Auf der Suche nach ein bisschen Nähe: Sexualbegleitung für alte Leute Von Lisa Forster, dpa
Sexuelles Verlangen verlöscht auch im Rentenalter nicht. Aber was,
wenn Senioren nicht mehr in der Lage sind, diesem eigenständig
nachzugehen? Sexualbegleiter versprechen Hilfe. Doch dieses Angebot
in Anspruch zu nehmen, ist nicht ganz einfach.
Nürnberg (dpa) - Herr F. war 70 Jahre alt, als Hans Glück das erste
Mal zu ihm ins Pflegeheim kam. «Wir haben zusammen Kaffee getrunken,
sind spazieren gegangen», erzählt Glück. «Dann sind wir in sein
Zimmer, haben uns in sein Bett gelegt, uns ein bisschen ausgeruht.
Einfach mal nackte Haut spüren, berühren, anfassen, mal ein bisschen
rumspielen. Mehr war das nicht.»
Glück arbeitet als Sexualbegleiter. Gegen Bezahlung erfüllt der
64-jährige Nürnberger Senioren oder Menschen mit Behinderungen
sexuelle Wünsche. Zum Beispiel die von Herr F., der in einem
Frankfurter Seniorenheim lebt.
Dass Menschen im Alter so etwas in Anspruch nehmen können, ist aber
die Ausnahme. Die Krankenkassen übernehmen diese Leistung nicht, wie
das Gesundheitsministerium informiert. «Eine solche Leistung ist
weder Bestandteil der Grund- noch der Behandlungspflege», gibt ein
Sprecher Auskunft.
Dabei stünden die Einrichtungen dem Thema mittlerweile sehr offen
gegenüber und wünschten sich professionelle Unterstützung, meint
Gabriele Paulsen. Sie berät Unternehmen aus dem Gesundheitswesen und
betreibt mit Nessita.de eine Vermittlung für Sexualbegleiter an
Senioren. Täglich kämen neue Anfragen, erzählt sie.
Doch Sex im Alter ist für viele Leute immer noch ein Tabu, wie Harald
Stumpe vom Institut für Angewandte Sexualwissenschaft an der
Hochschule Merseburg sagt. Zudem sei das Personal in den Altenheimen
mit den sexuellen Bedürfnissen seiner Bewohner überfordert.
Herr F. wurde ausgeglichener, nachdem Glück ihn ein paar Mal besucht
hatte. «Er war nie verheiratet, hat sich immer versteckt», erzählt
Glück. «Er hatte immer Angst. Ist so erzogen worden, dass das eklig
ist, schwul zu sein.» Bis Herr F.s Hemmungen fielen. Er wurde dement
- und versuchte plötzlich, die Pfleger anzumachen.
Mitarbeiter seines Seniorenheims suchten nach Lösungen und stießen
schließlich auf Herrn Glück. Er ist seit fünf Jahren
als Sexualbegleiter tätig. Davor arbeitete er unter anderem als
Modellbauer, Handels- und Versicherungsvertreter und pädagogische
Fachkraft mit behinderten Menschen.
«Leider herrscht immer noch die Meinung vor, dass im Alter Sex keine
Rolle mehr spielen würde», sagt Sexualwissenschaftler Stumpe. Doch
obwohl Sexualität sich im Alter verändere, verlösche sie nicht. Es
gefährde die Gesundheit, wenn Menschen sich keine sexuelle
Bedürfnisse erfüllen können.
«Nicht zufällig hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon vor
vielen Jahren den Begriff der «sexuellen Gesundheit» geprägt», sagt
Stumpe. Gesundheit sei mehr als «nur das Fehlen von Krankheit,
Funktionsstörungen oder Gebrechen», heißt es dazu von der WHO. Auch
«die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu
machen, und zwar frei von Zwang», mache gesund.
«Er hat ein Ventil gebraucht, um sich ein Stück weit ausleben zu
können», erzählt Glück über seine Begegnung mit Herr F.: «Man m
uss
nicht immer denken, dass da weiß der Geier was läuft. Gerade bei
Senioren geht es mehr um Hautkontakt, um das Spüren eines anderen
Menschen.»
Trotzdem schließt Glück nicht aus, mit seinen Klienten
Geschlechtsverkehr zu haben. Anders als die Sexualbegleiterin
Elisabeth Reuther aus Hamburg. Geschlechtsverkehr und Küsse auf den
Mund sind bei ihr tabu. Es gehe um Nähe und erotische Berührungen,
sagt sie. Reuther arbeitet seit vier Jahren als Sexualbegleiterin.
«Ich wollte Menschen, die in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind,
etwas Gutes tun», sagt sie. Sie ist etwas über 60 Jahre alt und hat
rund 25 Klienten - teils sind es Menschen mit Behinderungen, teils
Senioren.
«90 Prozent unserer Kunden sind Männer», meint Paulsen. Das liege
daran, dass Frauen im Seniorenheim häufig in einer Geschlechterrolle
aufgewachsen sind, die das Äußern sexueller Bedürfnisse nicht
vorgesehen hat. Paulsen erwarte aber, dass sich das langsam
verändere.
Doch nach einer Sexualbegleitung zu fragen, muss man sich nicht nur
trauen, sondern auch leisten können. Bei Glück kostet eine Stunde 150
Euro, Reuther lässt sich jede Begegnung mit 250 Euro bezahlen: «Ich
nehme mir einen ganzen Tag Zeit, die Treffen dauern oft länger als
eine Stunde.» Die Reaktionen der Kunden seien positiv - und auch die
des Umfelds größtenteils, wie die beiden erzählen.
Sexualbegleitung fällt unter Prostitution. Manche Sexualbegleiter
waren vorher Prostituierte, manche - wie Glück oder Reuther, die
vorher als Bürokauffrau arbeitete - kommen aus ganz anderen Berufen.
«Der Beruf geht manchmal schon mit harter körperlicher Arbeit
einher», sagt Reuther. «Du musst einen Menschen zum Beispiel richtig
hochheben können. Du musst damit rechnen, dass er sabbert, dass es
unästhetisch wird, dass sich jemand in die Hose macht.» Einer ihrer
Klienten ist querschnittsgelähmt, ein anderer leidet am
Korsakow-Syndrom, das starke Gedächtnisstörungen verursacht. «Es ist
Arbeit, aber mit Herzblut. Diese Begegnungen sind für mich ein
besonderer Beruf - aus Berufung.»
Stumpe fordert ein Umdenken in den Altenheimen. Es müssten
«Möglichkeiten geschaffen werden, dass auch Menschen im Seniorenheim
ihre sexuellen Bedürfnisse menschenwürdig ausleben können».
Selbstverständlich dürfe das Pflegepersonal nicht selbst aktive
Sexualbegleitung anbieten. Es sollte aber offen für diese
Dienstleistungen durch andere sein. «Solche Angebote werden mit
Sicherheit zu einer höheren Lebensqualität in Senioreneinrichtungen
führen und die ein oder andere Medikamentengabe unnötig machen.»
«Stell dir vor, du bist alleine in so einem Ding und sehnst dich nach
ein bisschen Geborgenheit», formuliert es Glück. «Da ist es doch
wirklich schön, wenn jemand kommt und sagt: Ich leg mich ein bisschen
zu dir.»
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