USA heizen Debatte um Patentschutz für Corona-Impfstoffe an Von Christiane Oelrich und Jürgen Bätz, dpa
Wie beschafft man genügend Corona-Impfstoff für die ganze Welt? Die
USA wollen die Produktion weltweit ankurbeln und dafür gegen den
Protest der Pharmaindustrie Patente aussetzen. Aber auch diese Lösung
hat aus Sicht der Pharmaverbände einen Haken.
Genf/Washington (dpa) - Es ist ein Dammbruch: In der Corona-Pandemie
schlägt sich die US-Regierung jetzt auf die Seite ärmerer Länder und
vieler Hilfsorganisationen. Sie will, dass Pharmafirmen vorübergehend
den Patentschutz auf ihre Corona-Impfstoffe verlieren. Dann könnten
Hersteller in aller Welt die Impfstoffe produzieren, ohne
Lizenzgebühren an Biontech/Pfizer, Moderna und Co zahlen zu müssen.
Theoretisch zumindest.
Denn erstens müssten die 164 Mitgliedsländer der
Welthandelsorganisation (WTO) zustimmen, dass internationale
Copyright-Bestimmungen außer Kraft gesetzt werden. Und zweitens
dürfte es ohne Unterstützung der Pharmafirmen kaum gelingen, die
komplexen Rezepte der neuartigen Impfstoffe einfach nachzumachen. Die
Pharmafirmen und -verbände laufen Sturm. Das «Wall Street Journal»
spricht vom «Diebstahl der Impfstoff-Patente».
Die USA stünden zwar hinter dem Schutz geistigen Eigentums, die
Pandemie sei aber eine globale Krise, die außerordentliche Schritte
erfordere, sagte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch.
Das Ziel sei, «so viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie
möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen». Der Chef der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sprach
auf Twitter von einer «historischen Entscheidung». Damit könne der
Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe begegnet werden.
Russland ist der Idee nicht abgeneigt. Sie verdiene Beachtung, sagte
Kremlchef Wladimir Putin der Agentur Interfax zufolge. «Leider hat
sich der Kampf zwischen den verschiedenen Pharmaherstellern weltweit
verschärft», meinte Putin. Es dürfe nicht um Gewinnmaximierung gehen.
Russland hat bereits vier eigene Corona-Impfstoffe.
WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala begrüßte den Vorstoß von Tai. «Ich
begrüße ihre Bereitschaft sehr, sich mit den Verfechtern eines
Patentverzichts zusammenzusetzen», teilte Ngozi mit. Sie lobte Indien
und Südafrika, die ihren Textvorschlag für die Patentaussetzung
gerade überarbeiteten, damit hoffentlich eine schnelle Lösung
gefunden werde. «Wir können nur gemeinsam einen pragmatischen Weg
nach vor finden», sagte Ngozi nach Angaben des WTO-Sprechers.
Für die Pharmafirmen ist das ein Schlag. Deutsche Pharma-Firmen
lehnen den Vorschlag ab. Niemand könne in weniger als sechs Monaten
eine Produktion hochziehen, teilte der Verband Forschender
Arzneimittelhersteller mit. «Und im nächsten Jahr werden die jetzigen
Hersteller schon nach heutigem Planungsstand mehr Impfstoff-Dosen
produzieren, als die Weltbevölkerung benötigt», sagte
Verbandspräsident Han Steutel.
Die deutschen Impfstoff-Hersteller Curevac und Biontech lehnten dies
auch ab. «Der Herstellungsprozess von mRNA ist ein komplexer Prozess,
der über mehr als ein Jahrzehnt entwickelt wurde», teilte Biontech in
Mainz mit. Es brauche erfahrenes Personal und Rohmaterialien, die für
die Verwendung freigegeben werden müssten. Wenn eine der
Anforderungen nicht erfüllt sei, könnten Qualität, Sicherheit und
Wirksamkeit des Impfstoffs weder vom Hersteller noch vom Entwickler
gewährleistet werden. «Dies könnte die Gesundheit der Geimpften
gefährden.»
Ein Sprecher des Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac sagte, dass
Patente nicht das entscheidende Kriterium in der Bereitstellung
größtmöglicher Impfstoffmengen seien. Vielmehr sehe man den
generellen Druck auf die Lieferketten als die größte Herausforderung.
Dieser ergebe sich aus dem hohen Bedarf an Ausgangsmaterialien und
Geräten zur selben Zeit und in hohen Mengen.
Die Pharmaindustrie argumentiert, dass sie auf eigenes Risiko
Millionen in die Forschung investiert. Die allermeisten Projekte
versanden irgendwann. Wenn aber einmal ein erfolgreiches Mittel dabei
herauskomme, müsse das Unternehmen auch Rendite machen können, um die
Investitionen wieder hereinzuholen und Aktionäre zu belohnen.
Der Verband der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) warnte, dass es ohne
Patente zur Verbreitung gepanschter Impfungen führen könne. Und der
Verband der US-Biotech-Industrie (Bio) sah die Gefahr, dass andere
Länder die US mit ihrer heute führende Rolle in der Biotechnologie
abhängen könnten.
Der Weltärztebund forderte die Hersteller auf, Patente eigenständig
freizugeben. «Die Pharmaindustrie könnte jetzt die ganze Menschheit
voranbringen, wenn sie freiwillig auf die Ausübung ihrer Patentrechte
für die Impfstoffe verzichtet», sagte der Vorsitzende Frank Ulrich
Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Online Donnerstag).
«Freiwilligkeit wäre auch der Schlüssel zur Vermeidung drastischerer
Maßnahmen durch Regierungen und Welthandelsorganisation.»
Eine Sprecherin von Pfizer sagte der «New York Times», der Impfstoff
habe 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern. Um das zu
verarbeiten, seien komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal
notwendig. In die Kerbe haut auch der Generaldirektor des
Pharmaverbandes IMFPA, Thomas Cueni. Alles viel zu kompliziert:
«Selbst, wenn die Patente ausgesetzt würden, würde in dieser Pandemie
keine einzige zusätzliche Dosis die Menschen erreichen.»
Es gibt aber eine ganze Reihe von Herstellern, die sich das zutrauen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits eine Plattform für
den Technologietransfer speziell für die neuartigen mRNA-Impfstoffe
von Biontech/Pfizer und Moderna aufgeschaltet. Dort haben sich schon
50 Interessenten gemeldet, wie der verantwortliche Leiter bestätigt.
Die meisten seien aber von Firmen, die um Technologietransfer bitten,
oder Einrichtungen, die sich als Trainingszentren bewerben - nur
wenige hätten Interesse ausgedrückt, Wissen zu teilen.
Problematisch sind nach Darstellung der Pharmafirmen vielmehr
Engpässe bei den Rohstoffen und dem Material. Die Denkfabrik Chatham
House zeigte dies im März auf: Es fehlten Glasfläschchen,
Bioreaktorbeutel für Zellkulturen, fötales Kälberserum als Medium f
ür
Zellkulturen und Nanopartikel, in die manche Impfstoffe eingelagert
werden müssen. Warum? Weil die Industrie bis Ende 2021 rund 14
Milliarden Impfdosen in Aussicht gestellt hat, drei bis vier Mal so
viel Impfstoff, wie bislang pro Jahr hergestellt wurde.
Die Pharmafirmen, die die Technologie haben, wehren sich seit Monaten
in der WTO gegen den Vorschlag Indiens und Südafrikas, den
Patentschutz für Corona-Mittel vorübergehend auszusetzen. In der WTO
ist das entscheidende TRIPS-Abkommen über den Schutz geistigen
Eigentums hinterlegt, dort müssten alle 164 Mitgliedsländer
zustimmen, bestimmte Passagen auszusetzen.
Dass Pharmafirmen für ihre Forschungsanstrengungen belohnt werden
müssen, zieht nicht bei Kate Elder, Impfstoff-Expertin bei der
Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen». Biontech/Pfizer, Moderna und
andere hätten Milliarden aus Steuergeldern bekommen, um die Forschung
an Corona-Impfstoffen voranzutreiben. «Die Früchte von daraus
resultierender Forschung müssen mit kompetenten Herstellern geteilt
werden», fordert sie. «Öffentliche Gelder dürfen nicht umsonst sein
.»
Die EU, die in der WTO für alle Länder verhandelt, zeigte sich nach
dem US-Vorstoß auch kulanter als vorher: «Die Europäische Union ist
bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und
pragmatisch angeht», sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen,
mit einem Seitenhieb auf die USA, die die US-Impfstoffproduktion
zuerst gänzlich für die eigene Bevölkerung behielten. Länder mit
eigener Produktion müssten exportieren. «Europa ist die einzige
demokratische Region der Welt, die Exporte im großen Maßstab
erlaubt», so von der Leyen. Es seien schon mehr als 200 Millionen
Impfdosen in den Rest der Welt geliefert worden, fast so viel, wie in
der EU verabreicht worden seien. Die EU sei die Apotheke der Welt.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn blieb zunächst vage. «Die ganze
Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus
dieser Pandemie», sagte er. Entscheidend seien vor allem der weitere
Ausbau von Produktionsstätten und mehr Exporte aus Ländern, in denen
produziert wird. Dagegen zeigte sich Außenminister Heiko Maas offen
für eine Aufweichung des Patentschutzes. «Wenn das ein Weg ist, der
dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen
versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen
müssen», sagte der SPD-Politiker.
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