Therapie für «Normalgestörte»: Neues Buch von Stefanie Stahl Von Birgit Reichert und Harald Tittel , dpa
Die Frage, wie der Mensch «tickt», hat Stefanie Stahl schon lange
umgetrieben. Jetzt bringt die Psychologin und Bestsellerautorin dazu
ein Buch heraus. Und lüftet das ein oder andere Geheimnis.
Trier (dpa) - Bei Stefanie Stahl kann jeder mit auf die Couch. Über
Podcasts, Youtube und Blog gibt die Psychologin Antworten zu Fragen
rund um Beziehungen, Selbstzweifeln und Ängsten - und zeigt
Lösungswege für konkrete Probleme auf. Vor allem aber erreicht die
Bestsellerautorin Millionen Leser mit ihren Büchern. Ihr Ansinnen:
Psychische Zusammenhänge so zu erklären, dass Menschen sich selbst
verstehen lernen und im Leben besser klarkommen. «Das ist Therapie
zum Selbermachen für alle Normalgestörten», sagt sie in den Räumen
ihrer Praxis für Psychotherapie in Trier.
Nach dem Super-Bestseller «Das Kind in dir muss Heimat finden» (2015)
und weiteren Büchern legt die gebürtige Hamburgerin jetzt nach. «Ich
bin Psychologin aus Leidenschaft. Und was mich immer angetrieben hat,
ist die große Frage: Wie tickt der Mensch? Wie ist der Bauplan der
Psyche?» Zwei Jahre lang hat sie an der Frage gearbeitet - nun
erscheint dazu ihr neues Buch «Wer wir sind» am 13. Oktober (Kailash
Verlag).
«Es ist wirklich auch was Neues», sagt die Autorin. «Weil ich mal
erkläre, wie wir psychisch konstruiert sind. Und zwar weltweit.» Klar
gebe es Individualität, aber «das psychische Programm hinter der
Benutzerfläche» - das sei letztlich bei allen gleich - und gar nicht
so kompliziert. Letztlich drehe sich alles, auch bei 99 Prozent aller
Konflikte, um «unsere vier psychischen Grundbedürfnisse»: der Wunsch
nach Bindung und Zugehörigkeit, der Wunsch nach Autonomie und
Kontrolle, der Wunsch nach Selbstwert und der Wunsch, möglichst gute
Gefühle zu erlangen und schlechte zu vermeiden.
«Letztlich ist fast jedes psychische Problem auch ein
Beziehungsproblem und lässt sich auf dem Hintergrund unserer vier
psychischen Grundbedürfnisse analysieren», sagt sie.
Wie sie sich ihren Erfolg erklärt? «Ich denke es liegt daran, dass
meine Bücher sehr hilfreich sind. Und das ist eigentlich das einzige
Geheimnis», sagt die 58-Jährige. Als sie ihr Buch «Jein» über
Bindungsängste herausbrachte, hätten sich viele Betroffene gemeldet.
«Für die war das die totale Offenbarung. Die sagten dann: Genau so
ist es. Jetzt weiß ich, was da abläuft in meiner Beziehung.» Auch das
Buch über das «innere Kind» habe vielen geholfen.
Als Psychotherapeut finde er die Bücher von Stahl «hilfreich und
empfehlenswert», sagt Benedikt Waldherr, der auch Vorsitzender des
Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten ist. «In meiner Praxis
arbeite ich gerne mit diesen Büchern und gebe sie Patienten sogar
mit.» Stahl habe darin Erkenntnisse populärwissenschaftlich sehr gut
aufgearbeitet.
Psychotherapie über das Internet dagegen - ob als Podcasts, Apps,
Youtube oder über andere Kanäle - sehe er als Verbandsvorsitzender
generell eher kritisch. «Ich würde sagen, Psychotherapie muss
unbedingt im persönlichen Kontakt stattfinden», sagte Waldherr. Nur
so könne man sicher sein, dass Gesagtes nicht falsch verstanden werde
und keinen Schaden anrichte.
Stahls Sachbücher sind unterdessen bereits in mehr als 30 Sprachen
übersetzt worden. «Damit hätte ich früher nie gerechnet.» Auch f
ür
ihr neues Buch hätten Verlage in China, Korea und Polen schon die
Rechte gekauft, bevor es überhaupt erschienen ist. «In Polen gehe ich
richtig ab. Das ist das erfolgreichste Ausland für meine Bücher.»
Mit Psychotherapie in ihrer Praxis hat sie Anfang dieses Jahres
aufgehört. «Das bindet mich zeitlich zu viel», sagt sie. «Ich habe
aber immer noch Psychotherapie-Sitzungen etwa über den «Stahl aber
herzlich»-Podcast.» 30 Jahre lang hat sie als Psychotherapeutin
gearbeitet - in Trier, wohin sie es Mitte der 1980er Jahre zum
Studium verschlagen hatte. «Erst wollte ich überhaupt nicht hier her.
Dann habe ich mich voll eingelassen und bin inzwischen so etwas von
wahlbeheimatet. Ich liebe die Mosel, den Hunsrück und die Eifel.»
Angefangen zu schreiben hat Stahl vor rund 20 Jahren. «Das erste Buch
2005 ist aus einer spontanen Laune entstanden», erzählt sie. Anlass
sei der Streit mit ihrem Ex gewesen. «Ich dachte damals, das liegt
daran, dass er sehr introvertiert ist und ich bin sehr
extrovertiert.» Sie beschäftigte sich mit Charaktertypen und auch
damit, wer zu wem passt. Auch bei ihr persönlich habe die Suche nach
dem Richtigen ein bisschen länger gedauert: Vor zehn Jahren aber habe
es dann Klick gemacht.
Dass heute mehr als früher über Psyche und Probleme geredet wird,
findet Stahl gut. «Die Zahl der psychischen Erkrankungen ist nicht
gestiegen.» Die Leute trauten sich nur eher zum Psychologen. «Früher
war das tabuisiert.» Auch generell sei das Problembewusstsein größer
geworden. «Es gibt eine viel größere Offenheit, darüber zu sprechen
,
sich selbst zu reflektieren.» Viele, die sie anspreche, hätten auch
«keine krankheitswertige psychische Störung», sondern ein normales
Alltagsproblem, das sie «eben furchtbar» belaste.
Heute gebe es aber weniger äußeren Halt in der Gesellschaft. Weniger
Sicherheiten, dafür mehr Druck und: «Wir müssen ständig etwas
entscheiden». Das sei für manche eben zu viel Stress. «Und wenn da
der innere Halt fehlt, dann können daraus Ängste und Depressionen
entstehen.»
Mit Stress hat Stahl kein Problem. «Ich bin sehr freizeitorientiert
und das Gegenteil von Workaholic», sagt sie. Sie schlafe immer gut
und gehe viel wandern vor allem in der Eifel, wo sie ein Waldhaus
hat. Zu den Touren nehme sie am liebsten eine weiße Schäferhündin aus
der Nachbarschaft mit, die ihr ans Herz gewachsen sei. Eigentlich
habe sie nie eine emotionale Bindung zu einem Hund gewollt. «Jetzt
vermisse ich Ripley aber ständig, wenn sie nicht bei mir ist.»
Auch wenn Stahl ihre Psyche und Lösungen für Probleme bestens kennt -
so ganz ohne eigene Belastung geht es auch bei ihr nicht. «Ich habe
Probleme mit dem Älterwerden und dem Tod. Das finde ich total doof,
da kann ich reflektieren wie ich will. Am liebsten würde ich mich
einfrieren lassen, dass ich nicht mehr älter werde, dass ich so
bleibe wie ich bin.» Aber natürlich wisse sie: «Die einzige Antwort
auf das Problem ist, dass man lernen muss, es zu akzeptieren».
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.