Spahn: Nicht in Virus-Risikogebiete reisen - Kritik an Deutschland

Die Zahl der Infektionen mit Sars-CoV-2 steigt hierzulande und
weltweit weiter. Das hat Auswirkungen auf Touristengebiete. Während
vielerorts Veranstaltungen abgesagt wurden, finden etwa
Bundesliga-Spiele wie geplant statt.

Berlin/Brüssel (dpa) - Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die
Bürger aufgerufen, Corona-Risikogebiete zu meiden. Auf nicht
notwendige Reisen in besonders betroffene Regionen in Italien, aber
auch in Nordrhein-Westfalen sollte man verzichten, sagte Spahn am
Freitag am Rande der Treffen der EU-Gesundheitsminister in Brüssel.
Die Grenzen in der Europäischen Union sollten aber offen bleiben. Der
CDU-Politiker appellierte auch an die Bürger, sich nicht mit Masken
oder Schutzkleidung einzudecken, sondern diese für Ärzte und
Pflegekräfte zu lassen.

Bundesbürger sollen nun auch von nicht erforderlichen Reisen nach
Südtirol absehen. Das Auswärtige Amt erweiterte entsprechende
Reisehinweise für Italien, wie ein Sprecher am Freitag bestätigte.
Abgeraten wird nun von nicht nötigen Reisen in die Provinz Südtirol
und die Regionen Lombardei und Emilia-Romagna sowie in die Stadt Vo
in der Provinz Padua. Das Robert Koch-Institut (RKI) stufte bislang
zudem Regionen in China, Südkorea und dem Iran als Risikogebiete ein.

Südtirol reagierte mit Unverständnis auf die Einstufung als
Coronavirus-Risikogebiet. Dort gibt es nach Angaben des Zivilschutzes
nur vier Infizierte. Eine Sprecherin des Landeshauptmanns Arno
Kompatscher betonte, dass Südtirol selbst in Italien als kein
Risikogebiet gelte. Die Wintersportregion ist vor allem bei deutschen
Urlaubern beliebt. Die neue Einstufung bedeutet eine Katastrophe für
den Tourismus. Unterdessen hat auch der Vatikan einen ersten
Coronavirus-Fall vermeldet.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sagte, in den kommenden
Wochen sei in den EU-Staaten mit einem raschen Anstieg der Fallzahlen
zu rechnen. Dies werde zum Test für die Gesundheitssysteme in der EU.
Sie appellierte an die Bürger, Hygienemaßnahmen einzuhalten, und
dankte dem medizinischen Personal.

Spahn geriet in der EU erheblich unter Druck, weil er am Mittwoch
deutsche Exportbeschränkungen für Schutzkleidung bekanntgegeben
hatte. EU-Krisenkommissar Janez Lenarcic sagte, Exportbeschränkungen
seien zwar im Binnenmarkt in Ausnahmefällen möglich. Es wäre aber
uneuropäisch, den eigenen Markt zu schließen. In der EU sei
Solidarität gefordert. Spahn konterte, bisher klappe die Verteilung
nicht: Die Schutzkleidung komme nur dahin, wo die höchsten Preise
gezahlt würden. Exporte aus Deutschland seien nicht verboten, müssten
aber einzeln genehmigt werden.

Er habe die EU-Kommission aufgefordert, ein Exportverbot für
Drittstaaten in Kraft zu setzen, sagte Spahn. «Wir können nationale
Maßnahmen herunterfahren, wenn es eine Maßnahme der Europäischen
Union gibt.»

Bis Freitagmorgen hatte die EU-Behörde ECDC für die EU, Island,
Liechtenstein, Norwegen und Großbritannien 5544 Infektionen mit dem
neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 und 159 Todesfälle registriert. In
Deutschland waren es laut RKI über 600 Fälle. Hier wurde noch kein
Todesfall dem Virus zugeschrieben. Viele Patienten sind inzwischen
wieder gesund.

Die Mehrheit der Deutschen hält laut einer aktuellen Umfrage die
Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus für ausreichend. 69
Prozent der Befragten sind der Meinung, hierzulande werde genug
getan, wie aus dem ZDF-Politbarometer hervorgeht. Im Februar waren es
demnach noch 80 Prozent. 26 Prozent halten die Vorkehrungen hingegen
für zu gering. 39 Prozent der Befragten erklärten zudem, dass sie
wegen des Coronavirus Veranstaltungen mit größeren Menschenmengen
meiden. 50 Prozent ändern ihr Verhalten hingegen nicht.

Das Virus lasse sich nicht aufhalten, sagte RKI-Präsident Lothar
Wieler. «Aber wir können alles daran setzen, dass wir die Ausbreitung
verlangsamen.» Der Eindruck, dass jeder, der Kontakt mit Patienten
hat, auch in Quarantäne muss, sei eine extreme Vereinfachung. Es gehe
immer auch darum, wie eng und wie lang dieser Kontakt gewesen sei.
Das RKI empfahl Kliniken und Behörden in Deutschland zudem, auf einen
Krisenmodus umzustellen. Das heiße, Dinge nicht mehr rein
routinemäßig anzugehen, sondern das Verhalten an die jeweilige
regionale Situation anzupassen.

Der Virologe der Berliner Charité sprach sich für eine Absage von
Bundesligaspielen in der besonders betroffenen Region in
Nordrhein-Westfalen aus. «Volle Stadien mit Zehntausenden von Fans -
gerade in Gegenden wie dem vom Coronavirus jetzt stark betroffenen
Rheinland - müssten aus medizinischer Sicht eigentlich gestoppt
werden», sagte Christian Drosten der «Neuen Osnabrücker Zeitung».

Das Stadion von Borussia Mönchengladbach liegt keine zehn Kilometer
vom Kreis Heinsberg entfernt, der bundesweit am stärksten vom
Coronavirus betroffen ist. Die Behörden hatten dennoch entschieden,
dass das Bundesliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund am Samstag
(18.30 Uhr/Sky) stattfinden kann.

Das kleine asiatische Königreich Bhutan verbietet derweil allen
ausländischen Touristen die Einreise, nachdem ein amerikanischer
Tourist positiv auf das neue Coronavirus getestet worden ist. Bei ihm
handelt es sich um den ersten bestätigten Fall in dem Himalaya-Land.
Wegen Fällen im Westjordanland sperrte außerdem Israel nach eigenen
Angaben in Absprache mit der Palästinenserbehörde die Stadt Bethlehem
komplett ab.

Weltweit sind knapp 100 000 Infektionen und über 3300 Todesfälle
bestätigt. Allein rund 3000 Tote gab es auf dem chinesischen
Festland, wo Sars-CoV-2 erstmals nachgewiesen wurde.

Wegen des Nachfrageeinbruchs infolge des Coronavirus streicht der
Lufthansa-Konzern seinen Flugplan noch weiter zusammen. In den
nächsten Wochen solle die Kapazität um bis zu 50 Prozent reduziert
werden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag meldete am
Freitag besorgniserregende Zahlen: Jedes zweite Unternehmen erwartet
als Folge des Coronavirus einen Umsatzrückgang.