Fest des Lebens und der Demokratie - Rio feiert Karneval Von Martina Farmbauer, dpa

Die berühmten Umzüge im Sambodrom und der Straßenkarneval in Rio sind

zurück. Die «größte Party der Welt» zeigt sich dabei in vielen
Facetten: Historisch und modern, heiß und politisch.

Rio de Janeiro (dpa) - Prächtige Kostüme und Wagen, mitreißende
Gesänge und Klänge: In Rio haben die weltberühmten Umzüge im
Sambodrom begonnen. Den Anfang machte dabei am Freitagabend
(Ortszeit) die Sambaschule «Arranco do Engenho de Dentro». Sie
widmete ihren Umzug im Regen Zé Espinguela, dem Organisator des
ersten Wettbewerbs der Sambaschulen von Rio de Janeiro im Jahr 1929.
Der Wettbewerb wurde damals dort ausgetragen, wo die Schule «Arranco»
heute ihren Sitz hat.

Die Sambaschulen zeigten sich aber auch modern: Zum ersten Mal
defilierte mit der «Arranco» ein Mann als Fahnenträger im Sambodrom.

Die zwölf Top-Schulen treten am Sonntag und Montag bis in den frühen
Morgen auf.

Zehntausende auf den Tribünen sowie Millionen vor dem Fernseher in
Brasilien und auf der ganzen Welt verfolgen für gewöhnlich die Umzüge

auf dem überdimensionalen Laufsteg, den einst der berühmte
brasilianische Architekt Oscar Niemeyer in den 1980er Jahren
entworfen hatte. Auch in anderen brasilianischen Metropolen wie
Recife, Salvador und São Paulo begeisterte der Karneval die Massen.

Der Karneval von Rio gilt als «größte Party der Welt». Die Stadt
erwartet Einnahmen von umgerechnet rund 810 Millionen Euro, die
Tourismus-Agentur Riotur bis zu 5,5 Millionen Karnevalsfans in der
Stadt. Die Hotels verzeichneten eine Auslastung von 91,5 Prozent.

Mit der Übergabe des Stadtschlüssels an «König Momo» hatte
Bürgermeister Eduardo Paes den diesjährigen Karneval am
Freitagnachmittag (Ortszeit) eröffnet. Nach zwei Jahren, in denen die
Pandemie das Fest verhindert oder eingeschränkt hatte, sagte Paes,
der die Corona-Impfungen auch mit Blick auf den Karneval
vorangetrieben hatte: «Dank der Wissenschaft, dank der Medizin, dank
des öffentlichen Gesundheitssystems und derjenigen, die sich geimpft
haben, können wir wieder das Leben feiern, indem wir uns im Karneval
von Rio treffen.»

In Brasilien war auf dem Höhepunkt der Pandemie 2021 das
Gesundheitssystem zusammengebrochen. Bürgermeister Paes sagte den
Straßenkarneval wegen Corona in den vergangenen beiden Jahren ab. Nur
die Umzüge im Sambodrom fanden nach einer Verschiebung im April 2022
statt.

Nun aber ist der Karneval mit voller Kraft zurück. 445 Umzüge von
Karnevalsgruppen - sogenannten Blocos - genehmigte die
Stadtverwaltung in dieser Saison. 50 sind allein für Samstag
angesetzt, einige sammelten sich schon am frühen Morgen. Bereits am
Freitagnachmittag waren die ersten offiziellen «Blocos» wie die
traditionellen «Carmelitas» im Bohéme-Viertel Santa Teresa durch die

Straßen Rios gezogen oder hatten auf Plätzen gespielt.

Zehntausende «Cariocas», wie die Einwohner Rios heißen, und Touristen

stimmten sich schon am vergangenen Wochenende mit Musikern und
Tänzern in den Straßen verschiedener Stadtteile auf den Karneval ein.
Auf der Südhalbkugel ist Hochsommer, derzeit ist es besonders heiß.
Das Thermometer zeigte am Freitag 41,8 Grad an, die gefühlte
Temperatur, die sich etwa wegen der Luftfeuchtigkeit oder Winden von
der tatsächlichen unterscheidet, lag bei 53,8 Grad.

Aber der Karneval von Rio ist auch mehr als heiße Party: Nach dem
Sturm auf das Regierungsviertel in Brasília am 8. Januar rief
Bürgermeister Paes den «Karneval der Demokratie» aus. Es sei
notwendig, die Demokratie zu feiern, sagte Paes am Freitag: «Einmal
mehr haben sich die brasilianische Bevölkerung und die
brasilianischen Institutionen als stärker erwiesen.» Ein
ungeschriebenes Gesetz besagt eigentlich, dass die Melodien und Texte
der Umzüge im Sambodrom nicht allzu kritisch sein dürfen.

Bei den Umzügen nimmt jede Sambaschule die Betrachter mit in eine
andere Welt - für gewöhnlich in eine, in der alles in Ordnung ist.
Die Schule «Acadêmicos de Vigário Geral» etwa nahm mit dem Thema
«Die
Phantasie - Fabrik der Freude» viele mit in die Kindheit. Politische
Kommentare gab es aber durchaus auch in den vergangenen Jahren. So
kritisierte etwa die Siegerschule «Mangueira» 2020 die
Bolsonaro-Regierung.

Die «Blocos» bilden seit jeher so etwas wie einen parallelen Karneval
zu den streng reglementierten Umzügen im Sambodrom, bei denen eine
Jury wie beim Eiskunstlauf Noten vergibt. Dieses Jahr sind sie
allerdings auch auffallend organisiert, durch die Zwangspause hatten
sie viel Zeit, um sich vorzubereiten.

Ein großes Maß an Spontanität und Kreativität haben die «Blocos
» sich
aber dennoch bewahrt. In Whatsapp-Gruppen tauschen sich Karnevalsfans
aus, wo ein «Bloco» sich gerade aufhält und welcher als nächstes
loszieht. «Wir schauen die ganze Zeit, um zu so vielen 'Blocos' wie
möglich zu gehen», sagt Karnevalsfan Samara Curi. «Wir haben gedacht,

dass sich nach der Pandemie etwas ändern würde. Dass die Leute
entmutigt sein würden. Aber es hat nichts geändert. Das ist
großartig.»

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