Merkel kündigt beispiellose Maßnahmen gegen Coronavirus an
Es waren dramatische Beschlüsse, die Kanzlerin Merkel nüchtern
präsentierte. Bund und Länder haben sich auf ein rigoroses Paket
gegen die Verbreitung des Coronavirus geeinigt. Bürgerinnen und
Bürger werden auf vieles verzichten müssen.
Berlin (dpa) - Mit drastischen Einschränkungen wollen Bund und Länder
die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland bremsen. «Das sind
Maßnahmen, die es so in unserem Lande noch nicht gegeben hat», sagte
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagabend in Berlin. Es gehe
darum, soziale Kontakte zu verringern. Das wirtschaftliche Leben, die
Energieversorgung und die medizinische Versorgung sollten aufrecht
erhalten werden, sagte Merkel. Das Gesundheitssystem solle nicht
überfordert werden. Bund und Länder beschlossen einen insgesamt
anderthalbseitigen Handlungskatalog, den Merkel komplett vorlas.
Die Umsetzung der nun beschlossenen Maßnahmen obliege den Ländern und
Kommunen. «Natürlich wird es Kontrollen geben», betonte die
Kanzlerin, die nüchtern und gefasst auftrat. Sie hoffe, «dass es ein
gewisses Einsehen der Menschen gibt», sagte Merkel. Es sei
beispielsweise sinnlos eine Schule zu schließen, wenn sich die
gleichen Schüler dann woanders treffen. «Wir kommen desto schneller
durch diese Phase hindurch, je mehr sich jeder einzelne an diese
Auflagen und an diese Regelungen hält.»
Eine Vielzahl von Geschäften soll geschlossen, Gottesdienste sowie
Treffen in Vereinen verboten und Spielplätze gesperrt werden, wie aus
dem Beschluss der Bundesregierung und der Regierungschefs der Länder
hervorgeht. Die Maßnahmen sollen ab sofort gelten.
Supermärkte und andere Läden, die zur Versorgung der Menschen dienen,
sollen allerdings offen bleiben - wenn auch mit einer gewissen
Steuerung, um Warteschlangen zu vermeiden. Ausdrücklich nicht
geschlossen werden sollen auch Getränkemärkte, Apotheken,
Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen - aber
auch Poststellen, Gartenbau- und Tierbedarfsmärkte oder der
Großhandel. Verkaufsverbote für den Sonntag sollen ausgesetzt werden.
Der Beschluss sieht vor, dass Übernachtungsangebote im Inland nur
noch zu «notwendigen und ausdrücklich nicht zu touristischen Zwecken»
genutzt werden sollen. «Das beinhaltet und bringt mit sich auch, dass
es keine Urlaubsreisen ins In- und auch keine ins Ausland geben
soll», sagte Merkel.
Geschlossen werden sollen Bars, Clubs, Diskotheken sowie Kneipen,
Theater, Opern, Konzerthäuser und Museen - dies ist in einigen
Ländern bereits der Fall oder angekündigt. Dicht machen sollen
außerdem Messen, Ausstellungen, Kinos sowie Freizeit- und Tierparks,
außerdem Spielhallen, Spielbanken und Wettannahmestellen sowie
Bordelle.
Auch der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten
Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern, Fitnessstudios und ähnliche
Einrichtungen solle geschlossen werden. Auch Spielplätze sollen
gesperrt werden.
Außerdem sollen Zusammenkünfte in Vereinen und sonstigen Sport- und
Freizeiteinrichtungen verboten werden. Dies gilt auch für Kirchen,
Moscheen, Synagogen und andere Glaubensgemeinschaften. Für
Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen und
Pflegeheime sollen Besuchsregelungen erlassen werden.
Für Mensen, Restaurants, Speisegaststätten und Hotels soll das Risiko
einer Verbreitung des Coronavirus durch eine Abstandsregelung für
Tische sowie einer Reglementierung der Besucherzahl verringert
werden.
Im Kampf gegen das Coronavirus hatte Deutschland am Montag an den
Übergängen zu Österreich, Frankreich, Luxemburg und Dänemark sowie
zur Schweiz mit strengen Grenzkontrollen begonnen. An einigen
Grenzübergängen bildeten sich mit Beginn der Kontrollen am Montag um
8.00 Uhr längere Staus. Kleinere Straßen - etwa von Frankreich nach
Baden-Württemberg - wurden komplett gesperrt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug ebenfalls
weitreichende Einreisebeschränkungen in die Europäische Union für
zunächst 30 Tage vor. Darüber habe sie die Chefs der G7-Länder am
Montag in einer Videokonferenz informiert, sagte von der Leyen.
Ausnahmen solle es unter anderem für Nicht-EU-Bürger mit dauerhafter
Aufenthaltsgenehmigung, Angehörige von EU-Bürgern, Diplomaten, Ärzte,
Krankenpfleger, Forscher und Experten geben.
Wegen der Coronakrise haben hierzulande bereits Zehntausende Schulen
und Kitas in Deutschland zugemacht. Die flächendeckenden Schließungen
gelten in der Mehrzahl der Bundesländer seit diesem Montag.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) plant vorerst weiter einen
ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden für das kommende
Jahr - allerdings sind die Folgen der Coronavirus-Krise noch nicht
berücksichtigt. Die Auswirkungen seien voraussichtlich «nicht
unerheblich», hieß es im Finanzministerium. Scholz hatte am
vergangenen Freitag betont, angesichts der guten Haushaltslage könne
der Staat das tun, «was jetzt notwendig ist».
So kann das erleichterte Kurzarbeitergeld wegen der Coronavirus-Krise
bereits kurzfristig fließen. Die Erleichterungen träten rückwirkend
zum 1. März in Kraft und würden rückwirkend ausgezahlt, teilte
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit.
Die Coronakrise trifft auch Bundesbürger im Ausland: Mehrere Tausend
Deutsche sitzen nach Einschätzung der Regierung derzeit wegen
Reisebeschränkungen anderswo fest. Vor allem in der Türkei, Marokko,
Indonesien und den Philippinen haben Bundesbürger nach Angaben des
Auswärtigen Amts Schwierigkeiten, nach Deutschland zurückzukehren.
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