Neutronenoptik entschlüsselt Rätsel von Reliquien-Anhänger
Ein in Mainz gefundenes Schmuckstück aus dem 12. Jahrhundert zeigt
auf den Außenseiten Christus und Maria. Das Innere zeigt sich erst
nach einer aufwendigen Untersuchung.
Mainz (dpa/lrs) - Ein bei Ausgrabungen in Mainz gefundener Anhänger
aus dem Hochmittelalter enthält fünf kleine Stoffsäckchen mit
Knochensplittern. Dies ergab eine Neutronentomographie an der
Technischen Universität München (TUM), wie das Leibniz-Zentrum für
Archäologie (LEIZA) mitteilte. Anders als Röntgenstrahlen können
Neutronen Metalle durchdringen und dabei organische Substanzen
sichtbar machen. Bei den Knochensplittern handelt es sich sehr
wahrscheinlich um Reliquien von Heiligen, von denen sich der Träger
oder die Trägerin des Schmuckstücks eine heilsame oder schützende
Wirkung versprach.
Restaurator Matthias Heinzel vom LEIZA, dem ehemaligen
Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM), entdeckte bei seinen
Restaurierungsarbeiten in der Aufhängungsöse des Schmuckstücks ein
1,5 Millimeter langes Textilfragment aus Seide. «Dies ist der erste
Nachweis, dass solche Anhänger womöglich an einer Seidenkordel um den
Hals getragen wurden», erklärt er. Der kleine Textilrest blieb über
die Jahrhunderte hinweg erhalten, weil der Anhänger aus Kupfer
gefertigt wurde - «das ist so giftig, dass Mikroorganismen keine
Chance haben, Organisches zu zersetzen», sagt Heinzel.
Gefunden wurde der etwa sechs Zentimeter große und einen Zentimeter
dicke Reliquienanhänger im Oktober 2008 bei Ausgrabungen auf dem
Gelände des barocken Dalberger Hofs im Zentrum von Mainz. Die
Vorderseite zeigt Christus und die Evangelisten Matthäus, Markus,
Lukas und Johannes in vier Halbkreisfeldern. Die ebenfalls kunstvoll
gestaltete Emaille-Arbeit auf der Rückseite zeigt Maria und vier
weibliche Heilige oder vier Tugenden. Die Ausführung verrät, dass der
Anhänger im 12. Jahrhundert in einer Hildesheimer Werkstatt entstand.
«Vermutlich wurde er von einer hochgestellten klerikalen Person
getragen», sagt Heinzel.
Warum das kostbare Stück dann im 14. Jahrhundert in einer Abfallgrube
landete, bleibt ein Rätsel. Nach der Restaurierung ermöglichte es die
Neutronenoptik, den Anhänger zu untersuchen, ohne ihn zu öffnen und
damit zu zerstören. Die in mehreren Schichten erstellten
hochauflösenden Bilder zeigen fünf Reliquienpäckchen. Drei von ihnen
enthalten sieben deutlich erkennbare Knochensplitter. In den beiden
anderen sind sehr kleine Knochenfragmente und kleine Kügelchen, bei
denen es sich um Weihrauch handeln könnte. Eine ergänzende
Untersuchung der chemischen Elemente, eine sogenannte
Prompten-Gamma-Aktivierungsanalyse, wies unter anderem Kalzium,
Wasserstoff und Kalium nach, wie sie für Knochen typisch sind.
Der Anhänger ist von besonderer Bedeutung, da bisher nur drei andere
Reliquiare, die als Phylakterium bezeichnet werden, aus der
Hildesheimer Werkstatt bekannt sind. Ausgestellt ist das Schmuckstück
zurzeit in einer Sonderausstellung des Landesmuseums Mainz mit dem
Titel «Aurea Magontia - Mainz im Mittelalter».
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