Oktoberfest abgesagt - «Risiko schlicht und einfach zu hoch» Von Sabine Dobel, dpa

Bis zuletzt hatten die Münchner gehofft, und mit ihnen Wiesn-Besucher
in aller Welt - dass das Oktoberfest trotz der Corona-Pandemie
gefeiert werden könnte. Nun kommt es doch anders.

München (dpa) - Es ist eine historische Entscheidung. Erstmals seit
mehr als 70 Jahren gibt es in München kein Oktoberfest. Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Münchens Oberbürgermeister

Dieter Reiter (SPD) haben die Nachricht am Dienstag überbracht.

«Wir sind uns übereingekommen, dass das Risiko schlicht und einfach
zu hoch ist», sagt Söder. Reiter ergänzt: «Wir haben uns das wirkli
ch
nicht leicht gemacht.» Doch ohne Impfstoff sei es zu gefährlich, die
Ansteckungsgefahr zu hoch. Erfahrungen etwa aus Ischgl und Heinsberg
zeigten: Massen feiernder Menschen sind ein extremes Risiko.

Längst hatte sich abgezeichnet, dass es in der Corona-Krise kaum eine
Chance auf das größte Volksfest der Welt mit sechs Millionen
Besuchern geben würde. Drängende Menschen in den Gassen des
Festgeländes, volle Fahrgeschäfte, überfüllte Zelte - Abstand halte
n
ausgeschlossen. Auch in normalen Jahren grassiert regelmäßig die
sogenannte Wiesngrippe: Arztpraxen in und um München registrieren zur
Wiesnzeit mehr Patienten mit Erkältungskrankheiten.

Bunte Bilder fröhlich feiernder Menschen, das bierselige, aber meist
friedliche Miteinander vieler Nationen, dazu weiß-blauer Herbsthimmel
- das prägt das Image Münchens und Bayerns in der Welt. Dieses Jahr
wird es das nicht geben. «Es tut uns weh», sagt Söder. Reiter, der
das Fest am 19. September eröffnet hätte, spricht von einem traurigen
Tag und einem emotional schwierigen Moment. Die Wiesn sei für viele
das «zentrale Fest und das Highlight des Jahres». «Und es einfach
nicht stattfinden zu lassen, ist schon eine bittere Pille.»

Hunderttausende Gäste kommen aus dem Ausland - viele aus Ländern, wo
das Coronavirus derzeit besonders wütet. US-Amerikaner, Italiener und
Briten zählen neben den Schweizern zu den größten Wiesn-Fans.

Die Nachricht von der erwarteten Absage wurde in vielen Sprachen in
den sozialen Netzwerken geteilt, auf Englisch, Spanisch, Italienisch.
«Brutta notizia» - schlechte Nachricht - «bitter» und «sehr traur
ig»,
lauten Kommentare auf Twitter, aber auch: «richtig und wichtig».
Mancher witzelte über die Möglichkeit einer Geister-Wiesn. Und gleich
auch der Vorschlag: «Dann vier Wochen #Oktoberfest 2021?»

Die Absage komme nicht unerwartet, sagt Wiesnchef Clemens Baumgärtner
(CSU). «Sie trifft mich dennoch auch persönlich.» Aber: «Oberste
Prämisse muss sein, dass vom größten Volksfest der Welt keine
gesundheitliche Gefahr für die Gäste ausgehen darf.» Der Schritt sei

logisch und notwendig, sagt Wirtesprecher Peter Inselkammer. Aber:
«Die Wiesn ist für uns Wirte der Höhepunkt des Jahres, das Ereignis,

auf das man lange hinarbeitet. Eine echte Herzensangelegenheit.»

Vom Festwirt über den Karussellbetreiber bis zu Sicherheitskräften,
Bedienungen und Breznverkäufern: Für sie alle ist die Absage ein
schwerer Schlag. Vor allem aber treffe sie die Schausteller, sagt
Baumgärtner. «Diese Branche wird im Jahr 2020 keinerlei nennenswerte
Umsätze generieren. Für viele droht wohl das wirtschaftliche Aus.»

Auch jenseits des Festgeländes: Hotels, Gaststätten und Einzelhändler

profitieren ebenfalls von dem Fest. Alle bis hin zum Taxifahrer
werden «natürlich schmerzlich das Oktoberfest auch im Geldbeutel
vermissen», sagt Reiter. Insbesondere Bund und Land leisteten an
Unterstützung, was möglich sei.

Rund 1,23 Milliarden Euro betrug der Wirtschaftswert laut Stadt 2019.
Allein für Übernachtungen gaben auswärtige Gäste rund 505 Millionen

Euro aus. Für Taxifahrten, Essen und Einkäufe ließen sie weitere 285

Millionen Euro da. Sie besuchten Biergärten, kauften Lederhosen,
Dirndl und Souvenirs wie FC-Bayern-Trikots. Auf der Wiesn gaben die
Besucher rund 442 Millionen Euro aus: Für historische Karussells und
ultramodernen Fahrgeschäfte, Sepplhüte, Lebkuchenherzl, gebrannte
Mandeln, Hendl - und Bier. Rund 7,3 Millionen Liter waren es 2019.

Seit Monaten liefen die Vorbereitungen für die Wiesn 2020. Die Wirte
hatten längst Reservierungswünsche aus aller Welt entgegengenommen.
Dass die Absage die Stadt wegen eventueller Schadenersatzansprüche
nun etwas kostet, fürchtet Reiter nicht: «Ich sehe kein Risiko, denn
es gibt keinen Rechtsanspruch auf Durchführung eines Festes.»

Auch als erste Absagen kamen, für Theater und Fußballspiele, das
Tennisturnier von Wimbledon und die Bayreuther Festspiele, da hoffte
man in München noch. Alternativ-Pläne wurden diskutiert, etwa zu
einer abgespeckten Wiesn mit weniger Besuchern.

Doch das erwies sich als nicht praktikabel. «Ein Oktoberfest light
war für uns nie eine Option», sagt der zweite Wirtesprecher Christian
Schottenhamel. «Abgesehen von den massiven Schwierigkeiten,
entsprechende Kontakt-Beschränkungen zu kontrollieren, wenn Alkohol
im Spiel ist, lebt doch unsere Wiesn von der Geselligkeit und vom
gemeinsamen Feiern.» Auch Wiesnchef Baumgärtner findet: «Das
Gesamtkunstwerk Oktoberfest gibt es entweder ganz - oder gar nicht.»

Nicht zum ersten Mal fällt die Wiesn aus - und nicht zum ersten Mal
ist eine Seuche der Grund: 1854 und 1873 tobte die Cholera. Auch im
Krieg wurde nicht gefeiert. Seit 1949 allerdings gab es keine Absage.

Nun richtet sich der Blick auf das nächste Jahr. Reiter sagt: «Wir
hoffen, dass wir es nächstes Jahr nachholen können, umso intensiver
und umso freudiger.» Vielleicht mit einer verlängerten Wiesn. Drei
statt zwei Festwochen schlägt Landtags-Vizepräsident Karl Freller für

2021 vor. Dazu gibt es freilich vorerst keine offizielle Aussage.

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