Ein Jahr neues Waffenrecht: Regelung zu psychisch Kranken fehlt noch Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Mit Änderungen des Waffengesetzes sollte Extremisten der Zugang zu
legalen Waffen erschwert werden. Zu einem massenhaften Entzug von
Waffenscheinen und Waffenbesitzkarten hat die regelmäßige Abfrage
beim Verfassungsschutz aber bisher wohl noch nicht geführt.

Berlin (dpa) - Rund ein Jahr nach der Änderung des Waffenrechts sieht
die Politik noch Reformbedarf. Nachbessern wollen die Innenminister
von Bund und Ländern vor allem bei den Möglichkeiten für
Waffenbehörden, Informationen über psychische Erkrankungen von
Menschen zu erlangen, die legal Waffen besitzen oder sogar in der
Öffentlichkeit mit sich führen dürfen.

Im hessischen Hanau hatte ein Deutscher am 19. Februar 2020 - einen
Tag vor Inkrafttreten des ersten Teils der bisher letzten Novelle des
Waffengesetzes - neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen,
bevor er mutmaßlich seine Mutter und schließlich sich selbst tötete.

Der rechtsradikal motivierte Täter litt laut einem Gutachten an einer
paranoiden Schizophrenie. Die für seine Waffenerlaubnis zuständige
Behörde wusste aber wohl nichts von den Wahnvorstellungen des
Sportschützen, obgleich dieser Monate vor dem rassistischen Anschlag
einen sehr wirren Brief an den Generalbundesanwalt geschrieben hatte.

Auch als Folge des Verbrechens in Hanau sehen die Innenminister hier
gesetzgeberischen Handlungsbedarf: Sie wollen in Zukunft nach
Möglichkeit verhindern, dass jemand, der psychisch krank ist, Waffen
besitzen darf. Das aktuell geltende Gesetz bietet hierfür zwar schon
Ansätze: Die Zuverlässigkeit muss alle drei Jahre überprüft werden.

Der Besitzer der Waffenerlaubnis kann dann zum persönlichen
Erscheinen bei der Behörde aufgefordert werden, damit man sich ein
besseres Bild von ihm machen kann. Wer mehr will, müsste aber
Regelungen finden, die die ärztliche Schweigepflicht berühren und die
daher in die Zuständigkeit der Gesundheitsminister fallen.

Die treffen sich das nächste Mal im Juni - etwa zur gleichen Zeit wie
die Innenminister von Bund und Ländern. Auf der Tagesordnung dürfte
bei den Gesundheitsministern dann allerdings immer noch vor allem die
Bekämpfung der Corona-Pandemie stehen. «Ich verstehe, dass aufgrund
der Pandemie alle zur Zeit extrem gefordert sind», sagt der
rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD). Ihm sei
dennoch wichtig, «dass wir bei der Frage weiterkommen, wie wir
verhindern können, dass psychisch kranke Menschen Waffen besitzen».
Er gehe davon aus, dass dies auch bei der kommenden
Innenministerkonferenz (IMK) besprochen werde.

Das Bundesinnenministerium hatte bei der zurückliegenden IMK eine
Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die insbesondere auf eine
Verbesserung der Kommunikation zwischen Gesundheitsämtern, Polizei
und den zuständigen Waffenbehörden der Länder abzielen. Zur Umsetzung

steht das Bundesinnenministerium im Dialog mit den Ländern, heißt es
in Berlin.

Und noch etwas hat sich 2020 geändert: Die Waffenbehörde muss jetzt
für jede Waffenerlaubnis und später dann alle drei Jahre routinemäß
ig
beim Verfassungsschutz anfragen, ob jemand als Extremist aufgefallen
ist. Im Behördenjargon heißt das «Regelabfrage». Hat sich jemand
einem extremistischen Verein oder einer entsprechenden Partei
angeschlossen, kann dies dazu führen, dass die notwendige
Zuverlässigkeit als nicht gegeben angenommen wird - auch dann, wenn
die Partei nicht verboten ist. Allerdings muss jeder Einzelfall
geprüft werden. Außerdem kann es vorkommen, dass einzelne
Informationen des Verfassungsschutzes - etwa Erkenntnisse, die von
ausländischen Nachrichtendiensten kommen oder durch
Telefonüberwachung erlangt wurden - aus Quellenschutz-Gründen nicht
an die waffenrechtliche Genehmigungsbehörde weitergegeben werden.

In den vier östlichen AfD-Landesverbänden, die vom Verfassungsschutz
inzwischen mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht werden,
haben Abfragen bei den Landesämtern für Verfassungsschutz nach ersten
Erkenntnissen noch nicht dazu geführt, dass Schützen und Jäger unter

den Mitgliedern reihenweise ihre Waffen abgeben mussten. «Davon hätte
ich gehört», sagt Detlev Spangenberg, sächsischer
Bundestagsabgeordneter und Sportschütze. Auch unter denen, die man
einst dem inzwischen aufgelösten «Flügel» der AfD zugerechnet habe,

sei ihm kein solcher Fall bekannt, betont der Abgeordnete. Er halte
es «eh für bedenklich, wenn man so etwas pauschal macht», sagt
Spangenberg, der einer parteiinternen Interessengemeinschaft
vorsteht, die sich mit Fragen des Waffenrechts beschäftigt.

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser übt aus anderen Gründen
Kritik: «Wir sehen jetzt, dass die kürzlich eingeführte Regelabfrage

nicht das Allheilmittel ist. Hier entstehen riesige Datenmengen und
eine enorme Bürokratie. Gefährliche Rechtsextremisten werden deshalb
wohl nicht so rasch entwaffnet, wie es geboten wäre.» Besser wäre es,

die Verfassungsschutzbehörden müssten «proaktiv ihre Erkenntnisse
über bekannte Rechtsextremisten an die Waffenbehörden melden», statt

sich auf die Nachfragen der Waffenbehörden zu verlassen.

Das tut der Inlandsgeheimdienst zwar gelegentlich, allerdings nur,
wenn er einer Person erstmalig Erkenntnisse speichert, zu der eine
Waffenbehörde zuvor bereits eine Anfrage gestellt hatte. Die
Sicherheitsbehörden hatten Ende Dezember bundesweit rund 1200
tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextremisten auf dem Schirm, die
legal Waffen besaßen - ein Anstieg um knapp 35 Prozent im Vergleich
zu Ende 2019.

Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der
Linksfraktion geht zwar hervor, dass eine Waffenerlaubnis seit Anfang
2019 in 1729 Fällen versagt wurde. Demnach waren im Nationalen
Waffenregister zudem zum Stichtag 20. Januar insgesamt 15 821
Erlaubnisse mit dem Status «zurückgenommen» und 21 646 Erlaubnisse
als «widerrufen» gespeichert. Die Gründe dafür würden aber vom Bu
nd
nicht im Detail statistisch erfasst, führt das Innenministerium aus.

In der Summe hat die Zahl der erlaubnispflichtigen Waffen und
Waffenteile in Privatbesitz zwischen 2017 und 2020 sogar zugenommen.
Wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage mitteilte, waren im
Nationalen Waffenregister zum 31. August 2017 insgesamt rund 5,36
Millionen Waffen und Waffenteile gespeichert. Vernichtete,
exportierte und deaktivierte Waffen sind hier nicht mitgezählt. Drei
Jahre später lag die Zahl bei rund 5,57 Millionen Waffen und
Waffenteilen. Ein Grund für diesen Anstieg dürfte die Renaissance der
Jagd sein. Seit 2009 steigt die Zahl der Jagdschein-Besitzer
kontinuierlich.

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