Berufsorientierung mit Hindernissen - Pandemie erschwert Praktika Von Christine Schultze und Andreas Arnold , dpa
«Was willst Du denn mal werden?» - Viele Jugendliche brauchen erst
einmal Praxiserfahrung, um sich für einen Beruf entscheiden zu
können. Doch die ist in Corona-Zeiten nicht so leicht zu bekommen.
Wiesbaden/Hanau (dpa/lhe) - Bei einem Praktikum in den Wunschberuf
hineinschnuppern und Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen -
in Corona-Zeiten gibt es dafür teils hohe Hürden. Die Betriebe müssen
Infektionsrisiken für ihre Mitarbeiter minimieren und sind teils
zurückhaltender bei der Vergabe von Plätzen. «Bei Praktika geht es
darum, über die Schulter zu schauen und mitzumachen. Dabei können Sie
nur schwer großen Abstand halten, wenn Sie das gut betreuen möchten»,
erklärt Benedikt Porzelt vom Hessischen Industrie- und
Handelskammertag (HIHK). Dem Landeselternbeirat von Hessen (LEBH)
bereitet die Entwicklung Sorgen. Schon bald das dritte Jahr in Folge
sei die berufliche Orientierung für viele Schüler durch die Pandemie
erschwert, sagt der LEBH-Vorsitzende Volkmar Heitmann.
Dabei kann die Bedeutung von Praktika auch aus Sicht des
HIHK-Experten nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie seien «der
zentrale Baustein für die erfolgreiche Vorbereitung auf den
Berufsstart», so Porzelt. Die Jugendlichen gewännen erste Einblicke
in die Arbeitswelt und sammelten wertvolle Erfahrungen für ihre
Berufswahl. Viele merkten erst durch eigenes Ausprobieren und Erleben
des Arbeitsumfeldes, ob ihnen eine Tätigkeit wirklich liegt. Die
Unternehmen wiederum könnten für ihre Ausbildungsplätze werben und
«im besten Fall junge Nachwuchstalente von sich überzeugen».
Falls Praktika aufgrund der Rahmenbedingungen vor Ort hingegen nicht
zu realisieren seien, rate man deshalb den Betrieben zu
Alternativangeboten wie virtuellen Betriebsbesuchen «to go» oder
Online-Einsätzen sogenannter Ausbildungsbotschafter. «Die digitalen
Angebote können Erfahrungen vor Ort nicht ersetzen, sorgen aber
dafür, dass berufliche Orientierung an Schulen nicht komplett
ausfällt», so Porzelt.
Auch der Hanauer Technologiekonzern Heraeus setzt derzeit bei den
Schülerpraktika auf ein einwöchiges «interaktives Praktikum» in den
Schwerpunkten Chemie, Mechatronik und kaufmännisch/IT. Schüler ab 14
Jahren können sich dafür am ersten Tag eine Tüte mit Materialien,
Informationen und Aufgabenblättern abholen. Diese Aufgaben werden zu
Hause durchgeführt, dokumentiert und protokolliert und anschließend
online mit Lernbegleitern oder Betreuungs-Auszubildenden besprochen.
Online können die Absolventen auch an einigen Aufgaben der
Auszubildenden teilnehmen und mit den Lernbegleitern sprechen.
Außerdem gibt es Bewerbungstipps, am Ende ein Feedbackgespräch sowie
eine Praktikumsbescheinigung mit Bewertung.
«Derzeit können wir pro Woche und pro Berufsfeld zwei bis drei
Praktikanten auf diese Weise betreuen. Das ist nur ein bisschen
weniger als zu «normalen» Zeiten, wenn alle Praktikanten in Präsenz
da sind», erläutert Karin Saar, Leiterin der Berufsausbildung bei
Heraeus. Während des ersten Lockdowns habe man zeitweise gar keine
Praktika anbieten können, weil alle Azubis und das Team im Mobilen
Arbeiten gewesen seien. «Dadurch kamen wir auf die Idee des
Interaktiven Praktikums.» Weil es nur einwöchig sei, werde es
allerdings von vielen Schulen nicht anerkannt - üblich sind zwei
Wochen. Die Absolventen müssten also entweder zwei Themenfelder
hintereinander besuchen oder leider verzichten.
Darüber hinaus gebe es die Möglichkeit, dass Heraeus-Mitarbeitende
selbst in ihren Bereichen Praktikumsplätze organisieren. «Wenn die
verantwortlichen Führungskräfte dem zustimmen und ein Einblick ins
Berufsleben dadurch ermöglicht wird, stimmen wir zu und
administrieren diese Praktika. Ist aber immer abhängig von den
Gegebenheiten vor Ort, der aktuellen Corona-Lage und der Zustimmung
aller Beteiligten», erklärte Saar.
Aus Sicht von Heitmann sind virtuelle Praktika, die beispielsweise
auch die Deutsche Bahn anbietet, zwar besser als nichts - doch hänge
der Nutzen sehr von der Branche ab. Gerade handwerkliche oder soziale
Berufe ließen sich schwerlich am Bildschirm erleben, hier sollten die
jungen Leute die Chance bekommen, selbst mit Werkzeug umzugehen, sich
im Team über eine Aufgabe abzustimmen oder etwa mit Kita-Kindern oder
Pflegeheimbewohnern in Kontakt zu bekommen, wenn sie sich für die
Arbeit in einer solchen Einrichtung interessieren. Eine zeitliche
Verschiebung der Praktika könne deshalb sinnvoll sein.
Positiv sieht Heitmann, dass die hessischen Schulen innerhalb der
einzelnen Regionen ihre Praktikumszeiten abgestimmt und zeitlich
gestaffelt haben, um für Entzerrung zu sorgen. Gerade Schüler, die
während der infektionsträchtigen Wintermonate Praktika absolvieren
sollen, dürften aber Schwierigkeiten bekommen. Falls bereits
zugesagte Praktika coronabedingt von den Betrieben abgesagt werden,
dürfe das nicht zu Nachteilen für die Schüler führen, diese
benötigten dann vor allem Unterstützung.
Mit den Pandemie-Bedingungen müssen derweil auch die auf Praktika
angewiesenen Studierenden zurechtkommen. So etwa im Studiengang
Soziale Arbeit an der Hochschule Fulda: Das 5. Semester sei hier für
das Praktikum vorgesehen, also jeweils ein Wintersemester, was in
Corona-Zeiten die schlechtere Ausgangsbasis ist, wie es von der
Hochschule heißt. Dennoch verzeichne der Fachbereich keinen Wegfall
an Praktikumsangeboten. Generell liefen Praktika insgesamt gut
weiter, auch wenn es hier und da zu Verschiebungen komme und der ein
oder andere Studierende auch Schwierigkeiten habe, einen Platz zu
finden. «Unsere Praktikant*innen haben in der Regel schon zwei Jahre
studiert und bringen daher eine Menge Fachwissen mit», erklärte eine
Sprecherin der Hochschule.
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