Labor statt Wildtier? Forscher kritisieren These zu Corona-Ursprung Von Jan Ludwig, dpa

Wie nahm die Corona-Pandemie ihren Anfang? Dass das Virus von Tieren
auf den Menschen überging, gilt als wissenschaftlicher Konsens - doch
wo, wann und von welcher Art, ist nach wie vor unklar. Das bietet
auch abstrusen Thesen Raum.

Berlin (dpa) - In sozialen Netzwerken kursiert derzeit die Behauptung
einer chinesischen Virologin, das Coronavirus sei von China in einem
Labor hergestellt und absichtlich freigesetzt worden. Die globale
Wissenschaftsgemeinde widerspricht vehement. «Es wurden Daten
einseitig interpretiert. Alles, was gegen ihre Hypothese spricht,
wurde einfach nicht berücksichtigt», sagte Friedemann Weber, Virologe
an der Uni Gießen.

Li-Meng Yan hatte ihre These Mitte September auf einen Server für
sogenannte Preprints hochgeladen - für Arbeiten also, die noch nicht
von anderen Forschern begutachtet und in einem Fachjournal
veröffentlicht sind. «Was da drin steht, hält einem
wissenschaftlichen Gutachtertum nicht stand», monierte Weber. Beim
US-Sender Fox News erweiterte Yan ihre Behauptung noch: Sars-CoV-2
sei nicht nur künstlich hergestellt, sondern auch absichtlich
freigelassen worden.

Webers Urteil deckt sich mit dem von Fachkollegen. Der Virologe
Stephan Ludwig aus Münster sieht in Yans Aufsatz eine «Vermischung
aus Daten und Vermutungen». Er verweist auf eine Studie in der
Fachzeitschrift «Nature». Deren Autoren kamen schon im März zum
Schluss, dass eine Herstellung des Virus im Labor unwahrscheinlich
sei. Laut Weber liegt das etwa am Aufbau der Bindestelle zwischen
Virus und Zelle: «Wenn man so ein Virus absichtlich konstruieren
wollte, würde es anders aussehen.»

Zu Diskussionen um eine bestimmte Spaltstelle in einem
Oberflächenprotein des Virus hatte der Berliner Virologe Christian
Drosten schon im Mai gesagt: «Wir wiederholen hier eine Diskussion,
die wir um die Influenza auch schon geführt haben.» Schon seit vielen
Jahren sei klar, dass so etwas in der Natur entstehe - unter
Selektionsdruck, weil es dem Virus etwas nütze, sagte er im
NDR-Podcast.

Frank Hufert, Virologe an der Medizinischen Hochschule Brandenburg,
gibt bei Yans Aussage, China habe das Virus absichtlich freigesetzt,
noch einen weiteren Aspekt zu bedenken: «Es gibt für diese Krankheit

auch in China keinen Impfstoff und keine Therapie», sagte er. «Ich
sehe keinen Grund, warum man einen Ausbruch im eigenen Land starten
und damit Menschen und Wirtschaft gefährden sollte.»

Auch zahlreiche andere Forscher etwa aus Großbritannien, Frankreich
und den USA kritisierten den Beitrag als unwissenschaftlich.
Bemängelt wird zudem nicht nur der Inhalt von Li-Meng Yans
hochgeladenem Preprint. Dort, wo Wissenschaftler sonst ihre
Forschungseinrichtung angeben, steht bei Yan und ihren drei
Co-Autoren: Rule of Law Society & Rule of Law Foundation. Dahinter
verbergen sich keine Institute, sondern zwei Organisationen.

Auf der Webseite der Rule of Law Society wurde zumindest 2019 Steve
Bannon als Vorsitzender genannt, der Ex-Chefstratege von US-Präsident
Donald Trump. Erst im Juli standen Yan und Bannon in Virginia
gemeinsam auf der Bühne, mit der Aufschrift «War Room Pandemic»
(«Kriegsraum Pandemie») in großen Lettern auf dem Bühnenbild, wie i
n
einem Youtube-Video zu sehen ist.

Gegründet wurde die Rule of Law Society von Guo Wengui alias Miles
Kwok, einem Milliardär aus China, der vor einigen Jahren in die USA
ins Exil ging. Bereits im Januar wurde auf Guos Nachrichtenportal
«GNews» behauptet, China werde bald den «Unfall» in einem Viruslabo
r
in Wuhan zugeben, aus dem das künstliche Virus stamme. Faktenchecker
fanden keinen Beleg dafür, dass die Geschichte wahr sein könnte. Die
US-Geheimdienste teilten im April ihre Ansicht mit, dass das Virus
nicht im Labor hergestellt worden sei.

Yan forschte zu Beginn des Sars-CoV-2-Ausbruchs in einem Labor der
Universität Hongkong am Coronavirus, im April setzte sie sich in die
USA ab. Im Juli distanzierte sich ihr früheres Labor in Hongkong in
einer Mitteilung von ihr: Es gebe keine wissenschaftliche Grundlage
für Yans Aussagen. Nach ihren neuen Behauptungen im September hat
Twitter nun ihren Account gesperrt. Facebook und Instagram versahen
Videos ihres «Fox News»-Auftrittes mit Warnhinweisen
von US-Faktencheckern.

Doch auf welchem Weg fand Sars-CoV-2 nun tatsächlich zum Menschen?
Dass es von Tieren übersprang, gilt als wissenschaftlicher Konsens -
doch wo, wann und von welcher Tierart genau, ist nach wie vor unklar.
Chinas Vorgehen bei der Aufklärung des Ursprungs ziehen Forscher
durchaus in Zweifel. «Dass es keine ordentliche Untersuchung gegeben
hat, muss man schon kritisieren», sagt der Gießener Virologe Weber.
«Da ist noch vieles im Unklaren.»

Es komme in China nicht nur Wuhan als erster Verbreitungsort infrage,
hatte Michael Ryan von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang
August erklärt. «Es gibt Lücken in der epidemiologischen Landschaft.
»
Von der WHO geführte internationale Teams sollen in China diesen und
anderen ungeklärten Aspekten nachgehen. Ergebnisse liegen bisher noch
nicht vor.

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