Zurück zur starken Hand: Rückschulungen für Linkshänder Von Anja Sokolow, dpa

Wenn Linkshänder mit rechts schreiben, kann das schwerwiegende Folgen
haben, wie zum Beispiel Konzentrations- und Lernschwierigkeiten oder
Depressionen. Eine Rückschulung auf links kann aus Expertensicht
helfen - auch im hohen Alter noch.

Berlin/München/Beelitz (dpa) - An die Schulzeit hat die Linkshänderin

Marina Neumann keine guten Erinnerungen. «Es hieß damals: Alle
schreiben mit rechts. Wer das nicht tat, bekam eine Ohrfeige»,
erzählt die 67-jährige gebürtige Bielefelderin. So wie ihr ging es
vielen anderen Linkshändern. Das Umschulen auf die vermeintlich
richtige rechte Hand war üblich. «Ich quälte mich jahrzehntelang mit

rechts durchs Leben», sagt Neumann.

Vor fast 20 Jahren dann die Wende: Der Bericht einer Betroffenen über
eine Rückschulung auf links motivierte die Psychotherapeutin, es
selbst zu wagen. «Ich habe mir mein eigenes Programm zusammengestellt
und ganz behutsam und langsam mit links schreiben gelernt. Das war
unglaublich gut, hilfreich und entspannend. Die Rückschulung war für
mich eine körperliche und psychische Befreiung», erzählt sie. Das
Thema wurde zu ihrer Berufung. Seit Jahren bietet Neumann nun schon
Rückschulungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an.

«Noch bis in die 1990er Jahre wurden viele linkshändige Kinder auf
rechts umgeschult», berichtet die Leiterin der Ersten deutschen
Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte
Linkshänder in München, Johanna Barbara Sattler. Heute sei eher das
Nachahmungsverhalten von Kindern, die von ihrer rechtshändigen Umwelt
lernen und versuchen, sich anzupassen, ein Thema. Dadurch könne es
passieren, dass sich Linkshänder selbst auf rechts umschulen.

Zudem gelte in einigen islamischen Ländern die linke Hand als unrein.
«Damit darf man sich zwar den Po abwischen, aber nicht essen oder
schreiben», so Sattler. Kinder aus solchen Familien würden oft
umgeschult. Problematisch sei auch, dass das Wissen, wie man
Linkshändigkeit erkennt und fördert, bei Erziehern und Pädagogen oft

fehle, so die Psychotherapeutin.

Genaue Zahlen über den Linkshänderanteil in der Bevölkerung gibt es
nicht. «Die statistischen Angaben schwanken stark und reichen von
niedrigen Prozentsätzen bis zur Hälfte der Bevölkerung», sagt
Sattler, die davon ausgeht, dass Linkshändigkeit genetisch bedingt
ist.

Bei Linkshändern sind Teile der rechten Hirnhälfte stärker
ausgeprägt, bei Rechtshändern der linken. Wenn Linkshänder die rechte

Hand und damit die linke Hirnhälfte stärker nutzen, kann das auch
psychische Folgen haben, sagt Sattler, die seit den 1980er Jahren zum
Thema forscht. Die Umschulung der angeborenen Händigkeit beschreibt
die Autorin zahlreicher Bücher und Lehrmaterialien als «einen der
massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn ohne Blutvergießen».

Zu den direkten Folgen können demnach starke Erschöpfung, Gedächtnis-

und Konzentrationsprobleme, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten,
oder auch Links-Rechts-Unsicherheit, feinmotorische Störungen und
Sprachstörungen zählen. «Diese Probleme setzen sich bei
vielen Menschen in unterschiedliche weitere Dinge um, zum Beispiel
Minderwertigkeitskomplexe, Verhaltensstörungen, den Drang zur
Überkompensation, Rückzug und emotionale Probleme wie Depressionen
bis ins Erwachsenenalter», so die Psychologin.

Der Internationale Tag der Linkshänder am 13. August soll auf die
Probleme von Linkshändern aufmerksam machen und Verständnis für die

oft unter Vorurteilen leidenden Betroffenen wecken. Von Problemen
weiß auch der 55-jährige Christian Dausien aus dem brandenburgischen
Beelitz zu berichten. «Ich kannte jahrelang keine Pause, habe immer
nur gearbeitet und gearbeitet», erzählt Dausien. Er sei einfach nicht
zur Ruhe gekommen. Vor sieben Jahren ließ er sich von Marina Neumann
auf Links zurückschulen. Sein Leben hat sich seitdem verändert: Der
ehemalige Kaufmann lebt jetzt als Holzkünstler seine Kreativität aus.
«Ich kann davon leben und bin insgesamt viel zufriedener und
entspannter», freut er sich.

«Viele finden nach einer Rückschulung zu ihren wahren Interessen. Ich
habe bei ganz vielen Erwachsenen miterlebt, dass sie noch einmal
studiert oder den Beruf gewechselt haben, weil sie plötzlich wussten,
wo sie hinwollten», so Neumann. Dies sei aber oft ein längerer
Prozess. Bei Kindern stellten sich oft schnell Erfolge ein: «Sie
können sich besser konzentrieren, werden viel ruhiger und
leistungsstärker in der Schule», berichtet die Therapeutin. Ihr
ältester Klient war 77 und kam extra aus Hannover angereist. «Er
wollte mehr mit sich ins Reine kommen», erzählt sie. Bei dem Mann
hätten sich die Schlafstörungen gelegt.

Barbara Sattler empfiehlt nicht jedem eine Rückschulung. «Das hängt
stark vom Einzelfall ab. Menschen mit Multipler Sklerose oder
Epilepsie würde ich beispielsweise nicht zurückschulen», sagt sie.
Die Krankheiten könnten sich noch vertiefen. Sie habe schon Fälle
gehabt, in denen eine Rückschulung nicht geglückt sei. «Ich empfehle

immer auch, während der Rückschulung der Händigkeit eine
Psychotherapie zu machen, denn die Veränderungen sind sehr komplex.»
Sattler hat ein Netzwerk von Linkshänder-Beratern in ganz Deutschland
aufgebaut, die nach einer von ihr entwickelten Methode arbeiten.

«Anfangs war auch ich sehr vorsichtig. Aber wenn die erzwungene
Rechtshändigkeit die Ursache der Probleme ist, sollte man sie
angehen», ist hingegen Marina Neumann überzeugt. Mit ihrem Buch
«Natürlich mit links» will sie anderen Menschen Mut machen.

Auf jeden Fall muss man sich Zeit nehmen - da sind sich beide einig.
«Sonst bleibt es etwas Halbes, die Automatisierung der Schrift und
des Denkens wird nicht genügend gefestigt», betont Sattler.

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