Jetzt «hohes» Coronavirus-Risiko - und einige offene Fragen Von Gisela Gross, dpa

Deutschland ist nach Einschätzung der Fachleute erst am Beginn der
Coronavirus-Epidemie. Einige Gesundheitsämter und Krankenhäuser
senden jetzt schon Alarmzeichen. Was bedeutet das für den Alltag und
die Zukunft?

Berlin (dpa) - Das Coronavirus hat mehr als 140 Länder erreicht und
stellt auch das Gesundheitssystem hierzulande auf die Probe. Das
öffentliche Leben wird auf außergewöhnliche Art und Weise
eingeschränkt. Dazu Fragen und Antworten:

Wie groß ist momentan das Risiko, sich anzustecken?

Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin stellt seine
Risikoeinschätzung für die Bevölkerung in Deutschland von «mä
ßig» auf
«hoch» - auch wenn es mit gut 6000 Fällen insgesamt bundesweit
deutlich weniger Fälle gibt als etwa bei der Grippe mit rund 23 000
Nachweisen allein in der vergangenen Meldewoche. Hintergrund ist,
dass die Zahl der nachgewiesenen Fälle bei Sars-CoV-2 «sehr stark»
zunimmt, wie RKI-Präsident Lothar Wieler am Dienstag sagte.

Zunehmend berichteten Gesundheitsämter, dass sie die Kontaktpersonen
von nachweislich Erkrankten nicht mehr nachverfolgen könnten,
schilderte Wieler. Krankenhäuser meldeten außerdem eine Zunahme
schwerer und sehr schwerer Fälle. Hinzu kämen immer mehr Nachweise,
die nicht mehr auf bekannte Fälle zurückgeführt werden könnten. Die

Lage unterscheidet sich aber je nach Region. Noch gebe es auch
Krankenhäuser, in denen Covid-19 keine Rolle spiele, so Wieler.

Deshalb gelte es, mit den am Montag von der Bundeskanzlerin
verkündeten Maßnahmen - darunter die Schließung vieler Läden -, die

Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. «Ohne diese Maßnahmen müssten

wir davon ausgehen, dass wir in wenigen Monaten vielleicht mehrere
Millionen Krankheitsfälle haben», so Wieler.

Ist man nach der durchgemachten Krankheit immun dagegen?

Davon gehen Experten aus. «Wir wissen aber nicht, wie lange die
Immunität hält», sagte Wieler. Es würden viele Tests entwickelt, um

eine Immunität nachzuweisen. Etwa die Hälfte der Menschen, die sich
angesteckt haben, würden das gar nicht merken. «Die sehen wir gar
nicht.» Von denjenigen, die etwas merken, werden laut RKI vier von
fünf nur leicht krank. Eine Hoffnung ist: Sobald Tests verfügbar
sind, lässt sich herausfinden, ob jemand zum Beispiel gefahrlos in
der Versorgung von Covid-19-Patienten eingesetzt werden kann.

Was kommt auf die Krankenhäuser zu?

Bund und Länder wollen die stationäre Krankenhausversorgung
ausweiten. Um Kliniken zu entlasten, die sich auf den Aufbau von
Intensivkapazitäten konzentrieren, müssten an anderen Kliniken und
gegebenenfalls provisorischen weiteren Standorten wie Hotels oder
umgerüsteten Hallen zusätzliche Betten- und Behandlungskapazitäten -

bis hin zur Verdoppelung - aufgebaut werden. Das geht aus einem
«Grobkonzept Infrastruktur Krankenhaus» hervor, auf das sich Bund und
Länder am Dienstag verständigt haben.

Danach sollen unter anderem Rehabilitationseinrichtungen, Hotels oder
größere Hallen umgerüstet werden, um dort die zahlreichen leichteren

Behandlungsverläufe zu versorgen. Jede Klinik sollte auch
vorausschauende Personalplanung betreiben: vorhandenes Personal
zusätzlich für einen etwaigen Einsatz im Intensivbereich schulen.
Auch sollten Konzepte entwickelt werden für den Einsatz von
Medizinstudenten höherer Semester, sowie für den Einsatz von Ärzten
und Pflegekräften, die sich aus dem Ruhestand oder anderen Bereichen
zur Unterstützung zur Verfügung stellen.

Berlin kündigte bereits an, ein eigenes Krankenhaus für bis zu 1000
Covid-19-Patienten auf dem Gelände der Messe einrichten zu wollen -
«um möglichen Engpässen zu begegnen».

Was kann noch getan werden, um die Verbreitung besser einzudämmen?

Vor allem die Zulassung eines Impfstoffes dürfte den Verlauf der
womöglich zwei Jahre dauernden Pandemie maßgeblich beeinflussen.
Schnell gehen wird das aber nicht. Wieler rechnet mit einem Impfstoff
frühestens nächsten Frühling.

Die Kapazitäten der Gesundheitsämter könnten noch erhöht werden,
indem Studierende als Unterstützung ausgebildet werden, heiß es beim
RKI. Sie sollen helfen, Kontaktpersonen von Erkrankten zu ermitteln.
«Wir müssen alles tun, um jede mögliche Infektionskette zu
unterbrechen», so Wieler.

Es sei auch ein «sinnhaftes Konzept», Bewegungsdaten von Handys zu
nutzen, um Kontaktpersonen von Infizierten zu ermitteln, sagte Wieler
am Dienstag - es wäre eine «enorme Unterstützung» für die
Gesundheitsämter. «Es ist technisch möglich und es ist auch
datenschutzrechtlich möglich.» Er sei sehr optimistisch, dass in
Kürze ein überzeugendes Konzept vorliegen werde, so Wieler. Eine
25-köpfige Gruppe an zwölf Institutionen arbeite daran. Andere Länder

nutzen solche Technik bereits.

Wie viele Menschen sind infiziert oder bereits genesen?

Wie hoch die Zahl der tatsächlich Infizierten ist, ist unbekannt. Das
RKI geht nach Wielers Worten von einer deutlich höheren Zahl aus als
es in den gemeldeten Zahlen den Anschein hat. Das liege schon allein
etwa an Testkapazitäten der Labore und dem Verzug bei der Meldung
bestätigter Fälle. Aber auch generell ist von einer deutlichen
Untererfassung auszugehen: Das RKI verweist auf seiner Webseite auf
Schätzungen, wonach weniger als ein Viertel der Erkrankten vom
Überwachungssystem erfasst werden könnte.

Wie viele Verdachtsfälle es bisher in Deutschland gab, gab das RKI
bisher nicht bekannt. Wie die Sterberate am Ende aussehen werde,
wisse man nicht, sagte Wieler. Aber selbst wenn es eine Sterblichkeit
von einem Prozent gebe, heiße das, dass 99 Prozent überlebten. Wie
viele Patienten hierzulande bereits genesen sind, erfasst das RKI
nicht. Virologe Christian Drosten sagte am Dienstag im NDR-Podcast,
neue wissenschaftliche Berichte über Genesene bedeuteten Wochen
von Arbeit - Zeit, die die Ärzte gerade nicht hätten.

Reichen die nun ergriffenen Maßnahmen - und wie geht es jetzt weiter?

Ob die Infektionszahlen dank geschlossener Schulen, Kitas, Läden und
Clubs langsamer ansteigen, wird sich erst in einigen Tagen bis Wochen
zeigen. Mit zehn bis zwölf Tagen rechnete RKI-Vizepräsident Lars
Schaade am Montag. Denn es vergeht Zeit, bis die Krankheit bei
Infizierten ausbricht, bis die Diagnose gestellt und der Fall von den
Gesundheitsämtern an das RKI gemeldet ist.

Noch ist die höchste RKI-Risikostufe in Deutschland nicht erreicht:
«sehr hoch» gäbe es noch. Würde eine Ausgangssperre kommen? Danach

gefragt sagte Wieler: «Wir schauen, was geschieht.» Jede der am
Montag angekündigten Maßnahmen sorge dafür, dass sich das Virus
weniger verbreite. «Ich kann nur an alle dringlich den Appell
richten, dass sie sich an diese Maßnahmen halten.» Der Virologe Jonas

Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin sagte
dem Sender ntv, er halte Ausgangssperren nicht für sinnvoll. «Man
kann natürlich in den Park gehen, es geht darum, soziale Kontakte zu
vermeiden.»

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