Wenn die Krankheit keiner kennt Von Janet Binder, dpa
Schätzungen zufolge leiden in Deutschland vier Millionen Menschen
unter einer seltenen Krankheit. Ärzte sind oft überfordert und
stellen falsche Diagnosen. Auch Ursula Heinisch-Teike musste
jahrelang warten.
Stuhr (dpa) - Ursula Heinisch-Teike war 53, als sie merkte, dass mit
ihren Beinen etwas nicht stimmt. «Ich bin gestolpert, über alles und
nichts», erinnert sich die heute 75-Jährige aus Stuhr bei Bremen. Ihr
Orthopäde tippte auf etwas Neurologisches. Heinisch-Teike suchte zwei
Fachärzte auf, beide schickten sie wieder nach Hause. «Eine
Neurologin sagte zu mir, ich sei neurotisch auf mich selbst fixiert -
mit anderen Worten: Ich spinne», erzählt sie. Erst zwei Jahre später
gab es bei der Untersuchung in einer Klinik eine Verdachtsdiagnose:
Hereditäre Spastische Spinalparalyse, kurz HSP.
Von dieser langsam fortschreitenden Erbkrankheit, die durch eine
Gangstörung charakterisiert ist, hatte Heinisch-Teike bis dahin noch
nie etwas gehört. Kein Wunder: Sie zählt zu den seltenen chronischen
Erkrankungen. Ein Leiden gilt als selten, wenn es von 10 000 Menschen
weniger als fünf haben. Schätzungen zufolge sind in Deutschland vier
Millionen Kinder und Erwachsene von solchen Krankheiten betroffen. Am
28. Februar, dem «Tag der Seltenen Erkrankungen», sollen bundesweite
Veranstaltungen darauf aufmerksam machen.
«Es gibt bis zu 8000 seltene Erkrankungen. Die kann und muss ein
Mediziner nicht alle kennen», sagt die Ärztin Christine Mundlos vom
Verein Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (Achse). Das müsse
man sich aber eingestehen. «Stattdessen wird Patienten oft der
Psychostempel aufgedrückt», sagt sie. Im Durchschnitt dauere es
sieben Jahre, bis Betroffene endlich eine richtige Diagnose haben.
«Achse» bietet Ärzten deshalb Beratungen an, stellt Kontakte zu
Experten her und weist auf aktuelle Forschung hin.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind 80 Prozent der
seltenen Erkrankungen genetisch bedingt, die wenigsten sind heilbar.
Das gilt auch für die HSP, die durch eine Störung der Nerven in
Gehirn und Rückenmark verursacht wird. Schätzungen zufolge sind 6000
Menschen in Deutschland daran erkrankt. So wie Ursula Heinisch-Teike,
die berichtet: «Als Trostpflaster wurde mir in der Klinik gesagt:
Sterben werden sie an der Krankheit nicht.»
Das Laufen aber fiel ihr immer schwerer, die Gleichgewichtsstörungen
wurden schlimmer. Sie musste ihren Job als Sekretärin aufgeben, seit
2002 geht sie am Rollator. «Damals habe ich auch zum ersten Mal
bemerkt, dass sich meine Stimme verlangsamt», sagt Heinisch-Teike.
Später kam eine Spastik in Armen und Händen dazu.
«Es gibt verschiedene Formen von HSP, ich habe wahrscheinlich die
komplizierte», sagt die Stuhrerin. Sie sagt «wahrscheinlich», weil
sie noch immer keine hundertprozentige Diagnose hat. Ein Gen ist
defekt - welches, konnte bisher aber keine Untersuchung ans Licht
bringen. «Man fühlt sich komisch. Ich bin krank, aber es wird nichts
gefunden», erzählt Heinisch-Teike.
Am Anfang sei noch das Gefühl hinzugekommen, sie sei die Einzige mit
dieser Krankheit. Im Internet entdeckte sie schließlich eine
Selbsthilfegruppe. «Ich war froh, Gleichgeartete gefunden zu haben.»
Seit 2002 engagiert sie sich zusammen mit ihrem Mann Enno Teike in
der Gruppe «Ge(h)n mit HSP» und organisiert regelmäßige regionale
Treffen, auf denen Fachleute vom aktuellen Forschungsstand berichten.
Auch Medizinerin Mundlos weiß um die Bedeutung von
Selbsthilfegruppen: «Der Arzt stellt die Diagnose und gibt
Therapieempfehlungen. Aber er kann nichts darüber sagen, wie es sich
mit der Erkrankung lebt. Das können nur die Betroffenen.» Es sei sehr
beeindruckend, welche Kraft und Lebensfreude in den
Selbsthilfegruppen vermittelt werde.
«Man darf den Kopf nicht in den Sand stecken», unterstreicht Enno
Teike. Das macht auch seine Frau Ursula nicht. Sie hat sich in
München mit einer speziellen Methode operieren lassen, um die
Fehlstellung ihrer Füße und Zehen zu beheben. Der Eingriff bekämpfte
zwar nicht die Ursache ihrer Krankheit, verbesserte aber immerhin die
Symptome. «Mein Ziel ist es, ein paar Schritte wieder frei gehen zu
können», sagt die Seniorin. Dafür übt sie jeden Tag.
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