Das sagen Betroffene nach zwei Jahren Corona-Pandemie Von den dpa-Korrespondenten
Die Sehnsucht nach Treffen mit Freunden, die Trauer um den Ehemann,
die Sorge um den eigenen Betrieb: Neun Menschen aus Niedersachsen und
Bremen berichten über ihre Erfahrungen aus zwei Jahren Pandemie.
Hannover (dpa/lni) - Ob Schülerin oder Hotelier, Intensivpfleger oder
Ladeninhaber: Es gibt kaum Menschen, deren Leben das Coronavirus in
den vergangenen zwei Jahren nicht auf den Kopf gestellt hat. Neun
Menschen aus Niedersachsen und Bremen erzählen.
GRETA HARLING (17), SCHÜLERIN: «Ich habe es vermisst, mich im
Unterricht zu langweilen oder meine Freunde in der Schule zu sehen.
Der Alltag fehlte einfach», sagt Greta Harling. Die 17-Jährige
besucht die 11. Klasse des Schiller-Gymnasiums in Hannover. Vor allem
die zweiten Schulschließungen Anfang 2021 beschreibt sie als schwere
Zeit für sie und ihre Mitschüler. «Der erste Lockdown war noch ganz
in Ordnung, beim zweiten Mal war dann die Luft raus.»
Für den Unterricht von zu Hause fehlte Harling die Motivation -
sofern wegen gelegentlich streikender Technik überhaupt unterrichtet
wurde. Nach Streit mit den Eltern vermisste sie das Gespräch mit den
Freunden. «Zum Glück hatte ich einen Bruder, mit dem ich sprechen
konnte. Viele meiner Mitschüler haben seit dieser Zeit mit mentalen
Problemen zu kämpfen», sagt Harling. Immerhin: Es habe einige
engagierte Lehrkräfte gegeben, die die Schülerinnen und Schüler bei
schulischen und privaten Problemen unterstützt hätten.
Die aktuellen Einschränkungen in der Schule - Masken- und Testpflicht
- sind für die Schülerin kein großes Problem. Statt Lockerungen im
Schulbetrieb wünscht sie sich wieder mehr Freiheiten bei der
Freizeitgestaltung. «Viele scheinen zu vergessen, dass wir in erster
Linie Jugendliche und nicht Schüler sind.» Neben dem Schulstoff habe
sie vor allem Lebenszeit und prägende Momente verpasst - Ausflüge mit
Freunden oder die erste Geburtstagsfeier mit Alkohol.
ANGELIKA KLOMP (69), WITWE: Mehr als 7400 Menschen sind seit Beginn
der Pandemie in Niedersachsen an oder mit Corona gestorben. Viele
Menschen infizierten sich am Arbeitsplatz. So auch Wolfgang Klomp,
Hausarzt mit eigener Praxis in Salzgitter. Am 29. Oktober 2020 hatte
der 65-Jährige erste Symptome, vom 11. November an wurde er beatmet,
am 4. Dezember starb er in der Medizinischen Hochschule Hannover.
«Mein Mann war vorher topfit», sagt seine Witwe Angelika Klomp. Sie
ging an die Öffentlichkeit, um zu zeigen, dass Covid-19 keine Grippe
ist, die nur für alte oder vorerkrankte Menschen gefährlich ist.
Wenige Wochen nach Wolfgang Klomps Tod wurden die ersten Menschen in
Niedersachsen gegen das Coronavirus geimpft. Dass es immer noch keine
Impfpflicht gibt, kann die Witwe - selbst gelernte Krankenschwester -
nicht verstehen. Sie vermisst ihren Mann schmerzlich. «Wir hatten
fantastische Jahrzehnte zusammen», sagt die 69-Jährige. Wie das Virus
ihnen Mann tötete, schilderte sie Anfang 2021 in einem Brief an
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Daraufhin wurde sie zu einer
Gedenkfeier für in der Pandemie Verstorbene nach Berlin eingeladen.
«Da habe ich mich unglaublich gefreut und war ganz stolz, dass ich
meinem Mann auf diese Weise die Ehre erweisen kann», sagt Angelika
Klomp. Kurze Zeit nach der Zusage kam jedoch die Absage, weil die
Feier im April 2021 wegen steigender Infektionszahlen in kleinem
Kreis stattfinden musste. «Da war ich sehr enttäuscht, aber immerhin
wurde ein Bild meines Mannes im Fernsehen gezeigt.»
CHRISTINE SCHMID (59), PASTORIN: Wegen der zunehmenden Spannungen bei
den Montagsdemos gegen die Corona-Politik hat die Lüneburger Pastorin
Christine Schmid mit Kollegen ein Dialogformat unter dem Motto
«Haltung zeigen in der Corona-Pandemie» geschaffen. Im Zwiegespräch
tauschen Teilnehmer am Rande der Demos ihre Ansichten aus. Dabei gehe
es nicht um den Austausch wissenschaftlicher Argumente, sondern um
Verständnis füreinander. Man wolle den Einzelnen aus der Gruppe lösen
und Begegnungen von Mensch zu Mensch ermöglichen.
Rückblickend auf zwei Jahre Pandemie ist die leitende
Superintendentin relativ zufrieden. «Wir sind verhältnismäßig gut
durch die Pandemie gekommen, es wurde versucht den besten Weg zu
finden», sagt sie. Man hätte aber noch mehr miteinander sprechen
müssen: «Wir sind ganz schön angestrengt und haben Federn gelassen.
»
LENARD BORNEMANN (24), INTENSIVPFLEGER: Wie sich die Betten auf den
Intensivstationen im Auf und Ab der Corona-Wellen füllten und dann
wieder leerten, erlebte Lenard Bornemann hautnah mit. Der 24-Jährige
ist Pfleger auf der Intensivstation der Universitätsmedizin
Göttingen, auf der es auch einen Corona-Bereich gibt. Am schlimmsten
sei für ihn die Masse an Misserfolgen und hoffnungslosen Fällen
gewesen - die schwer kranken Corona-Patienten, die er nicht habe
retten können. «Das hat auf Dauer auch privat was mit einem gemacht»,
sagt Bornemann. In seiner Freizeit habe er viel Zeit gebraucht, um
das Erlebte zu verarbeiten. Oft träumte er von der Arbeit.
Außerdem sei es schmerzlich gewesen, dass einige geschätzte
Kolleginnen und Kollegen aus Erschöpfung und Frust gegangen seien.
Viele Bedingungen, allen voran die Bezahlung, seien inakzeptabel und
enttäuschend. Der Beruf müsse attraktiver gemacht werden, um zu
verhindern, dass Pflegekräfte reihenweise das Handtuch schmeißen.
Aber: Trotz der emotionalen und physischen Belastung überwiegt für
Bornemann ein positives Gefühl. Der Zusammenhalt im Team sei für ihn
das Schönste gewesen. «Das hat letztendlich viele von uns
zusammengeschweißt.» Da er oft ins kalte Wasser geschmissen worden
sei, habe er zudem wahnsinnig viel Sicherheit in seiner Arbeit
dazugewonnen und neues Können erlangt, sagt Bornemann.
Derzeit beruhige sich die Lage im Corona-Bereich der Göttinger
Intensivstation. Seit einigen Wochen betreue er wieder häufiger
Nicht-Corona-Patienten, das sei schön, sagt der 24-Jährige. Er
wünscht sich ein Stück Normalität zurück. So richtig traut er der
Ruhe jedoch noch nicht. «Immer wenn man gedacht hat, jetzt entspannt
sich die Sache, wurden wir ja immer eines Besseren belehrt.»
FABIO IUS (41), CHIRURG: Es war eine positive Nachricht in der
Pandemie, an die sich der Chirurg Fabio Ius erinnert: Im Frühjahr
2021 retteten Ärzte der Medizinischen Hochschule Hannover eine 34
Jahre alte schwangere Covid-Patientin per Lungentransplantation - und
zuvor per Kaiserschnitt ihr Baby. Der Zustand der Frau hatte sich
rapide verschlechtert, und sie musste künstlich beatmet werden. Die
Mediziner entschieden sich daher für einen Kaiserschnitt in der 34.
Schwangerschaftswoche. Wenige Tage, nachdem ihr Baby gesund zur Welt
gekommen war, musste die Frau dann mit einer künstlichen Lunge
beatmet werden. Gemeinsam mit der jungen Mutter, die wach gehalten
werden konnte, beschlossen die Ärzte die Transplantation. Zu diesem
Zeitpunkt war die Frau nicht mehr mit Corona infiziert. Schon wenige
Tage nach der OP konnte sie laut MHH wieder selbstständig atmen.
Die Frau sei weiterhin bei seinen Kollegen in der Pneumologie in
Behandlung, sagt Chirurg Ius, gleichzeitig Leiter des
MHH-Transplantationsprogramms, heute. Sie benötige noch Unterstützung
im Alltag, etwa bei der Einnahme der Medikamente. Seines Wissens sei
das Kind wohlauf. Bundesweit haben Ius zufolge bisher acht Patienten
nach einer Covid-19-Infektion eine neue Lunge erhalten - davon vier
an der MHH.
OLAF STAMSEN (56), HOTELIER: Olaf Stamsen bezeichnet die Corona-Jahre
als «ein Wechselbad der Gefühle». Der 56-Jährige betreibt drei klei
ne
Hotels am Südstrand in Wilhelmshaven. Die Gastronomie und die
Hotellerie seien durch die Lockdowns zeitweise einem Berufsverbot
ausgesetzt gewesen, sagt er. Die tägliche Existenzangst habe ihm
schlaflose Nächte bereitet - verbunden mit der andauernden Frage:
«Wann kann ich endlich wieder normal meinen Job machen?»
Auf der anderen Seite habe die Pandemie aber auch das Miteinander
unter Kollegen und Belegschaft gestärkt. «Als Team gehen wir total
stark aus der Krise.» Auf einmal sei Zeit gewesen für Gespräche, die
es vorher nie gab. Auch in der Branche sei nun eine Veränderung zu
spüren: «Jeder hat seit der Pandemie ein Ohr für den anderen, ohne
Konkurrenzdenken. Wir sind alle harmonische Mitbewerber geworden.»
Für den Nordseetourismus habe die Pandemie zudem die Chance geboten,
sich ein besseres Image zu erarbeiten, sagt Stamsen. Viele Reisende
habe es zum ersten Mal an die Nordsee gezogen. Nun sei die Hoffnung
in der Branche groß, dass Gäste die Lust am Deutschland-Urlaub
behalten und wiederkommen. Aber: «Wir haben schon Angst, dass diese
Hoffnungen durch Mini-Restriktionen zerstört werden», sagt Stamsen.
Denn mehrere Länder in Europa stellten das Ende der Maskenpflicht in
Aussicht oder hoben diese bereits auf. Das könne für so manchen Gast
zum K.o.-Kriterium bei der Wahl des Urlaubsortes werden. «Im Moment
ist der Wunsch nach Freiheit größer als nach einer bestimmten
Region», sagt Stamsen. «Unsere Reiseregeln liefern gerade die
Argumente für Reisen in andere Länder.»
Die Krisenkommunikation der Landesregierung mit immer neuen
Verordnungen beschreibt Stamsen zudem als «enorme psychische
Belastung» für alle Hotel- und Gastrobetreiber. «Ich bin manchmal
nachts aufgewacht und dachte, ich muss nun ins Internet, weil die
neue Landesverordnung draußen ist.»
DETLEF BOSSE (59), LADENINHABER: Im Osnabrücker Westen betreibt
Detlef Bosse einen kleinen Hifi-Laden. Plattenspieler, CD-Spieler,
Verstärker und Lautsprecherboxen bietet er an. Eröffnet hatte er das
Geschäft vier Monate vor dem ersten Lockdown, im November 2019, und
weitete damit sein Unternehmen vom münsterländischen Mettingen auf
die benachbarte niedersächsische Großstadt Osnabrück aus.
Mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 musste er den gerade frisch
eröffneten Laden in Osnabrück erst einmal schließen. Sein Geschäft
in
Mettingen, wo er auch Radio- und Fernsehreparaturen anbietet, durfte
zumindest für den Service offen bleiben. «Die Verkaufsregale mit den
Fernsehgeräten musste ich mit Flatterband abriegeln - der Verkauf war
verboten», erzählt er. Und er ärgert sich: Fünf Steinwürfe von ih
m
entfernt gebe es einen großen Verbrauchermarkt, der «lustig weiter»
Fernseher verkaufen durfte. «Die Großen haben Anwälte und nutzen alle
Lücken, bei uns Kleinen sagt man: Seht zu, wo ihr bleibt.»
Er habe in dieser Zeit Existenzängste gehabt, sagt Bosse
rückblickend. «Hier waren die Mietverträge unterzeichnet, die Ware
war eingekauft - das kostet jeden Monat Geld.» Letztlich habe er sein
Unternehmen, in dem noch eine Vollzeit- und eine Teilzeitkraft
arbeiten, so gerade eben über Wasser halten können. Er habe zwar
finanzielle Hilfen bekommen, das sei zum Teil aber sehr bürokratisch
abgelaufen. Die letzten Zuwendungen habe er erst vor Kurzem erhalten,
nach 18 Wochen Wartezeit: «Erklären Sie mal der Bank, dass Sie 18
Wochen auf ihr Geld warten.» Er habe an seine Rücklagen gemusst, um
flüssig zu bleiben. Viele Kunden seien außerdem ins Internet
abgewandert. «Ich habe ein bisschen Angst davor, dass wir die
Kundschaft nicht wiederbekommen«, sagt Bosse.
HANNAH REEMTSMA (21), STUDENTIN: Hannah Reemtsma studiert im dritten
Semester Psychologie an der Universität Lüneburg - und hat sich in
der Pandemie als «sehr privilegiert» wahrgenommen. Denn im Oktober
2020 sei sie in eine Lüneburger WG gezogen, daher sei es ihr nicht
schlecht gegangen, obwohl die Kontaktbeschränkungen auch sie
getroffen hätten. Aber das Leben in der Wohngemeinschaft mit unter
anderem drei «Erstis», also Studienanfängern, dazu erste Kontakte,
das habe soziale Isolation verhindert: «Das hat mir sehr geholfen»,
erzählt die 21-Jährige. Auch sei der Campus ganz in der Nähe, dort
hätten die Studierenden in kleinen Gruppen zusammen gesessen oder
Fußball gespielt - sie sei «nie so ganz einsam» gewesen.
Dass ihr Studium mit Online-Kursen so ganz anders begann als das für
die meisten früher der Fall war, das fiel ihr erst nicht auf. Denn so
habe sie das Studium kennengelernt - alles online. Erst im Nachhinein
sei ihr aufgefallen, dass sie in der Zeit so gut wie keine Pausen
gemacht habe und von morgens bis abends am Schreibtisch geblieben
sei. In Präsenz sei das anders, schon wegen der Wege zwischen den
Veranstaltungen - und dann sei es auch leichter, andere
kennenzulernen. Dennoch fand sie die Online-Lehre gut, sie habe Glück
mit den Professoren gehabt, die «nahbar» und immer erreichbar gewesen
seien. Das habe sie bei Freunden an anderen Unis anders erlebt.
Hilfreich fand Reemtsma auch die Angebote des Allgemeinen
Studierendenausschusses (Asta). Das ging bis zu psychologischer
Unterstützung, der Bedarf daran «steigt enorm in dieser Zeit», findet
die 21-Jährige. So ganz spurlos sei die Zeit wahrscheinlich auch an
ihr nicht vorübergegangen, «auch wenn es mir gut ging». Die
Corona-Maßnahmen nennt sie «leider notwendig», auch wenn der Bund an
der Kommunikation der Maßnahmen noch arbeiten müsse. Es sei aber auch
schwer: Was soll man machen, wenn man selbst manche Menschen, die
einem nahe stehen, nicht mehr erreichen kann?
LEA SCHLÜTER (26), SEEMANNSMISSION: Corona ließ in der Seestadt
Bremerhaven manchen Seemann stranden. Zuletzt fünf Seeleute aus dem
pazifischen Inselstaat Kiribati. Seit Ende Oktober 2021 verbrachten
sie Monate im Seemannshotel «Portside». Ihre Tage waren geprägt von
Warten, Billard-Spielen, Singen und Videotelefonaten mit der Familie.
Vor der Zeit in Bremerhaven waren sie zehn Monate auf See. Die
Corona-Bestimmungen Kiribatis, das bis vor kurzem als coronafrei
galt, sind strikt, zwei Abflugtermine wurden gecancelt. «Am 12.
Januar konnte sie endlich nach Hamburg reisen», erzählt Lea Schlüter
von der Seemannsmission. Dort mussten die Seeleute wegen positiver
Corona-Tests aber zunächst in Quarantäne. Erst am 11. Februar konnten
sie fliegen. «Und sie sind immer noch nicht in ihrer Heimat, den
kiribatischen Inseln, sondern müssen derzeit auf den Fidschi-Inseln
ausharren», sagt Schlüter. «Sie hoffen auf einen Flug im April.» De
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Flugverkehr nach Kiribati ist laut Auswärtigem Amt ausgesetzt.
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