Holetschek schlägt Maßnahmen gegen überfüllte Kinderkliniken vor Von Jacqueline Melcher, Elke Richter und Marco Hadem, dpa

Die Kinderkliniken und Praxen im Land kämpfen wegen Infektionswellen
mit einer Flut an jungen Patienten. Gesundheitsminister Holetschek
sieht das Problem beim Personalmangel - und schlägt Maßnahmen vor.

München (dpa/lby) - Zur Entlastung der überfüllten Kinderkliniken in

Bayern hat Gesundheitsminister Klaus Holetschek sich für Abweichungen
von der Personaluntergrenze und einen Abbau von Bürokratie
ausgesprochen. Die Kliniken sollten die zur Verfügung stehenden
Kapazitäten bestmöglich nutzen und alle vertretbaren Maßnahmen zur
Besserung der Lage ergreifen, sagte der CSU-Politiker am Donnerstag
nach einer Krisensitzung mit Medizinern und Infektiologen in München.

Grund für die überfüllten Kliniken sind schwere Atemwegserkrankungen,

an denen derzeit extrem viele Kinder leiden. Die jungen Patienten
haben sich meist mit dem RS-Virus angesteckt, der vor allem für
Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann. Auch Influenza und
Lungenentzündung sind häufig. Nach Einschätzung von Medizinern könn
te
die Infektionswelle noch mehrere Wochen andauern - die Kapazitäten in
den Klinken sind bereits jetzt erschöpft.

Im Landtag äußerte die Opposition am Donnerstag teils scharfe Kritik
an der Gesundheitspolitik der Regierung. Die derzeitige Notsituation
treffe auf «strukturelle Defizite, die schon länger bestehen», sagte

die Abgeordnete Ruth Waldmann (SPD). Holetschek wies die Kritik
entschieden zurück: «SPD und Grüne verkennen die Ursachen für die
gegenwärtige enorme Belastungssituation in den Kinderkliniken».
Schuld sei nicht etwa ein Mangel an Finanzierung oder Organisation,
sondern die steigende Anzahl an RSV-Infektionen und der enorme
Personalmangel im Gesundheitsbereich.

«Teilweise kann es sinnvoll sein, vorübergehend auf Pflegepersonal
von Erwachsenenstationen zurückgreifen, damit sich die
Kinderkrankenpflegekräfte auf die jüngeren Patientinnen und Patienten
konzentrieren können», sagte Holetschek. Als «Notnagel» hatten sich

dafür im Landtag auch die Grünen ausgesprochen. «Bevor diese jungen
Patienten nicht versorgt werden, müssen wir auf solche Maßnahmen
zurückgreifen», sagte die Grünen-Abgeordnete Christina Haubrich.

Zudem sagte Holetschek, Schulen und Horte sollten auf die Vorlage von
Attesten für kranke Kinder verzichten. Die Ärzte in den Praxen und
Kliniken müssten sich jetzt um die Versorgung der Kinder kümmern und
nicht um Bürokratie. Weitere denkbare Maßnahmen zur Entlastung seien
die Unterbringung der Kinder auch über Nacht in einer Tagesklinik,
die kritische Überprüfung aller Klinikeinweisungen und letztlich auch
die Rückstellung aufschiebbarer Eingriffe.

«Wir sind an der Belastungsgrenze», sagte Matthias Keller, Leiter der
Kinderklinik Dritter Orden in Passau und Vorsitzender der
süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Die Zimmer
seien oft doppelt belegt, es fehlten zum Teil Monitore, um die Kinder
zu überwachen und Geräte zur Atemunterstützung. «Wir haben Regionen

in Bayern, wo wir schon im Normalzustand auf Kante genäht sind.» Die
Folge: «Manche Patientenzimmer sind wie Bettenlager, da muss man
wirklich über die Betten krabbeln, um zum kranken Kind zu kommen,
weil sich Elternbett an Patientenbett reiht.»

Außerhalb des Freistaates ist die Lage nicht besser. «Von 110
Kinderkliniken hatten zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett
mehr auf der Normalstation frei. Lediglich 83 freie Betten gibt es
generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz
Deutschland - das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als
eines pro Standort», teilte die Deutsche Interdisziplinäre
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) in München mit.

Einen der Hauptgründe für die Infektionswelle sehen die Mediziner in
den Corona-Maßnahmen. Normalerweise steckten sich 90 Prozent aller
Kinder in den ersten beiden Lebensjahren mit dem RS-Virus an. «Das
hat nicht stattgefunden, dann fehlen die Antikörper, deshalb haben
wir jetzt diese ausgeprägte Welle», erläuterte Keller.

Zudem habe die Pandemie «die Infektwellen über das Jahr, die
normalerweise einem gewissen Rhythmus erfolgen, verschoben, so dass
wir seit einem Jahr eine kontinuierliche Infektwelle haben», sagte
Dominik Ewald, Vorsitzender des hiesigen Berufsverbands der Kinder-
und Jugendärzte. Krippen- und Kindergartenkinder seien ebenso wie
Grundschüler einem andauernden Infektstress ausgesetzt, der das
Immunsystem nie richtig zur Ruhe kommen lasse.

Holetschek appellierte an alle Pflegekräfte, die nicht mehr in dem
Beruf arbeiten, in der Krise zu helfen: «Die aktuelle RSV-Welle
trifft die beruflich Pflegenden mit voller Wucht - das gilt
insbesondere für Kinderpflegerinnen und -pfleger! Jede weitere
helfende Hand zählt.» Trotz der schwierigen Lage müsse sich niemand
Sorgen machen, dass kranke Kinder nicht behandelt würden.

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