Wie Phantombilder dem Verbrechen ein Gesicht geben Von Pascal Eichner und Bernd Weißbrod , dpa

Jüngst war ein Phantombild Schlüssel, um dem Verdächtigen im
mutmaßlichen Mordfall Schwäbisch Hall auf die Spur zu kommen. Die
Bilder sind dabei den echten Menschen oft verblüffend ähnlich.
Baden-Württemberg ist weltweit ganz vorne mit dabei.

Stuttgart (dpa/lsw) - Was früher noch gezeichnet wurde, entsteht
heute mit wenigen Klicks am Computer: Große, grüne Augen, schwarze
Haare, breite Nase - Puzzleteil um Puzzleteil wird ein Gesicht
zusammengesetzt. Phantombilder sind ein wichtiger Teil der
Polizeiarbeit - und das Büro von Rainer Wortmann, Fachkoordinator
Phantombild beim Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg in
Stuttgart, ist voller Gesichter. An den Wänden hängen private
Zeichnungen von Kollegen und Freunden. Doch in den schwarzen Ordnern
verstecken sich die Gesichter von den meist gesuchten Tatverdächtigen
des Landes in den letzten 20 Jahren.

Erst vor wenigen Tagen führte ein Phantombild wieder zum Erfolg: Im
Fall von zwei getöteten Seniorinnen in Schwäbisch Hall fasste die
Polizei kurz nach der Veröffentlichung des Bildes einen Verdächtigen.
«Das Phantombild hat eine wichtige Rolle beim Fahndungserfolg
gespielt. Das war einer von mehreren Gründen, warum man dem Mann auf
die Spur gekommen ist», sagte ein Polizeisprecher der Deutschen
Presse-Agentur.

Oft sind es nur kurze Momente, in denen ein Zeuge einen Täter zu
Gesicht bekommt. Doch umso erstaunlicher ist es, wie verblüffend
genau und detailreich das Phantombild des Täters später aussieht.
«Ich wünschte manchmal, ich könnte den Vorher-Nachher-Vergleich
veröffentlichen, um zu zeigen, wie ähnlich das Phantombild dem echten
Täter ist», sagt Wortmann. Doch das darf er nicht. 40 Prozent der auf
Phantombildern abgebildeten Menschen werden laut Wortmann gefunden -
diese Aufklärungsquote hält er für vergleichsweise gut.

Menschen, die direkt von einem Verbrechen betroffen sind, erinnern
sich meist am besten an den Täter. «Wir haben spezielle
Gehirnbereiche, um Gesichter zu speichern. Bei besonders guten oder
schlechten Begegnungen prägt man sich das Gesicht automatisch sehr
genau ein», erklärt Wortmann. Sein Job ist es auch, diese Erinnerung
bei Betroffenen wieder aufleben zu lassen. Im sogenannten «kognitiven
Interview» wird das Erlebte noch einmal neu vor Augen gerufen.

Bei den Gesprächen sitzt Wortmann nicht selten Menschen gegenüber,
die erst kürzlich etwas Traumatisches erlebt haben. «Die Arbeit mit
traumatisierten Menschen lernen wir in der Ausbildung. Manchmal ist
bei der Vernehmung aber auch ein Psychologe dabei», sagt er. Ab und
zu müsse die Erstellung eines Phantombildes daher mit viel
Einfühlungsvermögen und Pausen durchgeführt werden. Doch viele
Menschen berichteten auch davon, dass es gut tue, die schlechten
Erinnerungen zu teilen.

Mit Hilfe einer Software wird heutzutage das Gesicht rekonstruiert.
Dazu steht dem LKA Baden-Württemberg ein virtueller Bildbestand von
etwa 5500 modellhaften Gesichtern zur Verfügung. Im Gespräch wird
versucht, ein möglichst ähnliches Gesicht zu erstellen. Dabei werden
zuerst offensichtlichere Merkmale wie Alter, Geschlecht oder
Hautfarbe bestimmt. Wenn die Grundzüge dann stehen, werden die
Feinheiten wie etwa Augenformen bestimmt. Allein hier existiert ein
Bestand von bis zu 250 verschiedenen Augenformen.

Auch Muttermale, Narben und Kopfbedeckungen sind in der Bibliothek
vorhanden. Eine neuere Erweiterung des Programms sind
Mund-Nase-Bedeckungen. Wenn die Software einmal kein Beispiel hat,
wie bei einzigartigen Tattoos, wird das Gesicht ausgedruckt und das
Tattoo mit der Hand darauf gezeichnet.

Bis zu 200 Phantombilder werden in Baden-Württemberg pro Jahr
angefertigt, dafür gibt es ein 40-köpfiges Team im Land. Doch längst

nicht alle Bilder werden veröffentlicht. Wortmann erklärt, dass
häufig schon in Polizeikreisen die abgebildete Person erkannt werde.
Dann sei eine Veröffentlichung überflüssig. Man wolle die
Öffentlichkeit auch nicht mit Phantombildern überfluten. Deshalb
werden meist nur die dringenden Fälle veröffentlicht. Wenn wie in
Schwäbisch Hall ein mutmaßlicher Mörder frei herumlaufe, müsse man

natürlich so schnell wie möglich handeln.

Es geht aber auch andersrum: Im Herbst 2021 fahndete die Polizei mit
dem Phantombild eines Opfers, um dessen Identität aufzuklären. Ein
Pilzsammler hatte eine teils verbrannte Frauenleiche in einem
Waldstück zwischen Freudenstadt und Kniebis entdeckt. Dank eines
Hinweises aufgrund des Phantombilds und zweier Bilder von
Tätowierungen der Leiche konnte die Tote identifiziert werden.

Nicht jedes Phantombild ist gleich markant. «Es liegt in der Natur
der Sache, dass ein Phantombild vielen Personen ähnlich sieht», sagt
Wortmann. Je individueller ein Gesicht sei, desto wahrscheinlicher
werde die Person gefunden. «Das Phantombild von Schwäbisch Hall war
ausreichend, obwohl man die Augen nicht gesehen hat. Der Verdächtige
trug eine Sonnenbrille», erklärt Wortmann.

Seit 1998 erstellt er Phantombilder und steht im regen Austausch mit
Phantombilderstellern aus der ganzen Welt. Kurz vor der
Jahrtausendwende sei das Bundesland eines der ersten bei der
Digitalisierung der Phantombilderstellung gewesen. Und jedes Jahr
organisiert Wortmann Schulungen und Vorträge. «Vertreter anderer
Bundesländer, sogar anderer Staaten kommen für Fortbildungen nach
Baden-Württemberg», berichtet er stolz.

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