Bundeswehr-Denkfabrik: Covid-19 offenbart Deutschlands Defizite Von Carsten Hoffmann, dpa
Keine Schutzausrüstung, eine gestörte Logistik, kaum Reserven: Aus
der Corona-Krise sei eine schonungslose Bilanz zu ziehen, schreibt
eine Denkfabrik der Bundeswehr - und erwartet auch Folgen für
Konflikte und Spannungen in der Welt.
Berlin (dpa) - Die Bundeswehr-Denkfabrik GIDS erwartet in Folge der
Corona-Pandemie weitreichende Konsequenzen für die Sicherheitspolitik
und einen Wiederaufbau strategischer Reserven. Ungeachtet günstiger
wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen in Deutschland
decke die Krise immer deutlicher «das Fehlen substantieller,
eigentlich gesetzlich vorgeschriebener Ressourcen auf der Ebene der
Kommunen und der Länder sowie den Mangel an strategischen Reserven
bei Personal, Material und Infrastruktur beim Bund auf», heißt es in
einem am Samstag veröffentlichen Papier des GIDS, das eine
Kooperationseinrichtung der Führungsakademie der Bundeswehr und der
Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg ist.
«Seit Generationen haben sich die Menschen nicht mehr so verwundbar
gefühlt», schreiben die Autoren. Engpässe bei lebenswichtigen Güter
n
wie Medikamenten und Schutzausrüstung zeigten, wie abhängig
Deutschland von globalen Lieferketten sei «und dies schon bei
Produkten, die für eine weltweit bewunderte Industrienation kein
Thema sein sollten». «Um strategische Autonomie zurückzugewinnen,
muss in Zukunft mehr auf die Diversität der Zulieferer, auf
Vorratshaltung und die Vermeidung von Redundanzen geachtet werden.
Die Bewirtschaftung bestimmter Ressourcen, deren Bedeutung oft erst
im Verlauf einer Krise deutlich wird, muss frühzeitiger erkannt und
zentral gesteuert werden.»
Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht verfüge auch die Bundeswehr über
eine nur noch sehr geringe strategische Personaltiefe, heißt es. Das
gelte auch für zivile Hilfsorganisationen, die Jahrzehnte von den
Zivildienstleistenden profitiert hätten. Zudem seien zahlreiche
militärische Liegenschaften aufgelöst worden, die man nun gut hätte
gebrauchen können. «Die Fixkosten zur Aufrechterhaltung einer
strategischen Reserve, sei es bei Personal oder Material, könnten am
Ende weit geringer ausfallen als die unmittelbaren Kosten und vor
allem die daraus resultierenden Folgekosten, die in einer Krise
entstehen. Hier muss Deutschland dringend nachbessern», wird geraten.
Zur Aufarbeitung der Krise, «das lässt sich schon jetzt sagen, gehört
deshalb eine schonungslose Untersuchung der Frage, warum die Welt
offensichtlich so blind in die Katastrophe gerutscht ist». Vielleicht
sei das Desaster auch «billigend in Kauf genommen worden».
Erwartet werden Verteilungskämpfe um staatliche Ressourcen, bei denen
Bürger und Organisationen Ansprüche geltend machen: «Da der Begriff
«Sicherheit» für die meisten Menschen jetzt und wohl auch in
absehbarer Zukunft fast ausschließlich mit gesundheitlicher, sozialer
und wirtschaftlicher Sicherheit in Verbindung gebracht werden dürfte,
werden alle Aspekte der militärischen Sicherheit Deutschlands und
Europas deutlich in den Hintergrund treten - und das wäre fatal.»
Erhebliche Erwartungen könne es aus der EU geben, besonders aus den
«in den Abgrund blickenden Mitgliedsstaaten Italien und Spanien».
«Wenn Deutschland in der zweiten Jahreshälfte den Vorsitz der
EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wird Covid-19 vermutlich weiterhin
das bestimmende Thema sein - und die Erwartungen, insbesondere an
Deutschland, dürften immens sein.»
Die Autoren der Denkfabrik erwarten, dass es angesichts der
Corona-Krise in der internationalen Politik teils Entspannungssignale
geben könnte. Ein Beispiel: «Vermutlich hofft der Kreml auch, das
angespannte Verhältnis zur Nato zu entkrampfen, vielleicht sogar eine
Brücke zu bauen, die ein Lockern der Sanktionen einleiten könnte.»
Teils wirke die Corona-Pandemie wie ein Brandbeschleuniger. So könne
das Gewaltpotential vor allem dort wachsen, wo es Flüchtlinge in
großer Zahl gebe. Auch auf autoritär verfasste Staaten wirke das
Corona-Virus wie ein «toxischer Beschleuniger».
Das Institut nennt sieben Thesen und Handlungsempfehlungen: So
eröffne die Corona-Pandemie vermutlich Chancen für die Außen- und
Sicherheitspolitik, «weil sich Handlungsräume zwischen den Akteuren
ergeben, die vorher undenkbar waren». Dem Thema des weltweiten
Gesundheitsschutzes und der Frühwarnsysteme müsse generell mehr
strategische Beachtung geschenkt werden. «Wir brauchen eine ehrliche
Auseinandersetzung über Deutschlands strategische Reserven»,
schreiben die Autoren weiter. Auch das politisch mehrfach beerdigte
Thema eines verpflichtenden Dienstjahres gehöre wieder auf die
Tagesordnung. Gewarnt wird zudem, die Folgen der Pandemie für
Elendsregionen der Welt zu unterschätzen.
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