Die Pandemie hat Wunden geschlagen - Staat gedenkt der Toten Von Ulrich Steinkohl, dpa

Die Flaggen im Land auf halbmast, ein ökumenischer Gottesdienst und
ein staatlicher Gedenkakt in Berlin - Deutschland trauert um seine
Toten in der Pandemie. Das Land werde davon gezeichnet sein, sagt der
Bundespräsident. Und macht doch Hoffnung auf ein Ende des Schreckens.

Berlin (dpa) - Brigitte Lückert aus Bremen, Norbert Herr aus Fulda,
Robert Bergsch aus Kiel, Gertrud Schott aus Kempten, Yossi Esman aus
Berlin - 5 Namen von 120. 120 Porträtfotos, 120 Schicksale, 120 Tote.
Die Schwarz-Weiß-Bilder leuchten am Sonntag im Berliner Konzerthaus
am Gendarmenmarkt zu den eindringlichen Klängen des Adagio for
Strings von Samuel Barber auf und geben dem Sterben in der
Corona-Pandemie plötzlich ein Gesicht. Sie stehen stellvertretend für
79 914 Menschen, die in Deutschland in der Pandemie bereits ihr Leben
verloren haben.

Inmitten der Pandemie hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
einen staatlichen Gedenkakt angesetzt. «Wir sehen die Wunden, die die
Pandemie geschlagen hat. Wir gedenken der Verstorbenen. Und wir
fühlen mit den Lebenden, die um sie trauern», sagt das
Staatsoberhaupt in seiner Rede.

Das noch immer wütende Virus erzwingt ein Gedenken im kleinsten
Kreis: Fünf Hinterbliebene mit jeweils einer Begleitperson und die
Spitzen der fünf Verfassungsorgane sitzen im leer geräumten
Konzertsaal - in Hufeisenform und mit weitem Abstand voneinander.
Dazu kommen die führenden Vertreter der Kirchen, der Apostolische
Nuntius Nikola Eterovic als ranghöchster Vertreter des Diplomatischen
Korps und Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) als amtierender
Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Also jener Runde, die
maßgeblich die Beschlüsse zur Corona-Pandemiebekämpfung verantwortet

und derzeit massiv in der Kritik steht.

Steinmeier weiß um den wachsenden Unmut in der Bevölkerung wegen der
oft als undurchsichtig und nicht nachvollziehbar empfundenen
Beschlüsse dieses Gremiums. Er hat in den vergangenen Wochen mehrfach
Verständnis für diesen Unmut gezeigt und spricht ihn auch am Sonntag
kurz an. «Wo es Fehler und Versäumnisse gab, da müssen und werden wir

das aufarbeiten. Aber nicht an diesem Tag. Nicht heute», sagt er all
denjenigen, die im Vorfeld gefordert hatten, diese Fehlentscheidungen
müssten bei der nationalen Gedenkveranstaltung Thema sein.

Stattdessen spricht der Bundespräsident vom einsamen Tod vieler
Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen, auch jener, die nicht
mit dem Virus infiziert waren. Denn die Isolationsmaßnahmen zur
Eindämmung des Virus machten da keinen Unterschied. Und Steinmeier
spricht von der Verzweiflung der Angehörigen, die «gebangt, gezittert
und geweint» haben. «Viele haben vor verschlossenen Krankenhaustüren

gestanden und gefleht, noch einmal zu ihrer Frau oder ihrem Mann
gelassen zu werden, zu ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrer Tochter,
ihrem Sohn.»

So wie Michaela Mengel aus Essen, eine der fünf Hinterbliebenen. Sie
hat ihre 23 Jahre alte Tochter verloren. Steinmeier hat sie bei einem
Online-Gespräch mit Hinterbliebenen Anfang März kennengelernt. An
diesem Sonntag bringen sie im abgedunkelten Konzerthaus jeweils eine
Kerze zu einer Gedenkstelle in der Mitte des Saales. Anita Schedel
aus Passau, die um ihren Mann trauert, macht dies zusammen mit
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Esrin Korff-Avunc aus
Ritterhude, deren Vater an einer Covid-19-Infektion gestorben ist,
stellt mit Kanzlerin Angela Merkel je eine Kerze auf.

Finja Wilkens aus Ganderkesee bei Oldenburg, die ihren Vater verloren
hat, wird auf diesem Gang von Bundesratspräsident Reiner Haseloff
(CDU) begleitet. Detlev Jacobs, dessen Mutter vier Tage vor ihrem 80.
Geburtstag in Koblenz gestorben ist, geht den Weg zusammen mit dem
Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Am Ende
stehen zehn Kerzen in einem Kreis um bunte Blumengestecke.

Die fünf obersten Repräsentanten des Staates an der Seite von fünf
Hinterbliebenen - das soll symbolisch zeigen, was der Bundespräsident
mit den Worten «Ihr seid nicht allein mit eurem Leid, nicht allein in
eurer Trauer» ausdrückt.

Steinmeier erinnert damit auch an jene Menschen, die zwar nicht am
Virus erkrankt sind, aber dennoch in den vergangenen Monaten durch
die Pandemie Schaden genommen haben. «An jene, die seelisch krank
geworden sind vor Einsamkeit und Enge. An Menschen, die Gewalt
erlitten haben. Wir denken an jene, die in wirtschaftliche Not
geraten sind und um ihre Existenz bangen.» Und Steinmeier dankt
ausdrücklich Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern, die
«oft bis zur völligen Erschöpfung und nicht selten darüber hinaus
» um
jedes Menschenleben kämpfen.

Das Gedenken, es fällt in eine unsichere Zeit. Die Infektionszahlen
steigen, die Intensivstationen der Krankenhäuser füllen sich rasant,
die Zahl der Toten nimmt täglich zu. Trotzdem verbreitet Steinmeier
an diesem Tag auch Zuversicht. «Wir werden von dieser Pandemiezeit
gezeichnet sein, aber auch an ihr wachsen», sagt er. «Wir werden die
Pandemie hinter uns lassen! Wir werden aufatmen und wieder frei
leben», betont der Bundespräsident und verweist auf die Fortschritte
beim Impfen.

Es ist die um ihren Mann trauernde Anita Schedel, die ihre Mitbürger
daran erinnert, was bis dahin nötig ist: das Einhalten aller
Hygieneregeln. «Auch wenn die Corona-Müdigkeit nach zwölf Monaten
Pandemie zunimmt, ich appelliere an Sie alle: Halten Sie durch! Es
kommt auf jeden Einzelnen an.»

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