Eine Pandemie ohne Ende: Tausende Tote durch Antibiotikaresistenzen

Antibiotika gegen Viren? Nur die Hälfte der Europäer weiß laut eine
r
Umfrage, dass das nichts bringt. Doch der unnötige Gebrauch von
Antibiotika kann zu Resistenzen führen - mit tödlichen Folgen.

Berlin/Stockholm/Brüssel (dpa) - Jedes Jahr erkranken nach Angaben
des Robert Koch-Instituts (RKI) etwa 50 000 Menschen in Deutschland
an antibiotikaresistenten Erregern. «Davon sind circa zwei Drittel im
Krankenhaus erworbene Erkrankungen», sagte Tim Eckmanns, Leiter der
Surveillance von Antibiotikaresistenz beim RKI, am Donnerstag. Etwa
2500 vom RKI erfasste Todesfälle gebe es jedes Jahr durch
multiresistente Erreger. Das sind solche, die gegen mehrere
Antibiotika gleichzeitig resistent sind.

Deutschland steht mit diesem Problem nicht alleine da: Im
Europäischen Wirtschaftsraum sterben nach Schätzungen der
EU-Gesundheitsbehörde ECDC jährlich mehr als 35 000 Menschen aufgrund

von Antibiotikaresistenzen. Die gesundheitlichen Folgen seien
vergleichbar mit denen von Grippe, Tuberkulose und HIV/Aids zusammen,
teilte die in Stockholm ansässige Behörde in einem Bericht mit.
Zwischen den Staaten gibt es demnach teils deutliche Unterschiede,
generell betrachtet liegen die gemeldeten Resistenzwerte im Norden
des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) am niedrigsten und in Ländern

im Süden und Osten am höchsten.

Die geschätzte Zahl der Sterbefälle bezieht sich auf die Jahre 2016
bis 2020, sie zeigt eine Zunahme verglichen mit früheren Schätzungen.
«Wir sehen besorgniserregende Anstiege bei der Zahl der Todesfälle,
die auf Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien
zurückzuführen sind», erklärte ECDC-Direktorin Andrea Ammon im
Vorfeld des European Antibiotic Awareness Day am Freitag. Es müsse
mehr dafür getan werden, dass Antibiotika nicht unnötig zum Einsatz
kommen.

Gerade in Krankenhäusern zirkulieren oft Bakterien, gegen die kaum
ein Antibiotikum mehr wirkt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
sieht in wachsenden Resistenzen eine große Gefahr. Von
Antibiotika-Resistenz sprechen Experten, wenn Patienten auf ein
Antibiotikum nicht reagieren, das heißt, wenn die krankmachenden
Bakterien durch das Antibiotikum nicht vernichtet werden.

Der Marburger Bund forderte mehr Aufklärung zum richtigen Einsatz von
Antibiotika. «Aufklärung und konsequente Einhaltung der
Rezeptpflicht, die es aus guten Gründen gibt, müssen in ganz Europa
gestärkt werden», sagte Vorsitzende Susanne Johna laut Mitteilung.
Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium wies auf die
korrekte Einnahme und Wirkung von Antibiotika hin. «Gegen Viren, die
mehr als 90 Prozent der Erkältungen auslösen, sind sie machtlos»,
erklärt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Wer ein
Antibiotikum erhalte, sollte es exakt nach Verschreibung einnehmen.

Doch nicht bei allen scheint dieses Wissen schon angekommen. Nur die
Hälfte der Europäer weiß einer Umfrage zufolge, dass Antibiotika
keine Viren töten sondern nur gegen bakterielle Infektionen wirken.
Laut einer Eurobarometer-Befragung glauben 39 Prozent der Europäer,
dass Antibiotika gegen Viren helfen und 11 Prozent der Bürgerinnen
und Bürger gaben an, keine Antwort auf diese Frage zu kennen.

Gleichzeitig nutzten 2021 nur noch 23 Prozent der Europäer
Antibiotika - der niedrigste Wert seit 2009. Deutschland gehörte mit
15 Prozent zu den Ländern mit einer besonders niedrigen Rate.

Das machte sich auch während der Pandemie bezahlt. Anders als
befürchtet habe die Corona-Pandemie die Situation in Deutschland
nicht verschlechtert, sagte Eckmanns. «Das ist in anderen Ländern
völlig anders und da sehen wir auch einen deutlichen Anstieg von
Resistenzen, zum Beispiel auch in den USA.» Das sei auf ein gutes
klinisches Management in der Pandemie in Deutschland zurückzuführen.

Generell stehe Deutschland zurzeit gut da. Bis auf zwei resistente
Erreger - die sogenannten VRE und Pseudomonas - «steigt im Moment gar
nichts in Deutschland an», sagte Eckmanns. Dafür sei aber eine
«Daueranstrengung» nötig. Neben Hygienemaßnahmen und dem umsichtige
n
Einsatz von Antibiotika brauche es in Zukunft auch neue Medikamente.
Das «Problem Antibiotikaresistenz» werde man nicht irgendwann los,
sagte Eckmanns. «Das ist nicht eine Pandemie, die irgendwann enden
wird.»