der Pflicht. Sie verweisen auf skandinavische
Länder, wo die Förderung politisch etabliert ist.
Angesicht dessen, was etwa in die Verkehrssicherheit investiert
werde, gebe es in Deutschland «ein groteskes Missverhältnis», so
Hegerl. Menschen, die sich das Leben nehmen, haben meist eine
behandelbare psychische Erkrankung, sind nach therapierter Depression
wieder leistungs- und genussfähig «und denken an alles andere, als
sich das Leben zu nehmen», argumentiert Hegerl.
«Depression kann jeden treffen», so Hegerl. Doch weniger als zehn
Prozent der Betroffenen werden den Angaben zufolge optimal behandelt.
In vielen Fällen könne mit Therapien Leid verhindert werden. Dafür
braucht es ein aufmerksames Umfeld. «Der Depressive ist hoffnungslos,
fühlt sich als Versager und nicht krank, hat Schuldgefühle, ihm fehlt
die Energie, sich selbst um Hilfe zu kümmern», erklärt Lewitzka.
Sie sieht auch ein Defizit bei der Forschungsförderung. «Erkennen und
Behandeln psychischer Erkrankungen ist die Basis des Erfolgs», mahnt
Lewitzka, die an der Dresdner Uniklinik die Wirkung von Lithium
untersucht. «Lithium kann Menschen davor schützen, sich das Leben zu
nehmen.» Studien belegten, dass eine Behandlung bei Patienten mit
einer solchen Erkrankung etwa 250 Suizide pro Jahr verhindern könnte.
Für den Notfall wäre aus Sicht der Experten ein rund um die Uhr
erreichbarer Krisendienst in jeder größeren Stadt sinnvoll, der die
Brücke zwischen sehr anonymen Angeboten wie der Telefonseelsorge und
dem Krankenhaus schlägt. Zwar gibt es den einen bestimmten Gedanken
nicht, der vom letzten Schritt abhält. «Wir wissen aber, dass es vo
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allem die Hoffnung ist, die Menschen weiter am Leben hält», sagt
Lewitzka. Und es gehe um Hilfe und Beistand.
«Wenn die Leute nach einem Versuch in Behandlung kommen, ist es
eigentlich zu spät», meint Kinder- und Jugendpsychologe Hellmuth
Braun-Scharm aus Nürnberg. Prävention müsse davor ansetzen. Es gelte,
Fachleute und auch Lehrer besser zu schulen und mehr altersgerechte
Beratungsmöglichkeiten wie die Online-Dienste U25 oder Youth Live
Line zu schaffen. Dort helfen Gleichaltrige Bedürftigen anonym. «So
lange darüber geredet wird, passiert in der Regel nichts», sagt der
Mediziner. «Die goldene Regel heißt immer Ansprache!»
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