BAG: Pandemie kein Betriebsrisiko - Minijobber gehen leer aus Von Simone Rothe, dpa
Schlechte Nachricht für Minijobber, die während der harten Lockdowns
nicht arbeiten konnten: Ohne Arbeit kein Geld vom Arbeitgeber,
entschied das Bundesarbeitsgericht in seinem ersten Corona-Urteil.
Ein Appell ging an die Politik.
Erfurt (dpa) - Arbeitgeber tragen nach einer Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts nicht das Betriebsrisiko, wenn ihre Geschäfte
per allgemeiner Lockdown-Verordnung schließen mussten. Sie haben
damit auch nicht die Pflicht zur Entgeltfortzahlung an Minijobber,
die während der harten Phasen der Pandemie, in der große Teile des
öffentlichen Lebens ruhen mussten, nicht arbeiten konnten. Das
entschied das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch in Erfurt in seinem
ersten Corona-Urteil (5 AZR 211/21). Der Präzedenzfall kam aus
Niedersachsen.
«Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist Folge eines hoheitlichen
Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden
Gefahrenlage», erklärten die höchsten deutschen Arbeitsrichter. Aus
dem Fehlen eines finanziellen Nachteilsausgleichs für Minijobber
durch den Staat bei Corona-Arbeitsausfall lasse sich «keine
arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten».
Und die Richter schickten eine Botschaft in Richtung Politik: Während
es für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einen Ausgleich für
Arbeitsausfall durch den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld
gebe, stünden geringfügig Beschäftigte wie die Klägerin vor «Lü
cken
in dem sozialversicherungspflichtigen Regelungssystem». Die
Bundestagsabgeordnete der Linken, Susanne Ferschl, sprach von einem
Weckruf an die neue Regierung, die Sicherungslücken bei Minijobs
endlich zu schließen. Das Minijob-Versprechen brutto gleich netto sei
im Krisenfall ein Bumerang für Beschäftigte.
Verhandelt wurde über die Klage einer Minijobberin aus einem
Nähmaschinengeschäft in Bremen. Sie kann nach dem Urteil nicht auf
Entgelt während einer Schließung im April 2020 pochen - es ging um
432 Euro. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen in Niedersachsen folgten
die Bundesrichter nicht der Argumention der Klägerin, die
Geschäftsschließungen durch die Bremer Behörden gehörten zum
Betriebsrisiko, das der beklagte Kleinunternehmer zu tragen habe.
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hält die Entscheidung für
nachvollziehbar. «Die Pandemie ist ein allgemeines Lebensrisiko, sie
trifft die ganze Gesellschaft», sagte Thüsing der Deutschen
Presse-Agentur. «Es ist kein Risiko, das allein dem Arbeitgeber
zugeordnet werden kann, der damit auch nicht das Lohnrisiko trägt.»
Die Fachanwältin Nina Hartmann sprach dagegen von einem
überraschenden Urteil, das sich gegen Auffassung der Vorinstanzen und
andere Arbeits- und Landesarbeitsgerichte stelle.
«Die ersten Corona-Verordnungen waren die am weitesten reichenden»,
so der Vorsitzende Richter Rüdiger Linck in der der Verhandlung. Ob
alle Verordnungen in Deutschland diese Tragweite hatten, müsste im
konkreten Fall geprüft werden. Wichtig war Linck die Feststellung,
dass es für die Klägerin in der kleinen Filiale keine
Beschäftigungsalternative gab.
Welche Auswirkungen das Urteil hat, ist nicht genau zu sagen. Allein
im deutschen Einzelhandel gibt es nach Angaben des Handelsverbandes
HDE etwa 808 000 geringfügig Beschäftigte. Von den behördlich
angeordneten Geschäftsschließungen war ein Teil des Handels
betroffen, nicht aber der Bereich Lebensmittel und Drogerien.
Weder der HDE noch die Gewerkschaft Verdi konnten beantworten, wie
viele Minijobber während der Lockdownphasen so wie die Klägerin kein
Entgelt erhielten. Immerhin richtete das Urteil den Blick auf eine
große Zahl von Menschen, die auf Minijobs angewiesen sind. Es gebe
aber derzeit keine Anzeichen für eine riesige Klagewelle, sagten
Sprecher des Verbandes, der Gewerkschaft und des
Bundesarbeitsgerichts.
In größeren Betrieben wie Warenhäusern seien Minijobber vielfach mit
anderen Aufgaben beauftragt worden, sagte Petra Ringer von Verdi.
Manche seien auch in den Lebensmittelhandel gewechselt. «Da wurden
händeringend Menschen gebraucht.» Wie es in den vielen kleinen
Fachgeschäften aussah, konnte niemand so recht sagen. «Aber es wird
Probleme gegeben haben», so Ringer.
Arbeitsrechtler Thüsing rechnet nicht damit, dass Minijobber, die bei
angeordneten Betriebsschließungen ihr Entgelt erhielten, es nun
zurückzahlen müssen. «Es wird nicht zu Rückzahlungsforderungen
kommen. In den meisten Verträge gibt es auch Ausschlussfristen.»
Minijobber sind Arbeitnehmer mit höchstens 450 Euro monatlichem
Arbeitsentgelt oder einem Arbeitseinsatz von maximal 70 Tagen im
Jahr. Sie zahlen keine Beiträge zu den Sozialversicherungen.
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.