«Massiv angespannte Situation» - Sorge vor Klinik-Überlastung wächs t Von Christiane Raatz, dpa
Die Zahl der Corona-Patienten in Sachsen steigt und die
Intensivbetten füllen sich. Auf ihrer Covid-19-Intensivstation
betreut die Dresdner Uniklinik Schwerkranke aus der Region. Ein
Besuch.
Dresden (dpa/sn) - Ein Stop-Schild mit der Aufschrift «Covid-19» an
der Glastür weist darauf hin: Hier beginnt der streng geschützte
Corona-Bereich der Intensivstation (ITS) der Dresdner Uniklinik.
Zutritt nur mit Schutzausrüstung. Im Flur hängt ein großer Monitor,
über den als gelbe und rote Linien die Daten der Patienten flimmern:
Sauerstoffsättigung, Blutdruck und Herzfrequenz. «Damit haben wir
alle gleichzeitig im Blick», sagt Marco Mathias Reinhardt,
pflegerischer Leiter der ITS.
Insgesamt gibt es dort 30 Betten, von denen derzeit 10 mit
Corona-Patienten belegt sind. Schwere Fälle aus ganz Sachsen werden
hier behandelt. Die meisten liegen auf dem Bauch, angeschlossen an
Schläuche und Monitore; sie werden künstlich beatmet. Die Lage
erleichtere die Durchlüftung und die Durchblutung der Lunge, erklärt
Reinhardt. Die Pflege ist aufwendig, auch wegen der
Hygienevorschriften. Ein Pfleger ist zuständig für zwei Patienten.
Der jüngste - 25 Jahre alt - kam erst kürzlich mit Vorerkrankungen.
Die anderen Patienten sind zwischen 50 und Ende 70. Thea Koch,
Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, sieht
die Uniklinik durchaus gerüstet, weitere Intensivpatienten
aufzunehmen. So habe man etwa dem stark von der Corona-Pandemie
betroffenen Landkreis Bautzen angeboten, vier Schwerkranke zu
behandeln. Aber: «Geht man von weiter steigenden Zahlen aus, kann es
schon sein, dass wir Ende des Monats an unsere Grenzen kommen.»
Sorgen macht sich Koch weniger um Beatmungsgeräte und Betten,
sondern vor allem um fehlendes Personal. Auch bei den Beschäftigten
steigen die Infektionszahlen.
Seit der ersten Welle im Frühjahr gibt es an der Dresdner Uniklinik
eine ausgeklügelte Corona-Infrastruktur. Nicht nur eine Ambulanz, in
der Abstriche genommen werden, sowie eine Corona-Notaufnahme gehören
dazu, sondern auch eine spezielle Leitstelle, in der alle Fäden
zusammenlaufen. 36 Kliniken aus Dresden und Ostsachsen sowie die
Rettungsleitstellen werden von Dresden aus koordiniert. Welche
Kliniken haben noch freie Betten für Covid-19 Patienten? Was tun,
wenn der Hausarzt mit seinem Fall nicht mehr weiter weiß?
Das Telefon klingelt im Minutentakt, an manchen Tagen können es bis
zu 170 Mal sein. Leitstellen-Chef Christian Kleber und sein Team
haben alle Hände voll zu tun. «Wir haben Lehren aus der ersten Welle
gezogen, wir gehen professioneller mit der Situation um.» Dabei hilft
auch ein eigens entwickeltes Tool, das den Bedarf für Covid-19-
Patienten in der Region für bis zu Wochen im Voraus prognostizieren
kann.
Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums,
wirft jeden Tag einen genauen Blick auf die Prognosen. In den mehr
als 30 Kliniken in Dresden und Ostsachsen liegen derzeit 120
Covid-19-Patienten auf der Intensivstation. In einem Szenario, das
vom schlimmsten Fall ausgeht, könnten es in zwei Wochen schon 300
sein. Die Situation sei «massiv angespannt», so Albrecht. Auch knapp
zwei Wochen nach dem Teil-Lockdown sieht er noch keine Entspannung.
Jeden Tag müssten Ärzte und Pfleger entscheiden, welche Operationen
verschoben werden könnten und wie viel Betten man für Corona-Fälle
frei halten muss. Etwa 30 Prozent der geplanten Operationen müssten
ganz oder tageweise verschoben werden, um die Versorgung zu sichern.
Vor allem beim Personal drohten Engpässe, so Albrecht. Die Zahl der
Pfleger und Ärzte in Quarantäne steige.
Den Vorschlag, positiv getestetes Personal ohne Symptome für die
Pflege von Covid-19-Patienten einzusetzen, hält Albrecht angesichts
der Situation für vertretbar: «Wenn es der Mitarbeiter will und unter
entsprechenden Schutzmaßnahmen.» Wenn das Personal ausgehe, nutzten
auch alle vorgehaltenen Betten nichts.
Einen Überblick, wie es deutschlandweit bei der Belegung von
Intensivbetten aussieht, gibt die Deutsche Interdisziplinäre
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Demnach werden
in sächsischen Krankenhäusern derzeit rund 265 Covid-19 Patienten
behandelt, von denen 127 beatmet werden müssen. Insgesamt belegen die
Covid-Patienten 16 Prozent der insgesamt etwa 1660 zur Verfügung
stehenden Intensivbetten. Etwa 370 sind derzeit noch frei.
Das Gesundheitsministerium verweist darauf, dass es sich bei dem
DIVI-Überblick nur um eine Momentaufnahme handelt. Zu Beginn des
Jahres gab es in Sachsen rund 1200 Intensivbetten mit
Beatmungsmöglichkeit, heute sind es mehr als 2000. Zudem gebe es noch
einen Puffer durch Intensivbetten, die zusätzlich aufgestellt werden
können. Sollte es tatsächlich zu einer Auslastung der Kliniken in
Sachsen kommen, greift laut Behörde das «Kleeblatt-Konzept.» Dann
könnten Patienten innerhalb Ostdeutschlands auf andere Bundesländer
verteilt werden.
Angesichts der aktuellen Entwicklung wächst bei vielen Ärzten und
Pflegern der Ärger, was Corona-Leugner oder etwa die am Wochenende
aus dem Ruder gelaufene «Querdenken»-Demonstration in Leipzig angeht.
Pflegeleiter Reinhardt spricht von «Frustration» und «vollkommenem
Unverständnis». Andere berichten von Patienten, die selbst mit einem
positiven Befund im Krankenhaus lägen und dennoch nicht an eine
solche Erkrankung glaubten.
«Wir alle haben Verantwortung», sagt die Intensivmedizinerin Koch.
«Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser überlastet sind und es kaum
noch schaffen und andere Menschen provozieren mit solchen
Massenveranstaltungen, dass es zu weiteren Infektionen kommt.»
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