«Fatal» oder hilfreich? Trisomie-Bluttest soll Kassenleistung werden Von Violetta Heise, dpa
Mütter, die bei ihrem Ungeborenen eine Trisomie ausschließen wollen,
können einen Bluttest machen lassen. Der soll künftig zum Teil von
den Kassen bezahlt werden. Weniger Kosten für werdende Eltern - was
könnte daran problematisch sein? Vieles, sagen Ärzte und Kirchen.
Stuttgart/Hürth (dpa) - Kaum halten werdende Eltern den positiven
Schwangerschaftstest in der Hand, beginnt für viele schon das Bangen:
Ist mit dem Ungeborenen auch alles in Ordnung? Künftig sollen
Bluttests, die Antworten auf diese Frage versprechen, in bestimmten
Fällen von den Krankenkassen bezahlt werden.
Mehr Gewissheit als Kassenleistung: Was auf Eltern wie ein Gewinn
wirken dürfte, lässt Behindertenverbände, Kirchen und Ärzte Alarm
schlagen. In einem offenen Brief, der am Donnerstag veröffentlicht
wurde, fordert ein breites Bündnis den Bundestag dazu auf, sich
nochmals mit dem Thema zu befassen. Es stehe zu befürchten, dass die
Untersuchung unter den angepeilten Rahmenbedingungen «so häufig
angewandt wird, dass dies faktisch einer Reihenuntersuchung
gleichkommt», heißt es in dem Schreiben.
Bei einigen Interessensgruppen geht auch die Angst um, dass eine
solche systematische Suche nach Ungeborenen mit Behinderung in vielen
Fällen eine Abtreibung nach sich ziehen dürfte.
Die sogenannten nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) stehen Frauen
schon seit 2012 zur Verfügung, allerdings müssen sie bislang in der
Regel selbst bezahlt werden. Bei dem Test wird eine Blutprobe der
werdenden Mutter auf bestimmte Erbgutfehler des Fötus untersucht:
etwa auf eine Trisomie 21, bei der das Chromosom 21 dreifach
vorhanden ist und die mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen
und geistigen Auffälligkeiten einhergeht.
Ist das Testergebnis negativ, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen werden, dass das Ungeborene Trisomie 21 hat. Ist es
hingegen auffällig, muss ein weiterer Eingriff folgen, um eine
sichere Diagnose zu stellen - etwa eine Fruchtwasseruntersuchung, die
mit einem geringen Risiko für eine Fehlgeburt einhergeht.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium, das Ärzte,
Krankenkassen und Kliniken zusammenbringt, hat bereits 2019
grundsätzlich entschieden, dass der NIPT Kassenleistung werden soll.
Ein Argument dafür: Der Bluttest sei im Gegensatz zu älteren Method
en
ohne Risiko für Mutter und Kind.
Noch stehen jedoch Abstimmungsschritte aus: So muss erst noch die
Broschüre abgesegnet werden, die Kassenpatientinnen später über den
Test informieren soll, womit im Sommer gerechnet wird. Dann muss noch
das Gesundheitsministerium auf formale Fehler prüfen. Erst mit
Veröffentlichung im Bundesanzeiger wird der NIPT dann tatsächlich
Kassenleistung.
«Es ist fatal, was da in Gang gesetzt wurde», sagt Claudia Heinkel,
die in Stuttgart eine Beratungsstelle der Diakonie zu
Pränataldiagnostik leitet. Die Kassenzulassung sende die Botschaft
aus: «Es gibt hier einen einfachen Test, den wir auch bezahlen - auch
weil wir es für gesellschaftlich erwünscht halten, Trisomie 21 zu
suchen.» So entstehe ein subtiler Erwartungsdruck: Werdende Eltern,
die sich gegen den Test entschieden, müssten sich rechtfertigen.
Zwar betone der G-BA stets, die Bluttests sollten nur in Einzelfällen
von den Kassen bezahlt werden, doch in dem Beschluss seien die
Bedingungen dafür völlig offen formuliert. «Im Grunde hat der G-BA
eine indikationslose Kassenleistung beschlossen», sagt Heinkel. «Im
Mittelpunkt steht allein die subjektive Besorgnis der Schwangeren vor
einem Leben mit einem behinderten Kind.» In der Folge könnte der Test
nahezu flächendeckend bei Schwangeren zum Einsatz kommen.
In der vorläufigen Fassung der geplanten Info-Broschüre heißt es,
dass der NIPT nicht zu den allgemein empfohlenen
Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft gehört. Aber auch
Nilgün Dutar, Präsidentin des Berufsverbands niedergelassener
Pränatalmediziner, sieht ein großes Problem in der unklaren
Festlegung, für wen die Tests bezahlt werden sollen.
«Wir wollen keine Reihenuntersuchung auf die Trisomie 21», sagt sie.
«Ich glaube, das will niemand - aber das ist die große Sorge.» Per se
schlecht sei der Bluttest nicht. Für eine 42-jährige Patientin mit
einem im Ultraschall unauffälligen Kind könne der Bluttest durchaus
Sinn ergeben - denn mit steigendem Alter steigt die
Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomenstörung. «Aber für eine
20-Jährige mit ebenfalls unauffälligem Ultraschall ist so ein Test
nicht sinnvoll», sagt Dutar.
Und Sicherheit biete der Test eben nicht - es handele sich um eine
Wahrscheinlichkeitsrechnung. Es kommt laut Dutar durchaus zu
falsch-positiven Ergebnissen: Im vergangenen Jahr habe sie allein
drei Frauen behandelt, deren Testergebnis auf eine Trisomie 18
hingewiesen habe - fälschlicherweise. «Die Kinder hatten nichts. Das
ist eine enorme Verunsicherung der Paare.» Sie wisse auch von Fällen,
in denen Frauen nach einem auffälligen NIPT die Schwangerschaft
abgebrochen hätten - ohne sichere Diagnose.
Die Kassenzulassung des Tests sei nicht per se falsch. Aber alles
hänge an einer guten und ergebnisoffenen Aufklärung der Schwangeren,
einem differenzierten Ultraschall und der richtigen
Indikationsstellung - und da sehe sie erhebliche Mängel in dem
G-BA-Beschluss.
Für die Zukunft gelte es wichtige ethische Fragen zu klären: «Jetzt
ist es die Trisomie 21», sagt Dutar. Doch mittlerweile seien auch
diverse andere Einzelerkrankungen testbar. «Wie geht das Ganze
weiter, wo landen wir dann irgendwann?» Eine Selektion könne nicht
gewünscht sein. «Diese Testverfahren sollte man deshalb mit einer
entsprechenden Vorsicht benutzen und eben nicht als Reihentest.»
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.